Ihr Leben war eine Herausforderung, ihre Memoiren sind es bis heute. Sayyida Salme gilt als erste arabischsprachige Frau, die ihre Autobiografie verfasst hat – im 19. Jahrhundert, auf Deutsch. Im 21. Jahrhundert werden ihre Texte nun kritisch betrachtet. Denn die Lebensgeschichte von Salme, auch unter dem deutschen Namen Emily Ruete bekannt, ist so abenteuerlich wie abseitig. Und sie erzählt von den Herausforderungen gänzlich unterschiedlicher Erfahrungswelten.

2024 jährt sich der Todestag dieser Frau zum hundertsten, ihr Geburtstag zum 180. Mal. Sayyida Salme kam 1844 als jüngste Tochter des Sultans von Oman-Sansibar und seiner Nebenfrau Dschilfidan zur Welt. 1924 starb sie in Jena. Dazwischen liegen eine Kindheit und Jugend in Sansibar, die Hochzeit mit dem Hamburger Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete und die Geburt von vier Kindern. Auf dem Weg nach Europa stirbt ihr erster Sohn im Säuglingsalter. Salme erlebt den frühen Verlust des Ehemanns, den sozioökonomischen Abstieg in Deutschland, Umzüge nach Jaffa, Jerusalem, Beirut und kolonialpolitische Verwicklungen.

Wie lässt sich so ein Leben, wie lassen sich so komplexe Erfahrungen erzählen? Salme selbst hat die Frage schreibend beantwortet. In ihren 1886 veröffentlichten Memoiren einer arabischen Prinzessin und in tagebuchartigen Texten, die 1999, lange nach ihrem Tod, als Briefe nach der Heimat verlegt wurden, hat sie aus ihrem Leben erzählt.

Wer sowohl Hamburg als auch Sansibar kennt, kann sich vermutlich vorstellen, welche Distanzen Salme nicht nur geografisch überbrückte. Als ich an ihrem 100. Todestag in Sansibar-Stadt bin, überfordert mich das feucht-heiße Klima, ich kann keinen geraden Gedanken formulieren. Und doch erfahre ich bei einem Treffen mit Said El-Gheithy viel über Salme. Der Lokalhistoriker hat das kleine Princess Salme Museum gegründet, ist fasziniert von ihrem Leben und von Sansibar, wo sie aufgewachsen ist.

Zu Salmes Lebzeiten lag die tropische Insel am Schnittpunkt zahlreicher internationaler Handelsrouten. Sie erlebte ihren größten Wohlstand zwischen den 1830er-Jahren und der Kolonisierung des tansanischen Festlands durch Deutschland in den 1880er-Jahren, mit dem Handel von Gewürznelken, Elfenbein – und Menschen. Das Geschäft mit der Versklavung von Menschen in Ostafrika geht viele Jahrhunderte vor die omanische Herrschaft in Sansibar zurück, Millionen wurden über den Küstenweg in Länder am Indischen Ozean verschleppt. Etwa 200 Jahre lang war Sansibar Teil des omanischen Sultanats und währenddessen auch Zentrum des ostafrikanischen Sklavenhandels. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dieser Handel hier endgültig verboten.

In muslimisch geprägten Gesellschaften gab es versklavte Menschen aus ganz unterschiedlichen Weltregionen. Salmes Mutter etwa war als Mädchen aus dem Kaukasus verschleppt worden. Und so steht Salmes Biografie in einem komplexen Verhältnis zu den damaligen Ausbeutungsstrukturen: Ihre Mutter war versklavt worden, Salme nach islamischer Auffassung aber als Kind des Sultans frei geboren. Als Prinzessin profitierte sie vom Sklavenhandel, besaß selbst eine der Plantagen, auf denen Arbeiter brutal zum Dienst gezwungen wurden, und wuchs in den Palästen ihres Vaters mit versklavten Menschen auf. In der traditionellen Gesellschaftsordnung des Sultanats war das selbstverständlich. Und in ihren Texten wird Salme das System der Versklavung später hartnäckig und in Kenntnis der Debatten darum verteidigen.

Auf anderen Ebenen prägen die diversen Einflüsse aus Kinder- und Jugendtagen Salmes offeneres Interesse an der Welt. Etwa das Lesen des Korans, über das sie sich auch das Schreiben auf Arabisch aneignet. Mit Anfang 20 trifft sie den Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete, der auf der Insel ein Handelsunternehmen leitet und in unmittelbarer Nähe des Palasts wohnt. Salme wird schwanger und entschließt sich, die Insel heimlich zu verlassen, um Ruete zu heiraten und gemeinsam in Hamburg zu leben. Dort muss sie sich dem neuen Wohnort anpassen, gilt ihrem Schwiegervater fortan als "tüchtige Hausfrau" und "liebenswürdige Schwiegertochter" – ihrer Herkunftsfamilie jedoch als Abtrünnige.