Ich bin von einem bedeutend älteren Mann geschwängert worden, als ich noch ein Teenager war. Besagter Mann hatte mich sehr gedrängt und Stein und Bein geschworen, er würde sich in der Hauptsache um den Nachwuchs kümmern. Da ich aus einem grauenvollen Elternhaus stamme, hatte ich dem nicht viel entgegenzusetzen – und so wurde ich schwanger.

Schon bald war von seiner versprochenen aktiven Vaterrolle nicht mehr die Rede, letztendlich vermutlich zum Wohl des Kindes. Gleichzeitig zum Unwohl meiner Person. Denn ich wollte Karriere machen und kann insbesondere mit kleinen Kindern auf täglicher Basis nichts anfangen. Ich weiß nicht, ob es an all dem lag, dass mich auch nicht das geringste Mutterglück überkam, als mein Sohn endlich glitschig auf meinem Bauch lag. Ich dachte einfach nur: "Aha."

Gleichzeitig setzte bei mir ein erdrückendes Gefühl von Verantwortung ihm gegenüber ein, das nichts mit Liebe zu tun hatte. Und je stärker die Verantwortung zunahm, desto weniger Liebe wuchs in mir. Nicht einmal seinen Geruch konnte ich ertragen. Dadurch hatte ich fast von Anfang an ein schreckliches Gefühl von Versagen. Entsprechend wurde mein Kind für mich das Symbol meiner eigenen Unfähigkeit, die Mutter zu sein, die ich ihm so gerne gewesen wäre. Und so habe ich angefangen, das Kind zu hassen, obwohl ich genau wusste, wie unfassbar ungerecht das ist. Dabei habe ich mich immer verzweifelt bemüht, ihn das nicht spüren zu lassen und mir selbst wieder und wieder gut zuzureden. Ich denke, das einzige, was ich in dieser Zeit richtig gemacht habe, war, ihn immer wissen zu lassen, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist und nicht mit ihm.

Trotz alledem habe ich dafür gesorgt, dass ich meine eigenen Pläne nicht aufgebe: Ich habe Abitur gemacht, studiert und den kreativen Beruf ergriffen, den ich immer ergreifen wollte. Von dem alten – und schnell auch gewalttätigen – Vater meines Sohnes habe ich mich kurz nach der Geburt getrennt.

Mein Umfeld reagierte brutal

Als mein Sohn knappe sechs Jahre alt war und ich über all die Jahre immer tiefer in den Strudel aus Schuld und mangelnden positiven Gefühlen gesogen worden war, gab es für mich nur noch die Alternative: entweder ich springe mit ihm aus dem Fenster oder ich ändere mein Leben grundlegend. Ich habe mich für Letzteres entschieden und meinen Sohn für geraume Zeit in andere Lebensumstände gegeben.

Mein Umfeld hat brutal reagiert. Eine Tante, mit der ich im Leben noch nie ein persönliches Wort gewechselt hatte, schrieb mir plötzlich einen Brief, in dem sie mir ihren Ekel darüber mitteilte, dass ich mein Kind "wie einen Hund ausgesetzt" hätte. Mein Bruder hat mich mit Schimpfworten überzogen, Freunde von mir haben den Kontakt abgebrochen. Das war alles sehr schlimm und hat unglaublich wehgetan. Aber nichts war so schlimm wie die Vorwürfe, die ich mir selbst gemacht habe, und die Gefühle von Versagen und Schuld.

Zwei Jahre lang hatte ich so gut wie keinen Kontakt zu meinem Sohn, dann über mehrere Jahre wieder zunehmend – zwar immer noch schwankend zwischen Versagens- und Schuldgefühlen, aber vor allem mit einer tiefen Erleichterung. Erst ganz spät kam die Erkenntnis, dass ich das einzig Richtige getan habe. Und noch viel später, dass ich mir erlauben darf, erleichtert zu sein, dass ich mir erlauben darf, nicht mein Leben lang dafür zu büßen, nicht die Bezugsperson für ihn gewesen zu sein, die er so sehr verdient gehabt hätte.

Und trotz allem gibt es so etwas wie ein Happy End der Geschichte: Über die Jahre ist zwischen meinem Sohn und mir ein ganz starkes Band entstanden. Mein Sohn hat mir verziehen und ich kann nicht ausdrücken, wie demütig dankbar ich dafür bin. Er hat sich ein wirklich gutes Leben aufgebaut. Außerdem – ich stehe da und staune – betrachtet er sich selbst störrisch als Glückskind. Und es ist sensationell für mich: Ich liebe seinen Geruch inzwischen und könnte ihn den ganzen Tag mit meinen mütterlichen Umarmungen vor Liebe zerquetschen. Nicht dass er dafür viel Verständnis hätte, aber er lässt es von Zeit zu Zeit duldsam über sich ergehen. Und manchmal kommt er selbst und drückt mich von sich aus ganz fest.

Dieser Text ist eine Reaktion auf unseren Aufruf "Das hatten wir uns anders vorgestellt". Das Spektrum der eingesendeten Erfahrungsberichte war sehr groß, der vorliegende Artikel steht damit nicht stellvertretend für alle anderen. Weitere Leserstimmen veröffentlichen wir in Kürze.

Die Autorin schreibt unter Pseudonym. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt.