"Keiner mag es, über die Träume von jemandem zu reden", erzählte die US-Musikerin Lucy Dacus erst kürzlich in einem Interview und unterbrach sich damit selbst dabei, einen ihrer eigenen Träume zu analysieren. Sind Träume etwa überbewertet? Oder brüsten wir uns vielleicht einfach nur gerne mit ihnen, weil wir darin oft so viel mutiger, aufregender, unberechenbarer sind, als es uns der Alltag erlaubt?

Der irische Musiker Conor O'Brien würde beide Überlegungen wohl sofort vom Tisch wischen. Aber nicht, weil er wie Dacus glauben könnte, niemand würde tatsächlich mehr über die Träume der anderen wissen wollen (die sind doch immer interessant). Sondern weil O'Brien die oben angedeuteten Alternativen vermutlich als zu kurzgefasst empfände. Conor O'Brien scheint eher der Typ Mensch, der gerne weiterspinnt, hinein in immer noch wolkigere Gegenden. Einziges Problem: Für ihn ist kein Luftschloss groß genug.

Seit elf Jahren verteilt O'Brien unter dem Pseudonym Villagers Gästelistenplätze für seine musikalischen Gedankenwelten. 2010 erschien mit Becoming A Jackal ein vor Morbidität, Nostalgie und Romantik nur so triefendes Debüt. Jedes Instrument hat O'Brien darauf selbst eingespielt, die Texte natürlich allesamt selbst geschrieben und in ihnen von seiner inneren Zerrissenheit erzählt. Während zu Beginn von O'Briens Solokarriere (zuvor war er Teil der Band The Immediate) noch der Vergleich mit Conor Oberst und dessen Band Bright Eyes herhalten musste – Melancholie etc. –, steht der Musiker aus Dublin nach mittlerweile vier Alben ziemlich stolz gänzlich für sich. Immer wieder wählte er neue Themen für seine Platten – die digitale Welt, Mathematik, Glücksformeln, Schwulsein in der heutigen Zeit. Alles verband er stets mit Gedanken zur Liebe. Doch so sehr O'Brien es offenkundig genießt, sich neue Sujets zu erschließen, so sehr liebt er augenscheinlich auch das Weiten von Begrifflichkeiten. Hört oder liest er von bestimmten Dingen, die etwas bei ihm auslösen, scheint er sich gleich aufs Tagträumen zu verlegen.

Und nun erscheint mit Fever Dreams, dem fünften Villagers-Album, also ein explizites Traumalbum, das im Titel bereits den fiebrigen Teil der Nacht ankündigt, scheinbar auch die Nachtmahr. Da O'Brien längst ein versierter Geschichtenerzähler ist, geht es nun um die Momente raus aus der Wirklichkeit, wenn man auch von Hitzewallungen und Schüttelfrost heimgesucht wird. Sobald das Fieber kickt, lässt Conor O'Brien sein Aufnahmegerät mitlaufen. Dass die zehn neuen Songs kurz vor und mitten in der Pandemie entstanden, passt da fast zu perfekt ins Bild. Ende 2019 schaffte es O’Brien noch mit einer ganzen Band ins Studio, so die verfügbaren Informationen; während der Lockdown-Tage 2020 verfeinerte er das Aufgenommene dann immer weiter allein in seinem Heimstudio.

Kaum ein Song auf Fever Dreams hält sich im Drei-Minuten-Bereich auf. Schließlich geht es in die surreale Tiefe, da ist die Zeit völlig irrelevant; es wird herausgezoomt aus dem Augenblick, wenn alles langsam an Schärfe verliert. Das liebliche So Simpatico, ein Herzstück der Platte, ist ein gutes Beispiel, der Song dauert mehr als sieben Minuten, in denen er sich in völliger Ruhe und Leichtigkeit erst aufbaut, dann verliert und schließlich musikalisch in alle möglichen Richtungen streckt.

Generell sind Villagers-Fieberträume im Gegensatz zum Unheil versprechenden Albumtitel weitaus positiver, schöner, strahlender, als man es vermuten könnte. Die Erkenntnis: Auch wenn weltweit ein lebensbedrohliches Virus grassiert und Zeiträume in Isolation nur schwer abzuschätzen sind, ist Conor O'Brien doch nicht nur an Trübsal interessiert. Er will lieber mit uns auf Wolken laufen, Menschen mit seiner Musik umarmen und zum Wegdriften mit ihr einladen. Oder auch mal zum nächtlichen Schwimmen auf einer niederländischen Insel.

Es ist nicht immer leicht, jede Sinneswandlung des 37-Jährigen mit der soft intonierenden Stimme in Gänze nachzuvollziehen, gerade wenn er seine Ausführungen immer größer werden lässt und die Enden zusehends mehr ausfransen. Aber für Klarheit ist diese Platte wohl auch nicht gemacht worden. Dass Radiohead erklärtermaßen eine der Lieblingsbands von Conor O'Brien ist, hört man hier sehr genau: Die Detailversessenheit, das auch mal Psychedelische und die gleichzeitige Vorliebe fürs Verschwommene in Kombination mit instrumentalem Reichtum hat der Komponist, Sänger, Gitarrist und Keyboarder O'Brien in jedem Fall übernommen.

Zu den epischen Fever-Dreams-Stücken, in denen es Chor-, Bläser- und gar Saxofon-Einlagen gibt, lässt er sich von seiner Plattenfirma mit der Aussage zitieren: "Manchmal können die wahnsinnigsten Zustände die ekstatischsten, euphorischsten und eskapistischsten Träume hervorrufen." Mit dieser Aussage kratzt er eigentlich nur an der Oberfläche dessen, was einem bei dem Hören seiner neuen Songs widerfährt. Dieses Album ist tatsächlich eine große Feier des Träumens, und sei es auch eines im fiebrigen Zustand.

"Fever Dreams" von Villagers ist bei Domino erschienen.