In der Serie "Politisch motiviert" ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 50/2023. 

Auf gleich mehreren politischen Bühnen wurden in dieser Woche politische Einigungen vermeldet, die den Ansprüchen des Publikums nicht genügten. In Dubai hat die Weltklimakonferenz mindestens 30 Jahre zu spät angekündigt, bald kein Öl und Gas mehr verbrennen zu wollen. In Berlin hat die Bundesregierung ihren Haushaltsstreit gelöst, indem sie allen ein bisschen was weggenommen und sich ansonsten vertagt hat. Und in Brüssel kann die EU die Beitrittsverhandlungen und die Unterstützung für die Ukraine offensichtlich nur zu dem Preis beschließen, den Putin-Vertreter Viktor Orbán endgültig zum Gegner in den eigenen Reihen zu machen.  

In den kritischen Bewertungen dieser so verschiedenen Beschlüsse finden sich immer wieder die gleichen Formulierungen. "Irgendwie haben alle ihr Gesicht wahren können", schreibt die Süddeutsche Zeitung über das Ergebnis der Haushaltsberatungen. Die Klimaverhandler in Dubai hätten "die Katastrophe verhindert", indem sie sich überhaupt geeinigt haben, heißt es bei ZEIT ONLINE. Das ist allerdings das Mindeste. Oder? Man will die Verhandler doch nicht dafür feiern, dass sie überhaupt etwas zu Papier gebracht haben, worunter alle ihre Unterschriften setzen konnten.  

Und so dreht die Debatte schnell auf die Unzulänglichkeiten der Vereinbarungen: Was alles nicht drinsteht. Wo man sich nicht einigen konnte. Was vertagt oder offengelassen wurde, und was es gekostet hat, dass alle mitmachen. Zehn Milliarden für Ungarn! Kein Enddatum für die fossile Industrie! Kein Geld mehr für die Solarindustrie und E-Autos! So richtig dieser kritische Blick auf die konkreten Inhalte ist, so auffällig ist doch, dass die Verhandler vergleichsweise wenig Applaus dafür finden, worum sie am meisten gerungen haben – nämlich, sich überhaupt noch zu einigen. Das wird als selbstverständlich hingenommen. Aber das ist es weniger als je zuvor. 

Scheitern ist spektakulär, Gelingen nicht

Die Bundesregierung besteht erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus drei Parteien verschiedener politischer Couleur, sie muss bei jeder Verhandlung über größere Gräben springen als jede Regierung zuvor. Auf der Klimakonferenz kämpfen Staaten mittlerweile nicht mehr abstrakt um ferne Ziele, sondern konkret um ihr (fossiles) Wirtschaftsmodell. Und in der EU hat der Ukraine-Krieg und seine Folgen die Einsätze erhöht und Einigungen erschwert.   

Dass diese demokratischen Verfahren nicht scheitern, wird sowieso vorausgesetzt. Es gibt keine Belohnungsmechanismen fürs Weitermachen. Fürs Funktionieren. Das Ende der Koalition wäre eine Nachricht, ihr Fortbestehen ist es nicht. Das Scheitern der Klimaverhandlungen wäre spektakulär, ihr Gelingen ist es nicht.  

Das ist verständlich und wirkt doch gegenwärtig immer merkwürdiger. Denn man weiß ja einerseits abstrakt, aus Sonntagsreden und Talkshows, aus Umfragen und Wahlergebnissen, dass die Demokratie bedroht ist, dass viele Menschen ihren Institutionen und Verfahren nicht mehr vertrauen. Aber wenn es konkret wird, nimmt die eingespielte öffentliche Kritik keine Rücksicht darauf. Der politische Diskurs hat noch keinen Modus gefunden, um die Institutionen, die er zu kritisieren gewohnt ist, zugleich zu schützen.

Die Lösung für dieses immer dringlichere Problem kann unterdessen nicht sein, die Ansprüche an die Demokratie runterzuschrauben. Einen öffentlichen Diskurs im Schonwaschgang braucht niemand. Medien, auf die es hier besonders ankommt, dürfen nicht einfach zu Bodyguards der Macht werden. Aber vielleicht könnten sie die erschwerten Umstände, unter denen heute Politik gemacht wird, noch besser vermitteln. Womöglich könnte das Publikum dann mehr Verständnis aufbringen für die Mühen demokratischer Kompromisse. Das Ziel müsste sein, die Verfahren besser zu schützen, ohne sich dabei die Kritik an deren Ergebnissen abzugewöhnen.