Dass Sylt jetzt in den Medien unter die Räder gekommen ist, ist wirklich bedauerlich. Was mich an der Debatte um die Partygäste, die in Kampen "Ausländer raus" grölten, aber am meisten stört – neben der Tatsache, dass es in manchen Kreisen als provokant gilt, rassistischen Schwachsinn zu singen –, was mich sogar regelrecht aufregt, ist, dass diese Leute als Popper bezeichnet werden.

Ich war früher ein sogenannter Popper. Das Poppersein ist Teil meiner Biografie wie mein Faible für Filme mit Eddie Murphy oder die Abhängigkeit von Espresso. Wir Popper a. D. haben es nicht verdient, jetzt als nationalistische Idioten zu gelten. Auch wenn die grölenden Partyleute von Sylt aussehen wie wir damals, sind sie keine Popper. Denn unser Stil war eine ästhetische Revolte gegen die Deutschtümelei und gegen die deutsche Biederkeit.

Das Popper-Phänomen stammt ursprünglich aus Hamburg. 1979 schrieben zwei Schüler aus Blankenese die Popperfibel, eine Art Knigge für Popper. Wie man sich anzuziehen hat, wen man cool zu finden hat und wen man ablehnt. Ursprünglich war die Fibel als Satire gedacht, die Autorin wollte damit ihre luxusverwöhnten Mitschüler auf die Schippe nehmen. Die aber nahmen den Stilguide wörtlich. Schon wenige Monate nach der Veröffentlichung der Popperfibel fuhr die Journalistin Renate Wolff in den Hamburger Stadtteil Pöseldorf, um eine ethnografische Betrachtung der neuen Jugendkultur zu verfassen, die 1980 im ZEITmagazin erschien.

Ich komme aus Baden-Baden, und weil meine Wahlheimat Hamburg das "Baden-Baden des Nordens" ist, wie Klaus von Dohnanyi mal gesagt hat, habe ich gleich doppelt Grund, sauer zu sein. Baden-Baden war eine Popperstadt in den Achtzigern. Wir trugen Karottenjeans von Fiorucci, Strickjacken von Benetton, Polohemden mit Krawatte und Collegeschuhe, die Hamburger wären damals stolz auf uns gewesen. Insofern man die Haare dafür hatte, trug man als Junge Seitenscheitel, für die Mädchen galt Pferdeschwanzfrisur. In unserer Freizeit hingen wir gemeinsam mit reichen alten Kurgästen in Cafés ab oder tranken uns durch die Nächte in Diskotheken, in die wir nur reinkamen, weil wir die Türsteher kannten. Dort lief Musik von Sade und Spandau Ballet, von Kajagoogoo und ABC.

Wie der Hitlergruß-Typ aus dem Sylt-Video knoteten wir uns die Pullis um den Hals. Das war ein Schalersatz, außerdem praktisch, wenn es abends kühl wurde. Dann zog man sich den Pulli über und stopfte ihn in die Karrottenjeans oder Chino. Oder man machte auf Gentleman und gab ihn einer Mitschülerin, die im Piqué-Kleid von Lacoste vor sich hin fröstelte.

Der ganze Look erscheint heute überzogen, eitel und blasiert. Es ging darum, luxuriös zu wirken und Wohlstand vorzutäuschen, einen Wohlstand, den viele von uns gar nicht persönlich kannten. Poppersein hieß, sich zu verkleiden und anders zu sein als die anderen. Die anderen, das waren die sogenannten Müslis, also diejenigen, die gegen Atomkraft, Aufrüstung und den Kapitalismus waren. Sie trugen Norwegerpullis und Turnschuhe, gingen auf Demos und lasen die verstrahlten Texte von Carlos Castaneda (und wenn sie richtig schlau waren, die von Marx). Auf uns, die Popper, wirkten sie wie der verlängerte Arm ihrer 68er-Eltern, Leute in Gesundheitsschuhen, die alles ganz bewusst und kritisch angingen, die Ernährung, die Erziehung und überhaupt das ganze Leben.

Natürlich war auch das eine Projektion. Die Müslis waren womöglich einfach smarter und kulturell ehrgeiziger als wir. Sie machten sich die Mühe, politisch korrekt zu sein, wie man heute sagen würde. Aber korrekt fanden wir doof. Wir wollten nicht korrekt, sondern provokant sein, und weil wir einerseits zu faul waren, das Anderssein als intellektuelle Aufgabe anzugehen, und andererseits zu genervt von den Gesundheitsschuh-Müsli-Leuten, verlegten wir uns auf die Ästhetik. Niemals wäre uns dabei in den Sinn gekommen, andere wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft abzuwerten.