Meine Großeltern waren Vertriebene. Sie mussten sich den Weg nach Deutschland erkämpfen, in das Land, in dem sie ihre Chancen sahen. Es kostete viel Geld und Überzeugungskraft und war so leidvoll, als wäre es eine echte Flucht gewesen. Vor Krieg und der Hölle. Aber das hatten sie bereits vorher ertragen müssen und zum Glück überlebt.

Meine Großeltern gehören zu den vielen Flüchtlingen aus Ostpreußen, die hauptsächlich in Norddeutschland untergebracht wurden. Als sie ankamen, stießen sie auf großen Widerstand in der Bevölkerung und wurden, wie viele andere, erst daran gehindert, sich dort niederzulassen, wo sie wollten und dann oft wegen ihrer Herkunft verunglimpft. Es muss eine wahnsinnig schmerzhafte Erfahrung gewesen sein.

Doch jetzt sind Jahrzehnte vergangen und meine Großeltern wurden meine Großeltern, ihre Geschwister taten es ihnen gleich und ihre Kinder wurden Ingenieure, Ärzte und Versicherungskauffrauen. Wenn wir zu Wiegenfesten und Feiertagen zusammenkommen, fangen manche an zu erzählen von damals. Wie schwer es war, wie man in den übervollen Zügen saß, wie man über Tage nichts zu essen hatte. Sie erzählen von den Schrecken des Krieges, den sie mit der Ausreise hinter sich lassen wollten. Es sind Geschichten, die jedes Trauma rechtfertigen und die einen so manches Fehlverhalten verzeihen lassen.

Es sind Geschichten, wie sie auch die Flüchtlinge aus Syrien oder Eritrea erzählen könnten. Aber wenn man mit der alten Generation über die Flüchtlinge von heute spricht, meinen sie, das könne man mit der Situation von damals nicht vergleichen. Außerdem seien sie ja nicht wirklich ausgewandert, denn sie waren doch schon vorher Deutsche. Und ich höre mir an, was sie sagen, aber mag meinen Ohren nicht trauen. Ich dachte, wer den Schrecken des Krieges erlebt hat, ihm entkommen ist und sich auf den Weg in ein neues Leben gemacht hat, kann verstehen, in welcher Situation sich diese Menschen befinden. Aber nein, sie fragen sich, warum die Flüchtlinge heute vor allem junge Männer sind, wo doch früher immer die ganzen Familien geflohen seien. Sie glauben, dass die Menschen, die man jetzt Flüchtlinge nennt, nicht arbeiten wollen, sich nicht integrieren wollen und überhaupt nicht in Deutschland sein wollen.

Dazu kommen, durch Mangel an Kontakt mit Menschen aus unterschiedlichen Ländern, völlig wirre Vorurteile. Dabei geht es um höhere Kriminalitätsraten, höhere Gewaltbereitschaft und die umliegenden Brennpunkte unserer Heimatstadt. Dass an meiner Universität rund 30 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund studieren und den "German way" leben, interessiert nicht in einer Diskussion, die von so viel Empathie und Mitgefühl erfüllt sein könnte, es aber nicht ist. Denn die Menschen, die heute in Deutschland leben und damals Flüchtlinge waren, fühlen sich jetzt als Deutsche und scheinen heilfroh, dass sie sich endlich gegen Eindringlinge wehren können.