Ich bin asexuell, oder um eine Abkürzung zu verwenden: ich bin ein Ass. Das bedeutet, dass ich Menschen nicht attraktiv finde, egal welchen Geschlechts. Weder ein Waschbrettbauch noch ein Paar Brüste wecken in mir irgendeine sexuelle Reaktion, ganz zu schweigen von Geschlechtsorganen. Das bedeutet freilich nicht, dass ich kein Empfinden für Ästhetik habe. Aber wenn ich jemanden oder etwas schön finde, dann hängt das nie mit sexueller Anziehung zusammen. Ob Angelina Jolie, Brad Pitt oder eine Perserkatze nackt am Strand vor grandioser Sonnenuntergangskulisse entlangrennen, macht für mich keinen Unterschied. Ich finde alle drei Anblicke schön, aber nicht mehr.

Die Reise zu meiner sexuellen Identität verlief holprig. Zunächst nahm ich an, ich sei heterosexuell. Schließlich wollte ich mit zwölf Jahren unbedingt eine Beziehung mit irgendeinem Menschen anderen Geschlechts haben. In der Pubertät fand ich dann auch nichts Abstoßendes an der Vorstellung einer Beziehung mit einem Menschen meines Geschlechts. Eigentlich war das Geschlecht ganz egal, fand ich. Ergo: Ich war offenbar bisexuell. Ganz wohl fühlte ich mich mit dieser Annahme jedoch nie. Die Asexualität entdeckte ich, wie die meisten Asse, erst als ich erwachsen war.

Für einen asexuellen Menschen ergibt die Fixierung auf Attraktivität, die in der Werbung oder den Medien so eine große Rolle spielt, wenig Sinn. Dass sex sells tatsächlich stimmt, wurde mir erst klar, als ich verstand, dass ich asexuell bin. Bis dahin glaubte ich vage, das sei ein Mythos, den sich Werbefachleute immer und immer wieder erzählen. Ich hielt es für so gar nicht nachvollziehbar, dass man unbewusst zu einem Produkt greift, weil es mit halbnackten Menschen beworben wird.

Ebenso hatte ich kein Verständnis dafür, wenn meine Freunde in der Pubertät von ihren neusten Schwärmen berichteten, ob nun Megan Fox oder Edward Cullen. Dass der Anblick attraktiver Menschen tatsächlich körperliche Auswirkungen hat auf meine Mitmenschen, das war mir damals nicht klar. Auch heute ist es noch ziemlich unvorstellbar. Meine Freunde sind schockiert, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mir ein Leben ganz ohne Sexualpartner vorstellen kann.

Was ich mir jedoch nicht vorstellen kann: ein Leben ohne romantischen Partner. Schmetterlinge im Bauch sind auch Asexuellen nicht unbekannt. In meiner ersten Beziehung wusste ich noch nicht, dass ich anders war, als von mir erwartet wurde. Ich habe das erste Mal permanent hinausgezögert, was zu Spannungen in der Beziehung führte. Ich wurde in der Beziehung nie direkt zum Sex aufgefordert, aber Medien, Familie und Schule vermittelten mir, dass Sex zu einer gesunden Beziehung dazugehöre. Also geschah es dann doch irgendwann. Ich war, wie ich vorher schon geahnt hatte, nicht besonders begeistert. Die ganze Sache war einfach zu langweilig und anstrengend für den mickrigen Orgasmus, der den enttäuschenden Abschluss bildete. Ein paar Wochen später stellten sich die Spannungen als zu groß für unsere Beziehung heraus.

Seither habe ich keine intime Beziehung mehr gehabt. Ich bin in den letzten Zügen meines Studiums, und obwohl viele Studierende wissen, dass Asexualität existiert, ist doch die Bereitschaft, mit einem asexuellen Menschen zusammen zu sein, niedrig. Zwei zart sprießende Beziehungsknospen habe ich mit meinem Coming-out abgewürgt. Ich gebe vor, zu verstehen, wenn die Menschen, in die ich mich verliebe, nicht ohne Sex leben können oder wollen, und nicke dann immer wohlwollend, aber tatsächlich ist mir diese Einstellung fremd. Ich verstehe nicht, wie dieses eine körperliche Verlangen wichtiger sein kann als eine emotional-intellektuelle Bindung. Dennoch akzeptiere ich es, so wie ich mir Akzeptanz von anderen wünsche.

Wenn man nicht heterosexuell ist, ist das Leben ein ständiges Coming-out. Ich erzähle Menschen nur dann von meiner Asexualität, wenn es nötig wird, also wenn ich eine Beziehung möchte. Außerdem habe ich meine engsten Freunde eingeweiht. Schon häufiger wurde ich vorsichtig gefragt, ob ich negative Erfahrungen mit Sex gemacht habe. Aber nein, ich wurde nicht misshandelt. Ich bin nicht asexuell, weil ich schlechte Erfahrungen mit Sex gemacht habe – ich habe eine schlechte Erfahrung mit Sex gemacht, weil ich asexuell bin. Ich kann mir durchaus vorstellen, hin und wieder Sex mit einer Person zu haben, um ihr eine Freude zu machen, aber nicht, weil es ein dringendes Bedürfnis für mich wäre. Es wäre etwa so, als würde ich einen sportlichen Partner zum Marathon begleiten, ohne mich selbst groß dafür zu interessieren.

Auf LGBT-Demonstrationen laufe ich manchmal aus Solidarität mit, auch weil ich inzwischen weiß, dass ich zwar nicht bisexuell, aber sehr wohl biromantisch bin. Zugehörig fühle ich mich jedoch vor allem der Gruppe der Asexuellen. Es gibt Onlinecommunitys für Asexuelle, in denen man sich austauschen und auch auf Partnersuche gehen kann. Auch die Fachliteratur wächst stetig. Aus ihr geht unter anderem klar hervor, dass Asexualität keine Krankheit ist. Es ist zwar eine Abweichung vom Standard, aber sie wird von den Betroffenen nicht als unangenehm empfunden. Ich fühle mich durch meine Kurzsichtigkeit beispielsweise um einiges stärker eingeschränkt als durch meine Asexualität. Das einzig Unangenehme an der Asexualität ist, dass die meisten Leute sie nicht verstehen und entsprechend ignorant reagieren.

Auch deshalb ist eine romantische Beziehung für mich wohl nur mit einem anderen Ass möglich – oder mit jemandem, der Asexualität wirklich versteht. Diese utopische Person kann meinetwegen auch gern Sex mit Menschen außerhalb unserer Beziehung haben. Ich möchte mit ihr nämlich nur zusammen vor dem Fernseher einschlafen, einen Bausparvertrag aufsetzen, eklige Tofugerichte kochen und dann doch ins Restaurant gehen, eine Katze adoptieren, unsere Anfangsbuchstaben in einen Baum ritzen und hin und wieder ein Küsschen austauschen. Und, ganz ehrlich, ist das wirklich zu viel verlangt?

Dieser Artikel erscheint unter Pseudonym. Der richtige Autorenname ist der Redaktion bekannt.