Für viele Studierende war klar: Wenn der Lockdown kommt, geht es zurück zu Mama und Papa. Weil es in der WG einsam wird, man die Familie vermisst oder zu Hause ein bisschen umsorgt wird. Drei Studierende erzählen, wie es sich wieder anfühlt, ins alte Kinderzimmer zu ziehen und warum manche von ihnen doch wieder zurück in ihre Uni-Stadt wollten.

"Wenn jetzt die Sperren kommen, dann bist du ganz allein"

Dana Billepp, 25, studiert Englisch und Pädagogik auf Gymnasial- und Gesamtschullehramt in Köln. Um in der Trennungsphase von ihrem Freund nicht allein zu sein, ist sie zu ihren Eltern in die Nähe von Darmstadt gefahren. 

Fünf Tage vor dem Kontaktverbot einigten wir uns auf eine Auszeit: Mein Freund und ich hatten einen Riesenstreit. Als Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache sagte, dass nur Abstand Ausdruck von Fürsorge sei, erschien mir diese Auszeit plötzlich doppelt sinnvoll – wie ein seltsam passender Zufall. Gleichzeitig war ich hin- und hergerissen. Ich dachte: Wieso müssen wir uns ausgerechnet jetzt distanzieren, in dieser schwierigen Zeit?

Dana Billep hat ihr selbstständiges Leben vermisst. © privat

Kurz nach dem Streit rief mich mein Vater an. Anders als ich ahnten meine Eltern, dass eine Kontaktsperre kommen könnte. Sie wollten mich bei sich haben. Als ich von meinem Freund und mir erzählte, sagte Papa am Telefon: "Wenn jetzt die Sperren kommen, dann bist du ganz allein." Also willigte ich ein. Zweieinhalb Stunden fuhr er über die A3 nach Köln, um mich abzuholen. An dem Tag war es warm, ich warf nur ein paar Kurzarm-Shirts und drei Kleider in meinen Koffer. Dass ich über einen Monat bleiben würde, lange genug für mehr als einen Wetterwechsel, das ahnte ich da noch nicht.

Meistens bin ich höchstens eine Woche zu Hause. Ich liebe meine Eltern, aber wir kriegen uns manchmal schon wegen Kleinigkeiten in die Haare. Mama mag es nicht, wenn man sich gehen lässt: Zum Beispiel, wenn ich in alten, längst von ihr aussortierten Pullovern aus dem Haus gehe. Sie gibt mir gern Ratschläge: Zieh dies nicht an, gib dein Geld lieber für neue statt gebrauchte Möbel aus. Sie meint es gut, aber ich bin 25 und dann schnell genervt. Papa liest viel. Wenn er erst mal damit angefangen hat, bekommt er gar nichts mehr mit, selbst wenn wir uns eigentlich mitten in einem Gespräch befinden.

Dieses Mal war es anders. Wir waren rücksichtsvoller zueinander, haben uns Kritik verkniffen. Vielleicht auch, weil jeder seine Sorgen hatte: Meine Mutter ist stellvertretende Schulleiterin einer Berufsschule, sie musste Stundenpläne und Prüfungen umorganisieren. Wenn der Unterricht wieder losgeht, wird sie mit vielen Menschen Kontakt haben, mit ihren Schülern, ihren Kollegen. Mein Vater gehört zur Risikogruppe und ist seit Februar in Rente. Er fürchtet, meine Mama könnte ihn anstecken. "Vielleicht sollte ich einfach in den Keller ziehen", schlug er halb ironisch vor, als wir beim Abendessen über eine Lösung nachdachten.

Nach einem Monat haben mein Freund und ich uns endgültig getrennt. Eigentlich wollte ich in der Woche zurück nach Köln fahren, doch direkt nach der Trennung hätte ich das nicht ertragen: An den weißen Wänden meiner Wohnung hängen Fotos von uns, im Bad steht sein Duschgel, sein Rasierer. In jeder Ecke kleben die Erinnerungen.

Mit meinen Eltern konnte ich über die Trennung reden, darüber, wie traurig ich gerade war. Und ich konnte viel nachdenken. Zu Hause ist ein sicherer Ort für mich, hier geht so etwas gut. Wir alle hatten unseren Rhythmus. Papa und ich spielten nach dem Frühstück Schach, Mama ging zur Arbeit. Ich habe Daten für meine Masterarbeit ausgewertet und bin viel spazieren gegangen, entlang der Rapsfelder und Weinberge, die an unser Dorf grenzen. Abends saßen wir oft nach dem Essen zusammen im Wohnzimmer. Es fühlte sich fast so an, als sei ich wieder eingezogen.

Trotzdem habe ich mein selbstständiges Leben in Köln vermisst, meine beste Freundin hier, meine schöne Wohnung. Also bin ich vor einer Woche zurückgekehrt. Ich werde erst mal bleiben – auch, um keine Ansteckungsgefahr für meine Eltern zu sein. Der Gedanke hat mich zu Hause häufig belastet.