Es ist ruhig im Terminal L in Berlin-Schönefeld. So ruhig, dass man das gleichmäßige Ruckeln der Rolltreppe hören kann. An diesem Donnerstag Ende April ist der Ankunftsbereich, in dem sonst Tausende Menschen am Tag aneinander vorbeidrängen, mit rot-weißem Sperrband abgesperrt. "Polizeisperrung" steht darauf. Gerade mal vier Flüge landen an dem Tag in Berlin-Schönefeld: aus London, Dublin, Minsk und aus Cluj, einer mittelgroßen Stadt in Rumänien, auch bekannt als Klausenburg. Das Flugzeug aus Cluj ist kein gewöhnliches Flugzeug. Ein deutscher Landwirt hat es gechartert. In ihm sitzen 153 Rumänen, die in Deutschland Spargel stechen sollen. Für sie hat die Polizei einen Teil des Flughafens abgetrennt.

Vor einigen Wochen sah es für kurze Zeit so aus, als müssten die Deutschen dieses Jahr auf den Spargel verzichten. Doch dann einigten sich Landwirtschaftsministerium und Innenministerium darauf, im April und Mai bis zu 80.000 Erntehelfer einzufliegen. Vor wenigen Tagen wurde dieses Vorhaben auf Mitte Juni erweitert. Fast jeden Tag landen seit Anfang April Flugzeuge aus Sibiu, Bukarest oder Timișoara in Baden-Baden, Düsseldorf und Hamburg. Darin: die dringend benötigten Erntehelfer, die den deutschen Spargel retten sollen. Sie dürfen mit einer Sondergenehmigung ins Land, denn eigentlich sind die Grenzen wegen des Coronavirus geschlossen.

Das Spargelstechen überlassen deutsche Landwirte schon lange ausländischen Arbeitskräften. Es gilt als harte Arbeit: Das Bücken, um die Stangen aus der Erde zu graben, geht auf den Rücken und auf den ungeschützten Feldern brennt sich die Sonne in die Haut ein. In der Krise haben sich zwar viele Deutsche als Freiwillige für die Spargelernte gemeldet, doch eingesetzt wurden sie nur selten und eher für Hilfsarbeiten wie das Lüften der Plastiktunnel. "Die eigentliche Ernte müssen Profis machen", sagte der Vorsitzende des Verbands Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer in einem Interview mit der Lebensmittel Zeitung. Und deutsche Profis scheint es nicht zu gaben.

Seit die EU 2014 die Arbeitnehmerfreizügigkeit erweitert hat, dürfen auch Menschen aus Rumänien und Bulgarien ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten. Neben ihnen arbeiten hierzulande vor allem Ungarn und Polen auf den Feldern. Sie gehören zu den verwundbarsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. Viele von ihnen sprechen kein Deutsch, sie kehren nach getaner Arbeit wieder in ihre Heimat zurück. Bezahlt werden die Arbeiter nach Akkordlohn. Das heißt: Wer schneller arbeitet, verdient auch mehr. Das heißt aber auch: Wer zu langsam ist, bekommt oft nicht mal den Mindestlohn. Die engen Zimmer teilen sich die Arbeiter meist mit einem Dutzend Kollegen, manche müssen auf dem Boden schlafen. An den Feldern gibt es oft weder Toiletten noch Schattenspender.

Wie kritisch die Bedingungen sind, unter denen osteuropäische Menschen auf Spargelfeldern und in Schlachtereien in Deutschland arbeiten, wurde in der Pandemie besonders deutlich. Abstandhalten ist in überfüllten Unterkünften kaum möglich, die hygienischen Zustände sind mangelhaft. Für Aufsehen sorgte beispielsweise der Fall eines rumänischen Erntehelfers, der Mitte April mit Covid-19 infiziert starb. Auf einem Spargelhof in Niedersachsen kam es kurz nach der Ankunft von 20 Erntehelfern zum Streit mit einem Landwirt über die Umsetzung der Quarantäne. Der Landwirt soll ihnen daraufhin mit Essensentzug gedroht haben. In einem Schlachthof in Nordrhein-Westfalen, wo hauptsächlich Rumänen arbeiten, wurden Mitte Mai gar mehr als 200 Beschäftigte positiv auf Corona getestet. Während der Pandemie wächst der Druck auf die Arbeitgeber und die geloben Besserung. Doch ob die strengen Auflagen auch noch eingehalten werden, wenn nicht mehr so genau hingeschaut wird?