Verteidigungsminister Boris Pistorius möchte einen neuen Wehrdienst einführen, um Deutschland "kriegstüchtig" zu machen. Seine Idee: Junge Frauen und Männer sollen einen Fragebogen zugeschickt bekommen und sich mit der Idee auseinandersetzen, ob sie zum Bund wollen. Männer müssen den Bogen ausfüllen, Frauen nicht. Sein Konzept ist der erste Schritt zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht. Ist das eine gute Idee? Wir haben 15 Mitarbeitende von ZEIT und ZEIT ONLINE gebeten, ganz persönlich auf diese Frage zu antworten.

Wir Friedenskinder

Ingo Arzt, 46, stellvertretender Ressortleiter Gesundheit 

Ich habe in den Neunzigerjahren Abitur gemacht, ich bin also das Kind einer Zeit, in der Frieden in Europa unzerstörbar schien. Meine frühen politischen Erinnerungen: Die Mauer fällt, keine Tiefflieger mehr über unserem Dorf, die Scorpions pfeifen zum Ende des Kalten Krieges, Europa vereint sich immer enger. Der Balkankrieg war in der Lesart ein finales, brutales Aufflammen. Und in der Zeit dachte ich wie so viele, dass Uniformen, Militär, Waffen besitzen, eine selbsterfüllende Prophezeiung ist. Auch in demokratischen Staaten erhalten sie Gewalt als Mittel der Politik. Auch friedliche Länder setzen Soldaten dafür ein, Ölvorräte und Handelswege zu sichern, und kaum, um Menschenrechte zu verteidigen.  

Ich glaube das heute noch, aber dennoch ist da diese bittere Erkenntnis: Es braucht Waffen und die glaubhafte Versicherung, dass genug Menschen da sind, die sie benutzen können, um Frieden zu sichern. Die oft hohle und oft missbrauchte Rede von der Verteidigung der Freiheit – sie hat einen desillusionierenden, wahren Kern. Das muss ich, das müssen viele Friedenskinder gerade lernen. 

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Frauen an die Waffe!

Lisa Hegemann, 36, Digital-Ressortleiterin 

Was für ein archaisches Weltbild steckt bitte hinter der Vorstellung, dass eine Wehrpflicht (oder zumindest das verpflichtende Zettelausfüllen zum Wehrdienst) nur was für Männer ist? Im Artikel 12a des Grundgesetzes steht bis heute: Frauen "dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden". Als könnten Frauen sich qua Geschlecht nicht selbst verteidigen, als könnten sie keine Waffe bedienen oder gar abfeuern, als bräuchten sie einen starken Mann, der sie doch bitte vor einem bösen Angreifer schützt.  

Die Forderung nach einer Wehrpflicht ist natürlich maximal unattraktiv: Wer will schon sein Leben riskieren, wer einen Nationalstaat verteidigen MÜSSEN? Klar, ich würde auch am liebsten niemals zur Waffe greifen, niemals einen Menschen töten, niemals mein Heimatland verteidigen. Gleichberechtigung hört aber nicht am Kaserneneingang auf. 

Frauen sollten in allen Lebensbereichen nicht nur die gleichen Rechte haben wie Männer – sondern eben auch die gleichen Pflichten. Dass Russland irgendwann die Nato angreift, ist ein durchaus mögliches Szenario. Darauf sollten nicht nur Männer vorbereitet sein. Sondern wir alle. 

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Gekämpft haben wir nur gegen die Langeweile

Marcus Jauer, 49, freier Autor für DIE ZEIT  

1993 bin ich direkt nach dem Abi zur Bundeswehr. Genau wie alle meine Freunde. Ich erinnere mich nicht, dass irgendwer Zivildienst gemacht hätte. Aber das war eher ein Automatismus. In der DDR, in der wir gerade alle noch gelebt hatten, gab es auch da keine Auswahl, nur die NVA. Damals hätte ich drei Jahre "zur Armee" gehen müssen, wenn ich studieren wollte. Jetzt kam ich mit einem Jahr davon. 

Meine Grundausbildung bekam ich bei einem Jägerregiment im Erzgebirge. Die meisten meiner Vorgesetzten hatten noch in der NVA gedient und ließen sich nun, um mehrere Dienstgrade herabgesetzt, von Offizieren aus dem Westen herumkommandieren. Jahrelang war die Nato ihr Feind gewesen, nun waren sie Teil davon. Einen Rest Loyalität hatten sie sich lediglich für die Kalaschnikow erhalten, die sie für das weitaus bessere Gewehr hielten als das G3 der Bundeswehr, das sie sofort wegwerfen wollten, "wenn der Russe kommt". Aber der Russe zog damals gerade aus Deutschland ab. 

Dass ich als Wehrpflichtiger in dieser Zeit kriegstüchtiger geworden wäre, als man es nach ein paar Runden Paintball ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß noch, dass wir viel geputzt haben und immer aufpassen sollten, dass nichts kaputtging. Gekämpft haben wir nur gegen die Langeweile. Ich vermute, das dürfte in jeder Armee so sein, die nicht für Angriff und Eroberung gedacht ist. Wer abschrecken will, muss das Warten ertragen können. Alle anderen sind bei einem Pflichtjahr Bäumepflanzen besser eingesetzt. 

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In Deutschland macht man FSJ, in Norwegen lernt man schießen

Anaïs Kaluza, 28, Redakteurin im Ressort Gesundheit 

Vor zwei Jahren war ich in Norwegen, um über die Frauenwehrpflicht zu berichten, die das Land 2015 eingeführt hat. Seitdem müssen sich nicht nur Männer mustern lassen, sondern auch Frauen. Am Ende ziehen Heer, Marine und Luftwaffe rund jeden Sechsten eines Jahrgangs ein, davon ist ein Drittel weiblich. Man kann bei der Musterung sagen, ob man dienen möchte oder nicht. Angeblich gibt es immer mehr Motivierte als Plätze. Einige Jugendliche trainieren sogar auf diesen Tag hin: stemmen Gewichte, gehen joggen. 

Ich war erstaunt, wie selbstverständlich das Militär dadurch für die norwegische Jugend ist. Jeder kennt irgendwen, der ein Jahr in einer Kaserne verbracht hat. Schwestern, Brüder, Nachbarinnen, alte Mitschüler. Eine Rekrutin erzählte mir: "Viele meiner Freunde wollten zum Militär, das hat mich beeinflusst. Dadurch dachte ich: Okay, so schlimm kann es ja gar nicht sein." Die Wehrpflicht ist in Norwegen beliebt. Und das hat wenig mit Kriegslust oder Nationalismus zu tun. Viele Rekruten erzählten mir, dass sie nach der Schule nicht wussten, wohin mit sich. Nur dass sie persönlich reifen wollten, sich etwas beweisen wollten, das wussten sie. Also nahmen sie dankbar das Angebot an: ein Jahr Uniform, Hochbetten, Nachtwanderungen, Klettern, Waffendrill und Schießtraining. Selfies in Tarnanzügen für Instagram, die Wehrpflicht als Gap-Year, als Bootcamp, als "Challenge" – dieses Wort habe ich immer wieder gehört. In Deutschland macht man FSJ, in Norwegen lernt man schießen.  

Ich bin mir bis heute nicht sicher, was ich davon halte, ob ich mir dasselbe für Deutschland wünsche. Ist es eine Win-win-Situation? Junge Menschen per Brief mit einer Möglichkeit konfrontieren, die sie im besten Fall stärkt – und so gleichzeitig die Verteidigung stärken, die in diesen Zeiten unbestreitbar nötig ist? Oder ist es komplizierter? Verharmlost die Selbstverständlichkeit einer Wehrpflicht vielleicht ihren eigentlichen Zweck? Eine Rekrutin sagte zu mir: "Krieg, das klingt für mich gruselig. Aber ich glaube, sie werden mich darauf vorbereiten. Obwohl … auch dann klingt es noch gruselig." Das Sturmgewehr von Heckler & Koch sah in ihren Händen aus wie eine Spielzeugwaffe. 

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Ist das ungerecht? So was von

Mariya Martiyenko, 22, Hospitantin beim ZEITmagazin 

Vor drei Jahren habe ich mich als Pazifistin bezeichnet. Hätte mir jemand gesagt, dass ich mich heute mit Raketen, Panzern und Luftabwehrsystemen auskennen werde, hätte ich es nicht geglaubt. Ich bin in Charkiw geboren und lebe seit meinem neunten Lebensjahr in Deutschland. Seit in meinem Heimatland Krieg herrscht, sehe ich Videos von Explosionen aus dem Stadtteil, in dem meine Großeltern leben. Mein Onkel dient als Chirurg beim Militär. Jeden Tag verfolge ich die Frontentwicklungen und die Listen der vom Westen gelieferten Waffen.  

Deutschland muss verteidigungsfähig sein, das ist keine Frage des Wollens, das ist eine Notwendigkeit. Fühle ich mich davon überfordert? Ja, natürlich. Klimakrise, demografischer Wandel, Aufstieg autokratischer Regime – die Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen, ist nur eine von vielen Aufgaben, die meine Generation zu bewältigen hat. Ist das ungerecht? So was von.  

Ich will nicht kämpfen, ich will nicht wissen, wie man eine Waffe hält, wie man Minen legt, wie man schießt. Ich will um die Welt reisen und Kritiken über das nächste Album von Beyoncé schreiben. Aber ohne Frieden gibt es weder Freiheit noch Selbstbestimmung. Und deshalb weiß ich: Würde Deutschland angriffen werden, ich würde mich bereit erklären zu kämpfen, auch wenn ich Angst habe. 

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Raus aus den Bubbles

Julian Stopa, 23, Redakteur im Hochkant-Team 

Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um einer Wehrpflicht zu entkommen. Wer will schon ausschließlich mit Männern arbeiten, die lieber Flecktarn als Baggy Jeans tragen und Bock auf Rumballern haben? Wenn ich mich einfach dagegen entscheiden kann, mit diesen Männern in den Krieg zu ziehen, vielleicht sogar zu sterben, ich würde Nein ankreuzen. 

Was ich aber gut fände: ein verpflichtendes Dienstjahr für alle. Wenn eine ganze Generation, über alle Geschlechter und sozioökonomischen und kulturellen Hintergründe hinweg, nach der Schule ein Jahr zusammen verbringt, ist die nationale Wehrhaftigkeit nicht das einzige Produkt einer Wehrpflicht. Plötzlich hat eine Generation einen (etwas erzwungenen) gemeinsamen Nenner, junge Menschen kommen aus ihren Bubbles raus, Städter lernen Dörfler kennen und andersrum, Horizonte werden erweitert und vielleicht kann so verhindert werden, dass weiße, reiche Kids auf Sylt unverhohlen ausländerfeindliche Nazi-Texte in die Kamera grölen.  

Wenn ein Pflichtdienst also kein braunes Sammelbecken männeriger Rechter wäre, sondern ein großer, bunter Teich, der unsere Gesellschaft mit jeder Schuppe abbildet, ist das eine gute Idee. 

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Romantische Oberschichtfantasie

Titus Blome, 28, Redakteur in der Kultur 

Es gibt diese Idee, dass eine Wehrpflicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärke. In der Kaserne, so wurde mir das zu Hause immer erzählt, da treffen der Metzgersohn, das Lehrerkind und der Unternehmenserbe aufeinander. Dort lernen sie Kameradschaft und Solidarität. Frühmorgendliche Appelle und gemeinsames Panzerpolieren schmieden sie zusammen. Das war selbst lange meine Haltung und mein Argument in Diskussionen, doch es ist völliger Quatsch. 

Ein Freund, im Gegensatz zu mir kein gänzlich behütet aufgewachsenes Akademikerkind, machte mir vor Jahren klar: Der Metzgersohn, das Lehrerkind und der Rest der Gesellschaft kennen einander längst. Sie teilen sich Bolzplatz und Schule, Sportverein und Ferienlager. Es ist allein der Unternehmenserbe, hier einstehend für eine breitere Oberschicht, der auf diese Durchmischung angewiesen wäre, der Solidarität so spät noch lernen müsste. Es gibt eine Gruppe junger Menschen, die ihr Leben lang auf Privatschulen unter ihresgleichen auf, im Tennisverein, in Ferienhäusern von Freunden oder Veranstaltungen wie Adel auf dem Radel (gibt es wirklich). Für sie wäre eine Wehrpflicht eine lohnende Erfahrung, womöglich sogar eine charakterformende.  

Mein Freund hat völlig recht: Ganze Generationen in uniformierte Kollektivhaft zu nehmen, um den obersten zehn Prozent Sozialkompetenz einzubläuen, ist nicht zu rechtfertigen. Die gesellschaftliche Spaltung durch Pflichtdienste zu flicken, bleibt die romantische Fantasie einer Oberschicht, die von ihren Mitmenschen viel isolierter ist als jedes andere Milieu, auf das sie sonst gerne mit dem Finger zeigt. 

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Meinen Neffen bekommt ihr nicht

Marco Fründt, 29, Werkstudent im Videoressort

Die Wehrpflicht auszusetzen, war ein zivilisatorischer Fortschritt. Er hat Jugendlichen wie mir damals erlaubt, sich selbstbestimmt und frei zu entfalten. Ich denke in letzter Zeit viel über meinen Neffen nach. Der Sohn meines Bruders ist fast zehn Jahre alt. Wenn wir über eine zukünftige neue Wehrpflicht sprechen, dann geht es um ihn. Er wächst in einer Gesellschaft auf, die immer rechter, immer autoritätshungriger wird. Bevor darüber gestritten wird, wie möglichst viele 18-, 19-, 20-Jährige an die Waffe gebracht werden können, sollte die Bundeswehr erst einmal ihr Rechtsextremismusproblem lösen. Bis dahin halte ich es mit Reinhard Meys Lied, das mein Vater mir einst zeigte: Nein, meinen Neffen geb ich nicht! 

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Nicht für dieses Deutschland

Philip Moser, 27, Redaktionsvolontär

Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, als ich noch zur Schule ging. Ich war erleichtert, nicht mit dem Bund konfrontiert zu werden. Wenn sich ein Staat schwertut, Bürger:innen für die Verteidigung zu finden, dann muss er sich die Frage stellen: Warum?  

Neben vielen anderen jungen Menschen habe ich die Krisenjahre materiell wahrscheinlich viel deutlicher gespürt als so einige Kolumnistinnen und Feuilletonisten mittleren Alters, die jetzt verbal aufrüsten und die Jugend in die Pflicht nehmen wollen. Die Wohnungsnot ist groß, die Bildung ungerecht, der Klimaschutz verdient seinen Namen nicht, reaktionäre Strukturen erstarken; sogar wenn es um Kinderarmut geht, fehlt der politische Wille – welches Deutschland soll ich verteidigen? 

Würde Deutschland morgen von einem unterdrückerischen Terrorstaat wie Putins Russland überfallen werden, würde ich meine Mitmenschen und mich verteidigen wollen, zur Not bewaffnet. Ich mache mir keine Illusionen darüber, wie viel freier ein Leben in der Bundesrepublik ist als andernorts. Aber vorsorglich verpflichtet werden? Nicht so. 

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Die Urangst jeder Mutter

Wenke Husmann, 56, Redakteurin im Ressort Familie 

Vergangene Woche sagte eine Ukrainerin im Gespräch, sie würde lieber in einer Ukraine unter Putin leben, als ihren Sohn, der heute noch ein Kind ist, in diesen Krieg schicken zu müssen. Ich verstehe sie.  

Als Russland die Ukraine überfallen hat, war mein Sohn 19. Wir waren beide zutiefst dankbar, hier zu leben und nicht zufälligerweise 1.000 Kilometer weiter östlich. Denn was die jetzt diskutierte Wehrpflicht von den Scheinscharmützeln – "Bund oder Zivi?" – meiner eigenen Jugend unterscheidet, ist die Realität des Krieges. Sie ist heute viel präsenter. Falls die Bundeswehr wieder anfängt, im großen Stil junge Rekruten auszubilden, tut sie dies aus genau einem Grund: Um sie im Ernstfall einberufen zu können. Das ist die Urangst jeder Mutter. 

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Ich wollte Soldat werden

Lea Marheineke, 30, UX-/UI-Designerin ZEIT ONLINE 

Als Kind wollte ich Soldat werden. Ich wusste nicht, dass es auch das Wort Soldatin gibt. Ich wusste nur, dass ich fasziniert war von der Armee. Wir wohnten direkt neben einem Panzerübungsplatz. Als Kind spielte ich dort und sammelte Patronenhülsen. In der Grundschule wurde ich für meinen Wunsch ausgelacht. Soldat, das sei doch was für Jungs. Mädchen gehen nicht zur Bundeswehr. Mein sechs Jahre älterer Bruder wurde für den Wehrdienst eingezogen. Ich wusste nicht, dass ich mich mit 18 hätte freiwillig melden können. Würde ich heute als 18-Jährige einen Fragebogen zugeschickt bekommen, ich bin mir sicher, ich würde mich für eine Grundausbildung melden. 

Vor einigen Jahren habe ich meinen Partner kennengelernt. Er ist Berufssoldat. Durch ihn hat sich mein Blick auf die Bundeswehr verändert. Die rosarote Brille ist verschwunden. Ich sehe nun die strukturellen Probleme und den Personalmangel, aber auch, wie wichtig eine Armee ist – gerade in politisch unsicheren Zeiten wie diesen. Ich finde es richtig, wenn junge Menschen mit der Frage konfrontiert werden, ob sie zur Bundeswehr gehen wollen oder nicht. Egal ob Frauen oder Männer! Aber ich störe mich an dem Wort Pflicht. 

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Lob der Auszeit

Till Schwarze-Thurm, 44, Redaktionsleiter 

Am Anfang stand die Musterung. Ob Kriegsdienstverweigerer oder nicht: Ins Kreiswehrersatzamt mussten wir alle. Antreten für die Tauglichkeitsprüfung. T1, T2, T3 oder T6 – geeignet für den Wehrdienst oder nicht? Also saß ich da 1998 in diesem Raum der ehemaligen Jägerkaserne in Kassel zwischen lauter gleichaltrigen Jungs, von denen es manche kaum erwarten konnten, bald eine Waffe in der Hand halten zu können. 

Über den geradezu archaisch wirkenden Akt der Musterung kursierten viele Geschichten. Was zutraf: Kniebeugen, Gesundheitskontrolle mit heruntergelassenen Hosen, Fragen zu Psyche und Drogenkonsum. Und offenbar auch zu sexuellen Einstellungen: Ein Mitschüler wurde von der Bundeswehr noch zum Nervenarzt geschickt, weil er homosexuell war. 

T2 lautete das Ergebnis meiner Musterung, Verwendungsfähig mit Einschränkungen. Wegen meiner Größe (über 1,90 Meter) und Kurzsichtigkeit durfte ich weder Kampfpilot noch Gebirgsjäger werden. Wollte ich auch nicht. Dass ich den Wehrdienst verweigern würde, war für mich gesetzt. Nicht weil ich Pazifist gewesen wäre – das bin ich bis heute nicht. Aber meine protestantisch-pazifistische Erziehung wirkte nach, und vor allem hatte ich keine Lust, mich zehn Monate lang von jemandem rumkommandieren zu lassen und in einer Kaserne eingesperrt zu sein. Dann lieber zwei Monate länger den zivilen Ersatzdienst – dafür in Freiheit und selbstbestimmt. 

Und ein Jahr der Freiheit wurde es auch. Trotz der Zwangsverpflichtung. Ich hatte ein Jahr zwischen Abi und Uni, in dem ich abseits vom Job kaum Verpflichtungen hatte und nach langen Taschengeldjahren über ein erfreulich hohes Einkommen von damals etwa 900 D-Mark verfügte.

Ob ich mich heute anders, also für den Dienst an der Waffe entscheiden würde? Eigentlich müsste ich. Denn eine Bundeswehr, die zur Landesverteidigung in der Lage ist, halte ich für absolut notwendig. 

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Wer Wehrpflicht sagt, soll auch Zivildienst sagen!

Thomas Strothjohann, 36, stellvertretender Leiter der Entwicklungsredaktion 

Ich gehöre zu einer der letzten Generationen, in der Männer noch Ersatzdienst leisten mussten, wenn sie den Wehrdienst verweigerten, und ich empfand das nie als unfair. Im Gegenteil: Ich hatte das Glück, meinen Zivi in Nicaragua zu machen. Ich fuhr mit dem Bücherbus Bertolt Brecht zu Schulen und Gefängnissen. Ich habe Kindern Bücher vorgelesen, mit Insassen gequatscht und konnte mir in dem Jahr überlegen, was ich studieren wollte. In meiner Generation hat jeder Geschichten, was er in seinem Zivi oder beim Bund erlebt oder gelernt hat. 

Wer Wehrpflicht sagt, soll auch Zivildienst sagen! Nicht nur die Bedrohungslage hat sich seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 geändert – auch der Personalmangel in sozialen Einrichtungen ist ein Problem. Ich finde, dass ein verpflichtender Zivildienst für alle (nicht nur Männer), die verweigern, eine gute Sache wäre. Sie könnten Menschen in Alten- und Pflegeheimen Gesellschaft leisten. Sie könnten etwas gegen den Personalmangel in Kitas beitragen und natürlich auch etwas fürs Leben lernen. 

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Heute würde ich mich anders entscheiden

Götz Hamann, 54, Reporter ZEIT ONLINE 

Im Frühling 1989 musste ich mich entscheiden, Wehrdienst oder nicht. In Prag flüchteten erste Menschen in die deutsche Botschaft, der Eiserne Vorhang bekam Löcher, und Osteuropa begann, frei zu sein. Es war der Beginn vom Ende realsozialistischer Diktaturen, und ich sollte nun entscheiden, ob ich einen Wehrdienst in einer großen Panzerarmee antrete, der gerade offensichtlich der Gegner abhandenkam. Ich verweigerte. Ging ins Krankenhaus. Pflegte alte Menschen, begleitete mehr als ein Dutzend von ihnen bis in den Tod. Half, ihre Körper zu säubern und sie in Blechsärgen in einen gekühlten Keller zu fahren. 

Heute würde ich mich anders entscheiden, nicht, weil ich es nicht ausgehalten habe, nicht, weil ich meine Zeit im Krankenhaus nicht sinnvoll fand oder finde. Aber wir erleben eine andere Zeitenwende als 1989, und ich kann nicht daran vorbeischauen, dass wir wieder eine ernst zu nehmende Landesverteidigung brauchen. Dringend brauchen. Deshalb würde ich heute nicht verweigern, so schwer ich mich auch mit der Art von Gehorsam tue, die beim Militär herrscht. Sowenig ich die Vorstellung anziehend finde, mit einem halben Dutzend anderer junger Männer für Monate in einem Zimmer eingepfercht zu sein. Aber ich würde es tun. Wenn mein jetzt 18-jähriger Sohn diesen Brief von Boris Pistorius bekäme und sich entschiede, einen Wehrdienst anzutreten, dann fände ich tatsächlich, er träfe die richtige Entscheidung. 

Wir wollen wissen, was junge Menschen, die potenziell vom neuen Wehrdienst betroffen wären, darüber denken. Würden Sie den Wehrdienst leisten? Halten Sie die Regelung für notwendig oder unangebracht? Schreiben Sie uns über das Formular oder per Mail an community-redaktion@zeit.de

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