Ein Ehepaar, bestehend aus zwei ehemaligen hochrangigen Apple-Angestellten, wird von ihrem Akupunkteur an einen buddhistischen Mönch aus Frankreich namens Brother Spirit verwiesen. Der wiederum macht die beiden mit einem bekannten Milliardär aus der Techbranche vertraut. Bei einem Treffen in dessen Anwesen in Hawaii, auf einer Klippe unter Palmen sitzend, präsentiert das Ehepaar seine Idee für ein neues Gerät, welches das Smartphone ablösen soll. 

Es ist eine Geschichte wie aus Silicon Valley – der satirischen TV-Serie, wohlgemerkt. Doch genau so ist das Start-up Humane aus dem echten Silicon Valley Berichten zufolge angeblich entstanden. "Das wird groß", soll der Milliardär gesagt haben, während in der Ferne Delfine in der Brandung tobten.

Groß ist inzwischen vor allem die Enttäuschung über das erwähnte Produkt, den Humane Ai Pin. Das Gerät in Form eines Ansteckers soll seinen Schöpfern Bethany Bongiorno und Imran Chaudhri zufolge die Hände der Menschen aus den Fängen des Smartphones befreien. Mithilfe einer Kamera, eines eingebauten Laserprojektors und künstlicher Intelligenz soll es ohne Bildschirm auskommen und trotzdem viele Funktionen des Smartphones übernehmen. Mindestens 230 Millionen US-Dollar soll Humane für die Entwicklung des 700-Dollar-Gadgets eingenommen haben. 230 Millionen für etwas, das der einflussreiche Tech-YouTuber Marques Brownlee das "schlechteste Produkt" nennt, das er bis dato getestet habe.

Mit dieser Meinung ist Brownlee nicht alleine. "Zu klobig, zu eingeschränkt", schreibt Wired. "Es funktioniert einfach nicht", resümiert The Verge. "Das grundlegende Design und die Benutzeroberfläche haben schwerwiegende Mängel", heißt es bei Bloomberg. Lange gab es kein Gadget mehr, das erst so gehypt wurde und am Ende so stark enttäuschte. 

Vergangene Woche schrieb Bloomberg mit Verweis auf Insider, dass die Verantwortlichen von Humane einen Verkauf des Unternehmens erwägen. Bestätigt ist das nicht, doch es wäre womöglich das Ende des Ai Pin in seiner jetzigen Form.

Dabei schien das Potenzial des neuen Gadgets durchaus gegeben. In den ersten Präsentationen des Ansteckers konnte Humane eine gewisse Euphorie erzeugen. Häufig war in den Berichten von der Zukunft des Smartphones die Rede. Auch ZEIT ONLINE konnte im Februar einer Demonstration des Gerätes beiwohnen – in Deutschland ist es nicht verfügbar – und dabei trotz berechtigter Skepsis zumindest einen ersten kleinen Schritt in die Post-Smartphone-Welt erkennen.

In der Vorstellung von Humane sollen die Nutzerinnen und Nutzer mit dem Anstecker sprechen und ihm Befehle geben, etwa um Restaurants in der Nähe zu finden oder Nachrichten zu schreiben. Eine künstliche Intelligenz soll diese verarbeiten und außerdem allgemeine Fragen im Stil von ChatGPT beantworten können. Über eine kleine Kamera soll der Ai Pin Informationen aus der Umwelt der Trägerin erkennen. Inhalte können auf Wunsch auf die Hand projiziert werden, wodurch sich auch Menüs steuern lassen. In der Praxis funktioniert all das den Testern zufolge aber nur leidlich. Die Antworten der Humane-KI sind zu langsam. Der Pin scheitert an simplen Aufgaben wie dem Stellen eines Weckers. Die Akkulaufzeit ist gering, die Bedienung über die Projektion auf die Hand umständlich. Kurz: Der Ai Pin will eine neue Mensch-Maschine-Schnittstelle sein, wirkt aber wie ein unausgereifter Prototyp.  

Skepsis ist angebracht

Der Ai Pin ist nicht das einzige aktuelle Produkt, bei dem Versprechen und Realität auseinandergehen. Auch Apples Mixed-Reality-Brille Vision Pro galt unlängst als die Zukunft, stößt allerdings nicht auf das erwartete Interesse bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. Was die beiden Produkte unterscheidet: Die Vision Pro funktioniert zumindest.

Man könnte nun sagen: So ziemlich alle sind auf die Versprechen des charismatischen Gründerpaares hereingefallen. Die Geldgeber, zu denen Salesforce-Gründer Marc Benioff (der anfangs erwähnte Milliardär) und OpenAI-Chef Sam Altman gehören, ebenso wie die Medien, die das Potenzial des Gerätes anpriesen, ohne es jemals in den Händen gehalten zu haben. Es ist leicht, sich von mutmaßlich revolutionären Entwicklungen blenden zu lassen. Erst recht, wenn noch "irgendwas mit KI" ins Spiel kommt, wie es derzeit bei unzähligen Produkten der Fall ist. Umso wichtiger ist es, skeptisch zu bleiben. 

Andererseits: Hinterher ist man immer schlauer.

Denn ungeachtet, ob die Entwicklung des Ai Pin wirklich 230 Millionen US-Dollar benötigt hätte, gehört das Scheitern zum Alltag in Wissenschaft und Technik. Der Vorstellung des ersten iPhones im Jahr 2007 gingen rund 20 Jahre lang Entwicklungen im Bereich von Mobiltelefonen voran, inklusive vieler Produkte, die nicht den gewünschten Erfolg hatten. Das IBM Simon von 1994 etwa wird heute häufig als erstes Smartphone überhaupt bezeichnet: Es hatte einen Touchscreen, wog ein halbes Kilo, und der Akku reichte für eine knappe Stunde Gesprächszeit. Nach nur einem halben Jahr wurde der Verkauf eingestellt, die übrigen Geräte entsorgt.