Was bedeutet Heimat? Ist es ein vages, vertrautes Gefühl? Sind es geläufige Gebäude, Straßen und Wege? Oder vor allem Menschen, die einen stets mit offenen Armen empfangen? Für die Māori ist Heimat etwas, das sie in jedem Augenblick begleitet. Es sind die Wolken am Himmel, die Erde unter den Füßen und der Bach hinter dem Haus. Die Naturwelt, über die sie mit ihren Vorfahren verwurzelt sind.

Die Māori sind das indigene Volk Neuseelands beziehungsweise Aotearoas ("Land der langen weißen Wolke"), wie es in der Sprache Te Reo Māori heißt. In Aotearoa Neuseeland leben 892.200 Māori (Stand 2022). Sie machen etwa 17,4 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes aus. Dass die atemberaubende Naturwelt des Landes im Südwestpazifik noch so intakt ist, ist zum Teil den Māori zu verdanken, denn sie leben ganz nach dem Prinzip "Kaitiakitanga". 

Was "Kaitiakitanga" bedeutet und welche Rolle es in der Kultur der Māori und im neuseeländischen Tourismus spielt, weiß Karl Burrows. Ein Interview mit dem General Manager und Pou Ārahi Māori (Leiter der Kulturabteilung) von Tourism New Zealand.

Herr Burrows, den Māori wird eine besonders enge Bindung zur Natur Aotearoa Neuseelands zugesprochen. Wie macht sich diese bemerkbar?

Unsere Vorfahren hatten ein feines Gespür für ihre Umwelt und konnten selbst kleinste Veränderungen wahrnehmen. Dafür nutzten sie die Signale der Kaitiaki, der sogenannten Wächter. Das konnten Vögel oder andere Tiere sein, die unsere Vorfahren allein durch ihre Präsenz je nach Jahreszeit oder Tag über den Zustand wichtiger Ressourcen informierten – oder gar vorwarnten. Heute nehmen wieder mehr Menschen diese Rolle als Kaitiaki aktiv wahr, um unsere Umwelt und unsere Gemeinden zu schützen und sich auf diese Weise um sie zu kümmern. Wir sprechen hier vom Prinzip "Kaitiakitanga". Es umfasst all jenes, das im Zusammenhang mit der Fürsorge und dem Schutz der Natur steht.

Welche Weltanschauung steckt dahinter?

Nach dem Weltbild der Māori ist alles durch unsere Ahnen verbunden. Das Land und der Himmel sind unsere ursprünglichen Eltern. Die Tiere und Bäume sind unsere älteren Geschwister. Die Berge sind unsere Vorfahren. Wir sind auch durch die Zeit miteinander verbunden. Wir stehen auf dem Fundament, das unsere Vorfahren uns hinterlassen haben. Und wie es auch in anderen Ländern und Kulturen der Fall ist, haben alle Entscheidungen, die wir treffen, über Generationen hinweg Auswirkungen auf diejenigen, die nach uns kommen werden. Wir sind uns also sehr bewusst, wie sich unser Handeln auf die Umwelt und künftige Generationen auswirken kann. Uns ist es sehr wichtig, sich um unsere Umwelt zu kümmern, sie zu schützen – und so ein Vermächtnis für die Zukunft zu hinterlassen.

Aotearoa Neuseeland ist ein Traumziel für viele Touristen aus der ganzen Welt. Ein enormes Potenzial, um das kulturelle Erbe des Landes bekannt zu machen.

Der Tourismus bringt in der Tat einige Vorteile mit sich: Er unterstützt Gemeinden und Unternehmen und schafft Arbeitsplätze. Für uns Māori ist es eine Gelegenheit, unsere Stammesgeschichten zu erzählen und unsere Sicht auf die Natur und die Umwelt in die Welt zu tragen. Die Wiege des Tourismus in Aotearoa Neuseeland lag übrigens in der Region Rotorua. Mitglieder der Māori-Stämme führten die Besucher zu den rosa und weißen Terrassen. Nach der Zerstörung der Terrassen durch den Ausbruch des Vulkans Tarawera im Jahr 1886 verlagerte sich der Tourismus zu den geothermischen Feldern Rotoruas. Dieses von Geysiren und Kraterseen übersäte Gebiet ist bis heute eine lebendige Tourismusregion. 

Wir bieten heute ein breites Spektrum an Erlebnissen an: von Stadtführungen über eigene Unterkünfte bis hin zu River-Rafting und Touren mit den traditionellen Waka-Booten. Die Gäste erleben anhand von Geschichten und Ritualen – einfach durch das Vor-Ort-Sein – die breite Māori-Kultur. Sie werden dazu angeregt, ihre eigene Beziehung zur Umwelt zu betrachten und ebenfalls ein gesundes Erbe für nachkommende Generationen zu hinterlassen. Auf diese Weise trägt der Tourismus in unserem Land dazu bei, Kaitiakitanga in die Zukunft zu tragen. 

Wie können die Touristinnen und Touristen selbst vor Ort Kaitiakitanga praktizieren?

Die Menschen unseres Landes, ihre Kultur und die Umwelt Aotearoa Neuseelands sind das, was uns einzigartig macht. Wir alle tragen gemeinsam die Verantwortung, uns um unsere Heimat und unsere Mitmenschen zu kümmern und anderen dabei zu helfen, das Gleiche zu tun. "Tiaki – Care for New Zealand" ist ein Leitprinzip, das alle dazu ermutigen soll, für Aotearoa Neuseeland einzustehen. Es wurde von sieben touristischen Organisationen aus dem öffentlichen und privaten Sektor entwickelt. Tiaki bedeutet in unserer ursprünglichen Sprache so viel wie pflegen und schützen. 

Wir motivieren Neuseeländerinnen und Besucher gleichermaßen, hinter den Grundsätzen von Tiaki zu stehen und als stolze Hüter aufzutreten, während sie in unserem Land unterwegs sind. Das Tiaki-Versprechen fördert ein verantwortungsbewusstes und sicheres Reiseverhalten: Wir alle können Aotearoa Neuseeland auf eine Art und Weise erleben, dass unser aller Sicherheit gewährleistet ist, aber auch unsere Umwelt geschützt, unsere Kultur respektiert und das Land für zukünftige Generationen bewahrt wird. 

Gibt es Rechtsvorschriften, die Kaitiakitanga im Gesetz verankern?

In den letzten 10 Jahren hat die neuseeländische Regierung neue Vereinbarungen getroffen, um den Vertrag von Waitangi einzuhalten. Im Rahmen dessen haben bedeutsame geografische Schauplätze eine Rechtspersönlichkeit erhalten. Darunter zum Beispiel auch der Whanganui Fluss und bald auch der Berg Taranaki Maunga. Diese Orte bekommen somit eigene Rechte, die vor Gericht eingeklagt werden können. So will die Regierung die Heiligkeit und Bedeutung dieser Naturwunder für die örtlichen Māori Gemeinden gesetzlich anerkennen.


Mehr über die Māori-Kultur erfahren Sie hier.

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