Vielleicht ist das Vergnügen, wie alles im Leben, nur eine biochemische Reaktion des Körpers auf äußere Reize. Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Endorphin. Wie gut, dass man diese Stoffe provozieren kann. Für mich ist das Vergnügen in seiner reinsten Form, mit 130 Stundenkilometern eine Achterbahn runterzukacheln, sich ständig die Knie zu stoßen, weil die Sitze noch enger sind als in einem Ryanair-Flugzeug, aua. Links, rechts, auaaua nach vorne, oben, unten und zurück. Manchmal setzt das Hirn einfach aus. Wenn die Bahn langsam in die Station rollt, muss ich mit Gummiknien und zitternden Händen sehr lange durchatmen, weil ich während der Fahrt entweder durchgehend geschrien oder die Luft angehalten habe. Zum Schluss bestaune ich mich glücklich in der Fotostation der Bahn, abgelichtet mit sehr unglücklicher Gesichtsmechanik: So sehe ich also aus, wenn ich Spaß habe.

Die letzten Monate waren hart. Vieles war zu, eigentlich alles, was keinen Zweck hat, außer der harmlosen Freude zu dienen. Kinos, Spaßbäder, Museen. Vergnügungsparks. 

Menschen, denen man die Lebensfreude wegnimmt, holen sie sich irgendwann zurück. Es gibt in Deutschland gerade eine Art angestaute Lebenslust, bei der keiner so richtig weiß, wohin damit. Man wehrt sich gegen das Bedürfnis nach Nähe, vollen Kneipen, Bars, Restaurants, Rockfestivals oder klassischen Konzerten, Fußballstadien oder Volksfesten. Wahrscheinlich ist ein Vergnügungspark, weitläufig und an der frischen Luft, der beste Ort für einen Tag unschuldigen Glücks.

Am besten natürlich im besten Vergnügungspark der Welt (laut Golden-Ticket-Award, dem Vergnügungsbranchen-Oscar): dem Europa-Park Rust im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Für einen Tag – zur Saisoneröffnung! – fahre ich dorthin, ins Freudenparadies, ganz allein, quasi als Belohnung für die Entbehrungen der letzten Monate. Wie leicht wird es sich anfühlen, mit Mundschutz in der Achterbahn zu sitzen? Kann man in diesem Park das Draußen vergessen?

Man hört den Park schon, bevor man ihn betritt. Auf dem Parkplatz dröhnen mir die hübsch verträumten Streicher und Fanfaren aus dem Main Entrance Theme entgegen, das einen sanft durch die Eingangskontrolle trägt. Alle eineinhalb Meter eine Familie mit durchschnittlich eineinhalb Kindern an der Hand – und wir alle ziehen noch mal die Masken zurecht und sehen mit unseren Segelohren sehr doof aus und sehr süß. 

Drinnen gibt es die, die die Maske sofort vom Gesicht reißen, vielleicht nennt sie der ein oder andere im Geheimen sogar "Maulkorb". Und es gibt die, die sie eisern auf der Nase behalten. Disziplin ist ja die urdeutsche Tugend! Ich versuche mich am Mittelweg, der Standardmodus an diesem Tag ist der Ohrhänger, bei dem die Maske an einem Ohr baumelt, um jederzeit bereit zu sein, sie aufzusetzen, aber immer noch den Mund frei zu lassen für Snacks, ein Bierchen oder eine Zigarette. 

Die schwierigste Frage beim Besuch eines Vergnügungsparks: Was macht man als Erstes? Im Moment natürlich: Maske auf, Hände desinfizieren, als Mitarbeiter bekommt man sogar Fieber gemessen. Aber dann? In einem Vergnügungspark muss man sich treiben lassen, von Anfang an, auf keinen Fall darf man eine Route in einen Parkplan malen und ihr folgen! Von der ersten Attraktion muss man sich finden lassen. Sie darf nicht zu ambitioniert sein, denn dann kann man sich nicht steigern, aber auch nicht zu langweilig.

Das erste große unschuldige Vergnügen seit Monaten: Lange schlendere ich auf der Suche nach dem perfekten Einstieg durch den Europa-Park. Ich erwische mich sogar dabei, wie ich hinter dem Rücken mit mir selbst Händchen halte. Als wäre ich so ein niedlicher Kultur-Opa in der Caravaggio-Sonderausstellung. Immer wieder entscheide mich für und gegen die erste Attraktion. Was, wenn ich mich einen ganzen Tag nicht entscheiden kann? Erst mal in den Aussichtsturm, einen Überblick verschaffen. 

Von oben sehe ich: 95 Hektar Park, reichlich Platz für Aerosole und Tröpfchen, sich zu verteilen, ohne Menschen zu befallen. 100 Attraktionen, davon 13 Achterbahnen, mehr als in jedem anderen europäischen Freizeitpark, aufgeteilt auf Themenwelten wie Deutschland, Frankreich, Spanien, und, wie hübsch, weiterhin Großbritannien. Es gibt drei Kirchen, darunter eine norwegische Stabkirche und eine deutsche evangelische Kapelle, in denen man heiraten kann. 

Ich denke an die Bilder, die ich auf Instagram gesehen habe. Menschen, die wieder sorglos sind (und vielleicht ein bisschen unvernünftig): an den Münchener Isarauen, der Außenalster in Hamburg oder in Schlauchbooten auf der Spree – es treibt die Menschen zum Wasser. Also, Attraktion Nummer eins: die Wasserbahn Poseidon, deren Station ein griechischer Tempel ist, um den Plastikdelfine schwimmen.