Zuerst fühlte sich Homeoffice in der Corona-Krise wie ein Provisorium an, mit Arbeiten am Küchentisch und dem Laptop irgendwo griffbereit. Doch für viele Menschen könnte sich diese Übergangslösung dauerhaft etablieren – Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, das Recht auf Homeoffice gesetzlich zu verankern. Wie schafft man sich dafür das richtige Umfeld und die nötige Konzentration, wenn die Wohnung zu klein ist für ein Arbeitszimmer? Das haben wir Mateo Kries gefragt, den Direktor des Vitra Design Museums.

ZEITmagazin ONLINE: Herr Kries, viele von denen, die derzeit zu Hause aus arbeiten, könnten dies – zumindest teilweise – auch künftig tun. Wird das nicht große Veränderungen nach sich ziehen, nicht nur mit Blick auf die verwaisten Büros, sondern vor allem auf unser Zuhause? Verändert Homeoffice das Wohnen?

Mateo Kries: Ich gehe davon aus, dass sich die Raumsituation ändert. Es ist natürlich zu früh, um über die Architektur zu reden, darüber, dass die Grundrissplanung sich in Zukunft verändern könnte. Aber der Anteil neu entstehender Häuser ist ohnehin gering, die meisten Menschen leben in Wohnungen, die bereits gebaut sind. Und wir haben steigende Mietpreise, die Menschen werden sich in Zukunft nicht größere Wohnungen oder Häuser leisten können, in denen es einen Raum mehr zum Arbeiten gibt. Innerhalb der vorhandenen Räume wird man sich Gedanken über Gliederungssysteme machen müssen: Wie kann man innerhalb der vorhandenen Räume Zonen abtrennen, in die man sich mal zurückziehen kann?

ZEITmagazin ONLINE: Wie könnte man das machen, wenn man wenig Platz hat?

© Bettina Matthiessen/​Vitra Design Museum

Kries: Was ich interessant finde, ist der Paravent. Das ist ein Möbel aus dem 19. Jahrhundert, aus dem bürgerlichen Salon. Solche flexiblen Elemente bieten das Maß an Offenheit und Abgrenzung, das man individuell braucht. Ebenso wichtig sind kleine Arbeitstische, Sekretäre. Dieser große Schreibtisch im eigens dafür bestimmten Arbeitszimmer, das ist nicht das Modell für unsere Gegenwart. Sondern eher kleinere, flexiblere Modelle. Es gibt auch neue Sofatypen mit sehr hohen Seitenwänden, in denen Sie fast wie in einer kleinen Kammer sitzen. Bisher wird so etwas vor allem in Großraumbüros eingesetzt.

ZEITmagazin ONLINE: Das heißt, es sieht zu Hause doch wieder nach Büro aus?

Kries: Ich denke, dass die Lösungen für Tische oder Abtrennungen relativ wohnlich und einfach bleiben werden. Denn entscheidend ist etwas anderes: worauf ich sitze. Ob der Tisch nun super ausgefeilt ist oder nicht, hat am Ende sehr viel weniger Auswirkungen auf das Arbeiten als der richtige Stuhl. Da wird sich einiges weiterentwickeln. Bürostühle werden immer wie Bürostühle aussehen und ergonomische Anforderungen erfüllen müssen. Sie sollten aber auch mal an den Küchentisch gestellt werden können. Ein Stuhl, der sowohl gut an den Schreibtisch als auch den Esstisch passt, ist etwa der Rival Chair von Konstanting Grcic für Artek.

ZEITmagazin ONLINE: Das Ziel ist also, multifunktionales Mobiliar zu kreieren.

Kries: Ja. Reines Arbeitsmobiliar wäre nur dann nötig, wenn es um die Einrichtung eines Arbeitszimmers geht. In dem ich arbeite und sonst gar nichts. Ansonsten geht es um Möbel, die beides bedienen, Arbeitsfunktionalität und Wohnlichkeit. Akustik, also Dämpfung, spielt dabei eine wichtige Rolle. Oder Regale, zum Abgrenzen und als Ablagefläche. Wobei ja auch Ordner heute schon historisch wirken. Keiner wird mehr ein großes Regal voller Ordner haben, mit ausgedruckten Seiten, die abgeheftet werden. Daran merken Sie: Man muss sich immer wieder in das digitale Arbeiten reindenken. Die Instrumente der Arbeit verschwinden, ob Bücher oder Dokumente – alles, alles, alles steckt irgendwann in einem kleinen Laptop. Nichts ist greifbar und sichtbar, jeder Beleg wird digital aufgehoben.

ZEITmagazin ONLINE: Wenn es nicht mehr darum geht, Raum zu beanspruchen, und sowieso alle im Homeoffice sind: Ist die Symbolkraft des Chefinnenschreibtischs nun endgültig dahin? Nach dem Motto: Je größer, desto wichtiger, desto mehr Platz?

Kries: Es wird immer Leute geben, die ihn wollen und brauchen. Der große Chefschreibtisch ist aber schon in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden, im Zuge der Umstellung auf Großraumbüros. Dieses sogenannte Open Office, das non-territoriale Arbeiten, hat suggeriert, dass man an unterschiedlichen Tischen Platz nehmen kann und dass Hierarchien flacher werden. Das heißt nicht, dass die Zukunft nur im Großraumbüro liegt – das sehen wir ja im Moment. Ich glaube trotzdem nicht, dass solche Statussymbole wieder aufleben. Aber es wird neue geben. Dann ist es vielleicht nicht der vier Meter lange Eichentisch, sondern eine andere Form von Tisch, mit der man zeigt, dass man einen guten Geschmack hat oder es sich leisten kann. Statussymbole können Möbel sein, doch ebenso der teure Laptop oder das allerneueste iPad.

ZEITmagazin ONLINE: Wenn man weiterhin zu Hause arbeitet, kann man das allerneueste Modell eigentlich ja gar nicht vorführen.

Kries: Ja, aber im Coworking-Space, wenn das wieder geht, oder im Café.