Tony Blair ist in der Sache vielleicht nicht ganz objektiv, er hat damals schließlich selbst unterzeichnet. Aber was der ehemalige britische Premier der BBC jetzt über das Karfreitagsabkommen sagte, das sich jetzt zum 25. Mal jährt, ist trotzdem erwähnenswert. Blair sagte: "Nordirland ist meines Wissens nach das einzige Beispiel in der modernen Geschichte, wo ein Friedensprozess wirklich funktioniert hat."

Tatsächlich beendete das Abkommen vom 10. April 1998 den Bürgerkrieg in Nordirland, der mehr als 3.600 Menschen das Leben nahm. Heute sind Nordirland, Großbritannien und die Republik Irland zunächst dankbar und erleichtert, dass der Frieden diese 25 Jahre gehalten hat. Und dass am US-Präsident Joe Biden erwartet wird, der selbst irische Wurzeln hat und auf einer mehrtägigen Reise den Regierungssitz Stormont in Belfast, Dublin und Familienangehörige beiderseits der Grenze besuchen wird – auch das würdigt den Erfolg, von dem Blair sprach.

Denn vorausgegangen waren dem Abkommen 30 Jahre, in denen die paramilitärische Terrorgruppe IRA der weitgehend katholischen Nationalisten gegen die – in ihren Augen – widerrechtliche Besatzung Nordirlands durch Großbritannien kämpfte. Und in denen, auf der anderen Seite, die paramilitärischen Terrorgruppen der meist protestantischen Unionisten gegen die IRA und für die Einheit Nordirlands mit Großbritannien antraten. Der Terror zerriss Familien, Wohngemeinschaften, zwang Stadtviertel hinter Mauern und Stacheldraht und rief das britische Militär auf die Straßen. Der beiderseitige Hass war so groß, dass Fabriken in der Grenzstadt Londonderry einen Ausgang für protestantische und einen Ausgang für katholische Mitarbeiter einrichteten, damit die beiden Gruppen ihre Feindschaft nicht mit Gewalt vor dem Fabriktor austrugen. Und dennoch kam es vor, dass sich Mitarbeiter unter parkende Autos verkrochen, während Terroristen hinter ihnen her schossen. Frauen und Kinder starben, Unschuldige wurden in den Kampf hineingezogen, der Terror selbst nach Großbritannien getragen. Dort explodierten noch in den Neunzigerjahren IRA-Sprengsätze in der Londoner City. Lastwagenbomben rissen metertiefe Löcher in die Straßen. Die Wucht der Detonation zerfetzte die Häuserfronten ganzer Bürotürme und tötete Passanten. All das ist vorbei, seit 25 Jahren. Auch wenn die Wunden, die Trauma und die Verbitterung auch heute noch tief sitzen.

Der Grund für den damaligen Terror: Seit der Teilung der Insel im Jahr 1921 in den südlichen Freistaat, die spätere Republik Irland, und die nördliche Provinz Nordirland, wurde die Provinz von probritischen Protestanten regiert. Im Jahr 1973 vereinbarte man mit dem Sunningdale Agreement zwar eine Art Gemeinschaftsregierung, aber die scheiterte am Widerstand der probritischen Unionisten. Der damalige britische Premierminister John Major versuchte es Anfang der Neunzigerjahre mit neuen Verhandlungen, pochte jedoch darauf, dass beide Seiten, die Unionisten und die IRA, zunächst einen Waffenstillstand einhielten. Das ging erst in Erfüllung, als Tony Blair 1997 zum Premierminister gewählt wurde.

Anders als in anderen internationalen Friedensverhandlungen wagten es Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern, mit allen Konfliktparteien zu verhandeln. Das bedeutete, dass selbst die Terroristen der paramilitärischen Gruppe IRA und die im Gefängnis sitzenden paramilitärischen Kämpfern der Unionisten in die Gespräche einbezogen wurden. Das war ein riskanter Vertrauensvorschuss und zog die Verhandlungen in die Länge. "Die hätten noch bis in alle Ewigkeit geredet und gestritten", sagte der damalige Sondergesandte der amerikanischen Regierung, George Mitchell, über die Gespräche. Mitchell führte die Verhandlungen als neutraler Mittler – und setzte den Parteien schließlich Ostern 1998 als Frist, um ein Ergebnis zu erzwingen.

Der Erfolg war das von allen Seiten – wenn auch widerstrebend – akzeptierte Karfreitagsabkommen, auch Belfast-Abkommen genannt. Nicht jeder war überzeugt. Jeffrey Donaldson, heute Parteivorsitzender der Democratic Unionist Party (DUP), verließ die Gespräche damals noch vor der Unterzeichnung. Er selbst hatte aufseiten des Ulster Defense Regiment gekämpft und zwei Cousins durch Anschläge der IRA verloren.

Alle Seiten mussten – aus ihrer Sicht -  Opfer bringen. Die Republik Irland musste ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Nordirland aufgeben. Dafür erhielten die irischen Nationalisten einen garantierten Platz in der Regierung in Stormont, dem Regierungssitz in Belfast. Die IRA wiederum musste versprechen, ihre Waffen dauerhaft niederzulegen und ihren bewaffneten Kampf aufzugeben. Die britische Regierung musste die IRA-Terroristen, also politische Häftlinge, aus den Gefängnissen entlassen und ihre Militärpräsenz in Nordirland reduzieren. Die Unionisten mussten ebenfalls ihre Waffen niederlegen und akzeptieren, dass sie dauerhaft die Macht mit katholischen Nationalisten würden teilen müssen. Im irischen Parlament saßen bald sogar ehemalige IRA-Terroristen. Die Unionisten mussten auch schlucken, dass Nordirland nur so lang zum Vereinigten Königreich gehört, wie die Mehrheit der Nordiren nicht etwas anderes beschließt.

Der dann folgende Frieden wurde und wird allerdings immer wieder durch vereinzelte Terroranschläge unterbrochen. Im Sommer 1998, wenige Monate nach dem Karfreitagsabkommen, tötete die Splittergruppe Real IRA im Städtchen Omagh mit einer Bombe 29 Zivilisten. Erst in diesem Frühjahr, wieder im Omagh, wurde ein Polizeibeamter durch Schüsse schwer verletzt, von den mutmaßlichen Tätern führen ebenfalls Hinweise zu einer IRA-Splittergruppe. Die Öffentlichkeit nimmt diese Anschläge auch als Warnung, was auf dem Spiel steht.

Das Karfreitagsabkommen bedingt, dass beide Konfliktparteien friedlich miteinander leben können und daher auch die – für die irischen Nationalisten – provozierende Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland so weit wie möglich aus dem Blickfeld verschwindet. Wo früher militärische Grenzkontrollen die Straßen überblickten und bewaffnete Soldaten die Autos kontrollierten, schlängeln sich die Landstraßen heute durch die Bauernlandschaft, ohne dass nur ein Schild auf einen Grenzübergang hindeuten würde.