Gerade scheint die nächste Erkältungssaison in weiter Ferne – und somit auch das Risiko für Babys, sich mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus anzustecken, kurz RSV. Doch die nächste Welle kommt bestimmt: Jedes Jahr im Herbst und Winter erkranken Neugeborene und Kleinkinder an dem Atemwegsvirus, manche so schwer, dass sie auf Intensivstation behandelt werden müssen. Für Eltern so junger Kinder ist das ein Horrorszenario.

Doch dieses Jahr könnte anders werden. In einer Entscheidung, auf die viele Fachleute schon im vergangenen Herbst gehofft hatten, spricht sich die Ständige Impfkommission (Stiko) nun dafür aus, alle Neugeborenen und Säuglinge – also auch solche ohne Risikofaktoren – durch einen neuen Antikörper vor RSV zu schützen (Epidemiologisches Bulletin 26/24, PDF). Die Stiko verspricht sich davon weniger schwere Erkrankungen, weniger Krankenhausaufenthalte, weniger intensivmedizinische Behandlungen und weniger Todesfälle – die auch bisher sehr selten waren. Mit der Empfehlung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Nirsevimab.

"Die Entscheidung der Stiko ist eine tolle Nachricht", sagte Friedrich Reichert, Ärztlicher Leiter der Notaufnahme in Deutschlands größter Kinderklinik, des Olgahospitals des Klinikums Stuttgart, im Gespräch mit ZEIT ONLINE. "Diese Empfehlung wird Kindern und Eltern viel Leid ersparen und das Personal in Kinderkliniken erheblich entlasten." Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen habe er gehofft, dass die Stiko den Antikörper für alle Neugeborene und Säuglinge empfiehlt. Schließlich treten mit 80 Prozent die überwiegende Mehrheit der schweren Krankheitsfälle bei vorher gesunden Säuglingen auf. Eine heftige Erstinfektion mit RSV scheint auch die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, in den Folgejahren an Asthma zu leiden.

Wie stark der Erreger die Kinderkliniken ans Limit bringen kann, zeigte sich während der vergangenen Winter: In manchen Regionen konnten nicht mehr alle Kinder versorgt werden und mussten teils in entfernte Krankenhäuser verlegt werden.

Besonders für Neugeborene ist das Virus gefährlich

Nahezu alle Kinder infizieren sich bis zu ihrem zweiten Geburtstag mit dem RS-Virus. Für viele ist es nur eine Erkältung. Doch manchmal befällt das Virus die Bronchien und ihre Verästelungen, die sich entzünden und zuschwellen. Besonders in den ersten Lebensmonaten sind die Atemwege noch so eng, dass die Kinder Atemnot entwickeln können und ohne ärztliche Hilfe nicht mehr genug Sauerstoff bekommen. RSV-Infektionen sind der häufigste Grund, warum Kinder vor ihrem ersten Geburtstag im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Kinder mit Risikofaktoren, etwa mit Herzfehlern oder Frühgeborene, konnten seit 1998 den monoklonalen Antikörper Palivizumab bekommen. Er muss allerdings in den Wintermonaten fünfmal gespritzt werden, um den Schutz aufrechtzuerhalten. Eine Prävention, die für alle Kinder zugelassen ist, war lange nicht auf dem Markt.

Das änderte sich, als im Herbst 2022 der monoklonale Antikörper Nirsevimab in der EU zugelassen wurde. Entwickelt hat ihn der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca, unter dem Handelsnamen Beyfortus vermarktet ihn das französische Unternehmen Sanofi. Nirsevimab neutralisiert das Virus effektiv, bevor es in die Körperzellen eindringen kann, und verhindert, dass es sich im Körper vermehrt.

Anders als bei einem Impfstoff, bei dem das Immunsystem die Antikörper erst selbst herstellen muss, wird der Antikörper dem Kind direkt verabreicht. Es handelt sich bei Nirsevimab also um eine passive Immunisierung, die dem Baby einen sofortigen Schutz bietet. Zwar lässt die Schutzwirkung mit der Zeit nach. Die Stiko geht aktuell aber von mindestens sechs Monaten aus – genug Zeit, um die Babys gut durch ihre erste RSV-Saison zu bringen, die meistens von Oktober bis März dauert.

Nirsevimab soll Neugeborene und Säuglinge also für dieses erste, kritische Aufeinandertreffen mit dem Virus rüsten. Auch danach können sich Kinder noch mit RSV anstecken, aber in der Regel erkranken sie dann nicht mehr so schwer.

Folgenden Kindern empfiehlt die Stiko Nirsevimab:

  • Babys, die zwischen April und September geboren sind, sollen den Antikörper vor der RSV-Saison im Herbst im Zeitraum zwischen September und November erhalten.
  • Neugeborene, die während der RSV-Saison von Oktober bis März geboren werden, sollen Nirsevimab möglichst rasch nach der Geburt erhalten, etwa wenn sie aus der Geburtseinrichtung entlassen werden beziehungsweise bei der U2 am dritten bis zehnten Lebenstag. 
  • Säuglinge, die wegen Frühgeburtlichkeit oder aus anderen Gründen länger im Krankenhaus bleiben müssen, sollen Nirsevimab während des stationären Aufenthaltes oder kurz vor der Entlassung erhalten.
  • Hochrisikokinder, also Frühgeborene oder vorerkrankte Säuglinge mit angeborenem Herzfehler oder Lungenfehlbildungen, deren Mutter während der Schwangerschaft eine RSV-Impfung erhalten hat, sollen zusätzlich Nirsevimab erhalten.
  • Wurde es versäumt, den Antikörper rechtzeitig zu geben, soll das während der laufenden RSV-Saison nachgeholt werden – idealerweise schnellstmöglich.

Dazu wird Nirsevimab einmalig in den Oberschenkel gespritzt. Kinder, die bereits einen Schutz haben, brauchen die prophylaktische Wirkung des Antikörpers nicht mehr: Babys, die bereits eine RSV-Infektion durchgemacht haben, und gesunde Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft gegen RSV geimpft wurden.

Keine Empfehlung für mütterliche Impfung

Denn seit vergangenem Jahr ist in der EU auch ein RSV-Impfstoff für Schwangere zugelassen, Abrysvo des US-amerikanischen Unternehmens Pfizer. Er schützt das Baby bis zu sechs Monate nach der Geburt, weil die Mutter die Antikörper über die Plazenta weitergibt. Fachgesellschaften hatten sich im vergangenen Herbst dafür ausgesprochen, Schwangere zwischen der 24. und 36. Woche damit zu impfen. Die Stiko hatte sich bislang nicht geäußert.

In der aktuellen Empfehlung ändert sich das nun. Allerdings spricht die Stiko keine Empfehlung aus, sie hält die Datenlage zu Wirksamkeit und Sicherheit derzeit noch nicht für ausreichend. Zumal es mit Nirsevimab "eine gute Alternative" zur Impfung der Schwangeren gibt, sagte Julia Tabatabai, Stiko-Mitglied und Ärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg gegenüber dem Science Media Center.