Wenn Pepa Pérez* über ihre Arbeit spricht, könnte sie stolz sein. Sie arbeitet im Europaparlament, seit Jahren fährt sie jede Woche hin, zu ihrem Arbeitsplatz im Herzen der Europäischen Union, wo mehr als 700 Abgeordnete die Zukunft der Staatengemeinschaft gestalten.
Nur ist Pérez inzwischen alles andere als glücklich im
Parlament, was sie erlebt, macht sie wütend. Ihr Arbeitsplatz mag Prestige
haben, doch sie ist keine gut bezahlte Abgeordnete, sondern Reinigerin: Pérez
und andere putzen die Toiletten der Politikerinnen und Politiker, leeren
Mülleimer, wischen Böden, sodass alles schön strahlt.
Ihr Reinigungsausweis zeigt den echten Namen, hier heißt Pérez zu ihrem Schutz anders. Jedes Detail kann verraten, dass die Person geredet hat, auch ihr Geschlecht. Fortschrittlich, fair, fürsorglich, so wolle die EU sein, sagt Pérez. Nichts davon erlebe sie. "Ich fühle mich nicht gut. Ich schlafe schlecht, manchmal bloß drei Stunden, ich bin deprimiert." Alles wegen der Arbeit? "Ja! Ja!"
Unsichtbare Arbeit
Mindestens 3,5 Millionen Reinigungskräfte arbeiten laut
Eurostat in den Ländern der EU, oft Migranten und Migrantinnen, die aus
Drittstaaten kommen. Sie arbeiten meistens, ohne groß bemerkt zu werden. Doch
gerade wer unsichtbar beschäftigt ist, erlebt leichter Machtmissbrauch und
prekäre Zustände.
Dass sich das auch findet, wo man es nicht erwarten würde, zeigen monatelange Recherchen von ZEIT ONLINE: Sie beleuchten die Arbeitsbedingungen der etwa 200 Reinigungskräfte im Europaparlament. Aussagen von mehr als 20 Menschen, die im Parlament arbeiten, sowie interne Dokumente machen klar: Gereinigt wird im Parlament unter erschwerten Bedingungen. Die Rede ist von Vorgesetzten, die willkürlich agieren, von geringen Gehältern, schlechter Ausstattung und Arbeitszeiten, die auslaugen.
Dabei kennen Verwaltung und Parlamentspräsidium die
Beschwerden seit Jahren. Die langjährige Europaabgeordnete und frühere deutsche
Justizministerin Katharina Barley sagte auf Nachfrage: "Wir
sozialdemokratischen Vizepräsident:innen haben im Präsidium wiederholt
angemahnt, dass die extern angestellten Personen, explizit auch das
Reinigungspersonal, faire Arbeitsbedingungen brauchen und verdienen." Geändert
hat sich offenbar nichts. Manchmal, so erzählt es eine Reinigerin, verweilten
sie im Europaparlament nicht putzend im WC, sondern weinend. Wie kann das sein?
Wenn man aus Angst schweigt
Die Reinigerin Pérez spricht nicht im Parlament über ihren Job, sondern in der stillen Ecke eines Cafés. Ein Vertrauter ist dabei, Übersetzer und Zeuge zugleich. Zugang zum Kreis der Reinigungskräfte des EU-Parlaments zu erhalten, war nicht leicht: Viele haben Angst, ihren Job zu verlieren, sollten sie kritisch über ihre Arbeit sprechen.
Laut Pérez werden Kolleginnen und Kollegen, die sich beschweren,
strafversetzt. Eben noch putze man im großen hellen Parlamentsgebäude –
plötzlich im Keller. Ohne Tageslicht. Sie dokumentiert inzwischen alles, was sie reinigt. Weil, das
befürchtet Pérez, ihre Chefs sie loswerden wollen.
Das Europaparlament übernimmt seinen Reinigungsdienst
nicht selbst, sondern vergibt ihn an externe Firmen – besonders solche, die günstig sind. 2022
haben zwei Firmen den Zuschlag bekommen: ISS Facility Services,
ein dänischer Dienstleistungskonzern, und Atalian, eine in 19 Ländern
agierende Holding mit Hauptsitz in Frankreich. Die Brüsseler Büros beider Firmen liegen außerhalb des
Europaviertels, das von ISS abgelegen hinter Cargohallen am Flughafen. Atalian sitzt im Süden der Stadt.
Ausgelagerte Arbeit
Dass Arbeiten extern ausgelagert werden, komme oft vor, sagt der Arbeitsrechtler Christian Picker, Professor an der Universität Tübingen. Problematisch werde es, wenn Auftraggeber nicht mehr kontrollieren, unter welchen Bedingungen die Arbeit am Ende erledigt wird. Wenn Arbeiten an Unternehmen vergeben werden, die wiederum andere Firmen beauftragen. Die sogenannte Unterauftragsvergabe. "Problematisch ist sie vor allem bei einfachen Dienstleistungen wie Reinigungsarbeiten", sagt Picker. Denn hier drohe ein Wettbewerb zulasten der Arbeitsbedingungen.
Wenn Pepa Pérez* über ihre Arbeit spricht, könnte sie stolz sein. Sie arbeitet im Europaparlament, seit Jahren fährt sie jede Woche hin, zu ihrem Arbeitsplatz im Herzen der Europäischen Union, wo mehr als 700 Abgeordnete die Zukunft der Staatengemeinschaft gestalten.
Nur ist Pérez inzwischen alles andere als glücklich im
Parlament, was sie erlebt, macht sie wütend. Ihr Arbeitsplatz mag Prestige
haben, doch sie ist keine gut bezahlte Abgeordnete, sondern Reinigerin: Pérez
und andere putzen die Toiletten der Politikerinnen und Politiker, leeren
Mülleimer, wischen Böden, sodass alles schön strahlt.