Bis zu einer halben Million Menschen ereilt in Deutschland die Nachricht, dass sie an Krebs erkrankt sind, jedes Jahr. Eine der vielen Fragen, die dann zu klären sind: Welche Klinik behandelt mich jetzt am besten? Die Antwort entscheidet mitunter über Leben und Tod. Wer eine erfahrene Ärztin in einem spezialisierten Krankenhaus erwischt, überlebt eher, das ist erwiesen.

Am heutigen Freitag hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seinen lange angekündigten Klinik-Atlas vorgestellt, der Patientinnen und Patienten helfen soll, die richtige Klinik zu finden. Die Basis dafür ist das Krankenhaustransparenzgesetz. Tatsächlich sitzt Deutschland auf einem Berg an Qualitätsdaten des Gesundheitswesens – dank der Abrechnungsdaten der Krankenkassen oder Daten vom Klinikpersonal, die mit viel Aufwand erhoben werden. Nur sind diese Daten für Patienten bisher eher schwer zugängig.

Das neue Portal soll Patienten die Entscheidung für einen Behandlungsort nun ein für alle Mal erleichtern. Es soll deutlich nutzerfreundlicher sein und mehr Informationen enthalten als bisherige Vergleichsportale – etwa die mittlerweile eingestellte Weisse Liste oder das Deutsche Krankenhausverzeichnis. Zumindest hat Lauterbach es so angekündigt. Aktuell fehlen wichtige Daten, das Portal geht also unvollständig an den Start – was viele kritisieren.

In eine Maske können Patienten ihren Standort und ihre Krankheit oder Symptome eingeben. Auch Begriffe wie Husten, Traurigkeit oder Hühnerauge funktionieren – das Portal schlägt passende Diagnosen vor und listet dann eine Reihe von Kliniken in der Nähe auf, bereits vorsortiert. Kliniken, die die meisten Behandlungen bei einer bestimmten Krankheit vorgenommen haben, rangieren ganz oben. Patienten können einzelne Kliniken auswählen und direkt miteinander vergleichen. Wie auf einem Tacho teilt das Portal verschiedene Kriterien in fünf Kategorien ein, von Rot bis Grün – eine schnelle Gesamtbewertung.

In dem neuen Portal wird künftig nicht nur veröffentlicht, wie oft eine Klinik etwa Darmkrebs operiert, sondern auch, wie oft es Komplikationen gibt – und zwar gewichtet nach der Schwere der Fälle. Wer viele alte, vorerkrankte oder komplizierte Patienten behandelt, wird also nicht benachteiligt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft allerdings ist der Ansicht, dass ihr Deutsches Krankenhausverzeichnis genau das auch schon heute leiste. Das neue Portal biete Patientinnen und Patienten keinerlei zusätzliche Information.

Angezeigt werden im neuen Portal zudem Qualitätssiegel – ausschließlich anerkannte Zertifikate wie das der Deutschen Krebsgesellschaft oder die Zertifikate für Endoprothetik der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie. Man erfährt, wie viele Pflegekräfte es gibt. Auch das wird ins Verhältnis gesetzt zu der Schwere der in der Klinik behandelten Erkrankungen und der Anzahl der Patienten. Außerdem wird ersichtlich, wie gut die Kliniken für Notfälle ausgestattet sind. Die Daten werden gesammelt und aufbereitet vom unabhängigen Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen.

Nur ein weiteres Portal: Wo ist der Mehrwert?

Bei all dem stellt sich die Frage, was das für die Patienten und Patientinnen bringt: Wer fährt in eine weit entfernte Klinik für einen Eingriff, weit entfernt von Freunden und Familie, wenn eventuell ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt bevorsteht? Hört man Lauterbach zu, geht es ihm vielleicht auch darum, die großen Qualitätsunterschiede der Kliniken innerhalb der Regionen transparent zu machen: Allein in Berlin und Umgebung würden 48 Krankenhäuser Darmkrebs operieren, aber nur 18 hätten eine spezielle Zertifizierung dafür.

Patientenschützer loben vor allem die Nutzerführung des Klinik-Atlas. "Dieses Portal ist vom Patienten her gedacht", sagt Thomas Moormann vom Verbraucherzentrale Bundesverband, "man findet schnell, was man sucht. Deshalb ist der heutige Start ein wichtiger Meilenstein für den Patienten- und Verbraucherschutz". Tatsächlich ist erwiesen, dass Patienten schnell aufgeben, wenn sie sich informieren wollen, die Informationen aber nicht übersichtlich und eingängig aufbereitet sind. Aus diesem Blickwinkel liefert das neue Portal tatsächlich einen Mehrwert.

Uneins sind sich Patientenschützer über die Aussagekraft der Kriterien, nach denen das Portal die Kliniken bewertet und sortiert. Eine Mindestmenge an Behandlungen beispielsweise ist sicherlich wichtig, um ein Mindestmaß an Routine und Erfahrung zu sichern. Doch die Menge allein ist nicht entscheidend. Medizinische Koryphäen, also etwa besonders gute Fachärzte innerhalb bestimmter Kliniken, identifiziert das Portal beispielsweise nicht. In dieser Hinsicht sind Patienten weiterhin auf Empfehlungen angewiesen. Zu denen manche einen guten Zugang haben – andere nicht.

Besonders einen Punkt kritisieren Patientenvertreter: dass die Patientinnen und Patienten selbst überhaupt nicht Teil des Bewertungssystems sind. So fehlen beispielsweise Daten dazu, wie zuverlässig Krankenhäuser mit Patienten und Angehörigen kommunizieren, ob sie Patientinnen zu früh oder zu spät entlassen, ob sie sich um eine Anschlussversorgung kümmern oder wie sie mit Beschwerden umgehen. Das kritisierte etwa der Bundesrat, der das Gesetz im März nach einer längeren Diskussion billigte. Solche Daten ließen sich mit einheitlichen Patientenfragebögen gewinnen. Ein Mehraufwand, für den es bislang keinen politischen Willen gab.

Lauterbach verspricht aber, dass das Portal beständig erweitert würde, einige dieser Punkte sollen künftig eingearbeitet werden.

Das Portal ist nun in der Welt – doch wie intensiv werden Patientinnen und Patienten es überhaupt nutzen? "Erfahrungsgemäß informiert sich nur ein kleiner Teil der Patienten online über die beste Klinik. Nicht alle suchen nach Vergleichsportalen und wählen dann auch noch das richtige aus", sagt Verbraucherschützer Thomas Moormann. Er fordert deshalb, den Klinik-Atlas an die elektronische Patientenakte anzubinden: Patientinnen könnten so über ihre Akte online, etwa in einer App, direkt zum Portal geleitet werden. Sie müssten nicht selbst googeln und den Klinik-Atlas unter den vielen Vergleichsportalen identifizieren. Noch viel wichtiger sei aber die Anbindung an Arztpraxen. Ärzte könnten so, noch während der Sprechstunde, am Computer in ihrem Verwaltungssystem die besten Kliniken scannen und Empfehlungen aussprechen. Diese Empfehlungen würden dank des Atlas auf Daten basieren und nicht allein auf den subjektiven Erfahrungen der Hausärzte.

Gut möglich, dass das Verzeichnis in Zukunft nicht nur die Versorgung abbildet, sondern sie auch verändert. Experten vermuten, dass Kliniken sich in Zukunft noch mehr bemühen könnten, Eingriffe zu optimieren und mehr Personal einzustellen. Thomas Moormann sagt: "Das Verzeichnis kann einen Qualitätswettbewerb auslösen – wenn es denn genutzt wird."