Für Abgeordnete in Deutschland gelten bei der Strafverfolgung besondere Regeln: Werden sie nicht unmittelbar bei einer Straftat ertappt, dann dürfen Behörden nur mit Genehmigung der Parlamente gegen Abgeordnete ermitteln. Dieses Immunitätsrecht soll vorrangig sicherstellen, dass Abgeordnete ihrer Arbeit nachkommen können, ohne durch Verfahren abgelenkt oder unter Druck gesetzt zu werden. In der laufenden Wahlperiode musste der Bundestag die Immunität von Abgeordneten bereits mehrfach aufheben: beim AfD-Politiker Petr Bystron, gegen den wegen des Verdachts der Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Geldwäsche ermittelt wird, allein viermal in zwei Monaten. Aktuell hat der Justizausschuss des Thüringer Landtags neuerliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera gegen Björn Höcke (AfD) ermöglicht. Wir erklären, wie eine solche Aufhebung abläuft und was nicht von der Immunität gedeckt ist.

Warum gibt es ein Immunitätsrecht für Abgeordnete in Deutschland?

Abgeordnete des Bundestages (MdB) und der Landtage (MdL) haben in Deutschland ein besonderes Schutzrecht: Sie genießen grundsätzlich Immunität vor juristischer Strafverfolgung – es sei denn, jemand wird auf frischer Tat bei einer strafbaren Handlung ertappt. Ansonsten muss der Bundestag zunächst eine Genehmigung erteilen, wenn eine Behörde gegen einen MdB oder MdL ermitteln oder diesen verhaften möchte. 

Das Immunitätsrecht ist jedoch nicht als Privileg zu verstehen. Es diene "vorrangig dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments und nicht primär dazu, dem individuellen Abgeordneten einen rechtlichen Vorteil zukommen zu lassen", sagt Alina Hoffmann, Geschäftsführerin des Instituts für Geldwäsche- und Korruptions-Strafrecht an der Universität Trier (TrIGeKo). Der Immunitätsschutz soll vielmehr gewährleisten, dass der Abgeordnete kontinuierlich seine parlamentarischen Pflichten wahrnehmen kann, ohne dass ihn ein laufendes Verfahren dabei ablenkt oder er Auflagen befürchten muss, die seine Freiheit beschränken könnten.

Zu unterscheiden ist die Immunität von der Indemnität. Diese befreit Abgeordnete von rechtlichen Sanktionen bezogen auf ihr Verhalten im Bundestag. Dazu zählen sowohl ihr Abstimmungsverhalten als auch Äußerungen in Ausschüssen oder Plenardebatten. Damit soll laut der Trierer Rechtswissenschaftlerin Hoffmann die Arbeits- und Redefreiheit im Parlament gesichert werden. Ausgenommen davon sind verleumderische Beleidigungen.

Im Gegensatz zur Immunität gilt der Indemnitätsschutz ein Leben lang, also auch nach Ende des Mandats. Er kann nicht vom Parlament aufgehoben werden. Der Bundestagspräsident kann jedoch Ordnungsmaßnahmen gegen das entsprechende Mitglied verhängen.

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Wie ist die politische Immunität in Deutschland genau geregelt?

Artikel 46 des Grundgesetzes garantiert Abgeordneten die Immunität, bis sie aus dem Parlament ausscheiden. Auf Basis dessen kann der Bundestag auch Verfahren aussetzen, wenn dies die Grundrechte gemäß Artikel 18 verletzt (zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung). Wie genau mit dieser Immunität umgegangen wird, steht in der jeweiligen Geschäftsordnung eines Parlaments. Das bedeutet, dass sich das Verfahren bei Bundestags- und Landtagsabgeordneten unterscheiden kann. Das gilt auch für Mitglieder des Europäischen Parlaments.

Um die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben, muss der Bundestag Grundsätze beachten, die gesondert in der Geschäftsordnung festgeschrieben sind. Zwar muss der Bundestag zu Beginn einer jeden Legislaturperiode eine neue Geschäftsordnung erlassen – in der Praxis wird diese jedoch meist unverändert aus der vergangenen Wahlperiode übernommen.   

Diese Grundsätze legen im Detail fest, wer einen Antrag zur Aufhebung stellen darf, wie darüber entschieden wird, wann ein Abgeordneter verhaftet oder festgenommen werden darf und wie mit Verkehrsdelikten oder Bagatellsachen umgegangen wird. Erarbeitet werden diese Richtlinien vom Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss). Derzeit besteht dieser aus 19 Abgeordneten aller Parteien, die im Bundestag vertreten sind.

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Wer genießt in Deutschland alles Immunität?

Bundestagsabgeordnete und Landtagsabgeordnete haben in Deutschland eine sogenannte parlamentarische Immunität. Darüber hinaus erstreckt sich eine politische Immunität auch auf weitere Akteure, etwa Staatsoberhäupter.

So ist auch der Bundespräsident durch Artikel 60 des Grundgesetzes für die Dauer seiner Amtszeit vor Strafverfolgung geschützt, obwohl er kein Abgeordneter ist. Es bedarf eines Mehrheitsbeschlusses im Bundestag, um seine Immunität aufzuheben. Zuletzt hat die Staatsanwaltschaft Hannover 2012 die Aufhebung der Immunität eines Bundestagspräsidenten im Zuge der Ermittlungen gegen Christian Wulff beantragt. Der ehemalige Bundespräsident trat anschließend zurück, womit seine Immunität vorzeitig beendet war.

Die Mitglieder der Bundesregierung sind übrigens als solche nicht immun, sondern nur kraft ihres Abgeordnetenstatus. Der Chef des Bundeskanzleramtes, aktuell Wolfgang Schmidt (SPD), ist beispielsweise aufgrund seines Amtes Teil des Regierungskabinetts. Da er jedoch über kein Mandat für den Bundestag verfügt, hat er auch keine Immunität.

Für ausländische Diplomaten gilt in Deutschland eine sogenannte Amtsimmunität. Sie sind während der Ausübung ihrer konsularischer Tätigkeit von der Straf-, aber auch von der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich befreit. Das steht im Artikel 29 der Anfang der Sechzigerjahre geschlossenen völkerrechtlichen Verträge des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen.

Ein Diplomat ist demnach juristisch unverletzlich, darf nicht verhaftet werden und ist von bestimmten Steuern und der Sozialversicherungspflicht befreit. Begeht ein Diplomat dennoch einen Gesetzesverstoß, kann das die Beziehung zweier Länder beschädigen – daher halten sich Diplomaten in der Regel an die örtlichen Gesetze. Im Extremfall kann ein Diplomat allerdings zur Persona non grata erklärt werden. Der Herkunftsstaat ist völkerrechtlich dann verpflichtet, den Diplomaten abzuberufen. Weiterhin genießen auch Mitarbeiter von Konsulaten, Repräsentanten eines Staates bei offiziellen Besuchen und Mitarbeiter von internationalen Organisationen ähnliche – allerdings reduzierte – Rechte.

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Was wird nicht vom Immunitätsrecht gedeckt?

Bevor die Strafverfolgung gegen einen Abgeordneten ermitteln darf, muss der Bundestag dies mit der Aufhebung der Immunität genehmigen. Es gibt aber juristische und polizeiliche Maßnahmen, die davon ausgenommen sind. Ist der Abgeordnete zum Beispiel lediglich als Zeuge in einem Verfahren gelistet, dürfen seine Privaträume ohne Genehmigung des Bundestages durchsucht werden. Auch bei Verkehrskontrollen müssen die Gremien nicht informiert werden, wenn eine Blutentnahme angeordnet wird. Dasselbe gilt bei Ordnungswidrigkeiten und Bagatellangelegenheiten.

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Wie wird die politische Immunität aufgehoben?

Das Verfahren legen die Grundsätze in Immunitätsangelgenheiten des 1. Ausschusses fest. Demnach muss eine Strafverfolgungsbehörde den Bundestagspräsidenten und das betroffene Mitglied über die Absicht informieren, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, "soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen", heißt es in dem Regelwerk. Das könnte etwa der Fall sein, wenn der Betroffene verdächtigt wird, Beweismittel vernichten oder verändern zu wollen. Mit dem Beschluss zur Aufhebung der Immunität von Abgeordneten hat der Bundestag bereits grundsätzlich genehmigt, Ermittlungen gegen Abgeordnete in der laufenden Wahlperiode aufzunehmen.

Diese dürfen aber frühestens 48 Stunden nach der Mitteilung an den Bundestagspräsidenten aufgenommen werden. Der Präsident wiederum informiert den Immunitätsausschuss über die Mitteilung der Behörden.

Auf Basis dessen dürfen aber noch keine Durchsuchungen oder Festnahmen erfolgen. Die Immunität hat noch Bestand. Sollte eine Staatsanwaltschaft deren Aufhebung einleiten wollen, um etwa einen Strafbefehl zu erlassen, muss sie hierzu eine Einzelgenehmigung auf dem Dienstweg beantragen. Mit dem Antrag befassen sich also zunächst die Generalstaatsanwaltschaft und die Justizministerien, ehe dieser erneut dem Bundestagspräsidenten und anschließend dem Ausschuss weitergeleitet wird.

Der Ausschuss berät in einer Sitzung, ob der Antrag nachvollziehbar ist, prüft dabei aber keine Beweise. Anschließend empfiehlt der Ausschuss dem Bundestag einen Beschluss bezüglich der Immunitätsangelegenheit eines Abgeordneten, und das Plenum entscheidet. Der genaue Tatvorwurf wird dabei übrigens nicht genannt, auch eine Aussprache gibt es nicht im Parlament. Das soll einerseits eine Vorverurteilung verhindern, andererseits dem Bundestag keine Rechte und Pflichten zuordnen, die aus Gründen der Gewaltenteilung einzig der Justiz zustehen.

In der Regel erteilt der Bundestag die Genehmigung, damit die Staatsanwaltschaft Anklage erheben oder einen Strafbefehl erlassen kann oder ein gerichtlicher Durchsuchungsbeschluss erteilt wird. Damit soll verhindert werden, dass Abgeordnete im Falle eines Strafverfahrens anders behandelt werden als andere Bürger.

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Wie verhält sich die politische Immunität auf europäischer Ebene?

Auch für Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) gilt ein Immunitätsrecht, welches in den Protokollen der EU und ihrer Organe geregelt ist. Analog zur Regelung im Bundestag sei dies "eine Garantie dafür, dass ein MdEP sein Mandat frei ausüben kann, ohne willkürlicher politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein", heißt es in der parlamentarischen Geschäftsordnung.

Die Immunität bezieht im Wesentlichen dieselben Rechte ein, die auch den Mitgliedern in ihren nationalen Parlamenten gewährt wird. Das schließt auch die Ausnahmen mit ein. Allerdings gilt das Immunitätsrecht eines MdEP dann im Hoheitsgebiet jedes anderen EU-Mitgliedsstaates und nicht nur im eigenen Land.

Auch das Prozedere zur Aufhebung der Immunität gleicht dem im Bundestag. Eine Besonderheit ist, dass der zuständige Parlamentsausschuss (Rechtsausschuss) alle Informationen und Erklärungen anfordern kann, die dieser für die Beschlussempfehlung für nötig hält. Zudem kann der betroffene Abgeordnete eine Stellungnahme vor dem Ausschuss ablegen und dabei Dokumente oder andere schriftliche Beweise vorlegen. Das führt mitunter dazu, dass das Verfahren im Europäischen Parlament deutlich länger dauert. Im Falle des früheren AfD-Chefs Jörg Meuthen etwa verging mehr als ein halbes Jahr, bis die Immunität aufgehoben wurde.

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Welche Besonderheiten ergaben sich jüngst durch die Europawahl?

Ein Sonderfall trat jüngst mit dem Einzug des AfD-Politikers Petr Bystron ins Europaparlament ein. Spätestens mit offiziellem Beginn seines Mandats ab der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 16. Juli genießt Bystron wieder Immunität – obwohl diese auf nationaler Ebene vom Bundestag aufgehoben worden war, um gerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbeschlüsse wegen des Verdachts der Geldwäsche und Bestechlichkeit zu vollziehen. "Bis zur Entscheidung über die Aufhebung der Immunität ist der Abgeordnete aber weiterhin geschützt, das heißt, die Ermittlungsverfahren müssen so lange ruhen", sagt die Trierer Rechtswissenschaftlerin Hoffmann. Erst dann kann die Generalstaatsanwaltschaft München ihre Ermittlungen wieder aufnehmen. "Da sich solche Verfahren auch über Monate erstrecken können, besteht immer eine gewisse Gefahr des Beweismittelverlusts."

Anders verhielt es sich bei der italienischen Europaabgeordneten Ilaria Salis. Zum Zeitpunkt der Europawahl saß sie noch im Hausarrest in Ungarn, wo sie wegen mutmaßlicher tätlicher Angriffe auf Rechtsextremisten angeklagt worden war. Als Kandidatin des linksgrünen Bündnisses AVS errang sie jedoch ein Mandat bei der europäischen Wahl Anfang Juni und genießt seither Immunität vor Strafverfolgung. Unmittelbar nach der Wahl stellte ihr Anwalt einen Antrag auf Freilassung, dem die ungarische Justiz stattgeben musste.

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Sollte das Immunitätsrecht reformiert werden?

Immer wieder wird im Bundestag und in den Landtagen eine Reform oder Abschaffung des Immunitätsrechts von verschiedenen Parteien ins Gespräch gebracht. "Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik wurde darüber diskutiert, ob das Immunitätsrecht nicht anachronistisch sei und ein Relikt aus Zeiten der konstitutionellen Monarchie", sagt TrIGeKo-Geschäftsführerin Hoffmann. Die Gefahr einer willkürlichen Strafverfolgung unliebsamer Abgeordneter sei praktisch nicht mehr relevant, argumentierten die Kritiker.

Für die Trierer Juristin ist Kritik am derzeit bestehenden Immunitätsschutz zum Teil berechtigt. "Dadurch, dass Immunitätsverfahren öffentlich bekannt werden, können solche Verfahren eine negative publicity nach sich ziehen, die eine politische Karriere durchaus gefährden kann", sagt Hoffmann. Das könne für einen Abgeordneten besonders prekär werden, weil er somit vor der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit nicht mehr gegen die Verdachtserhebung verfügen kann.

Mit den sich aktuell wandelnden politischen Gegebenheiten könnte das Immunitätsrecht zudem eine andere Bedeutung bekommen. "In Zeiten, in denen die Gefahr extremistischer Parlamentsmehrheiten besteht, existiert zugleich auch die Gefahr, dass diese Parlamentsmehrheit ihre Abgeordneten vor einer Strafverfolgung schützt, indem sie den Immunitätsschutz willkürlich nicht aufhebt", sagt Hoffmann.

Jedoch besteht Hoffmann zufolge auch die Gefahr einer willkürlichen Strafverfolgung heutzutage noch. "Es darf nicht verkannt werden, dass der Immunitätsschutz primär der Funktionsfähigkeit des Parlaments dient, indem er den repräsentativen Status des Abgeordneten schützt. Insoweit hat der Immunitätsschutz noch immer seine Berechtigung. So sieht es im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht." 

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