Der Ort war an Symbolkraft kaum zu überbieten: Am 3. Oktober 1965 unterzeichnete US-Präsident Lyndon B. Johnson auf Liberty Island vor der Südspitze Manhattans, wo die Freiheitsstatue die "müden, armen, bedrückten und sich nach Freiheit sehnenden Massen" willkommen heißt, den Immigration Reform Act. Dieser war Teil der liberalen Bürgerrechtsagenda des Präsidenten und schaffte die in den Zwanzigerjahren erlassenen Einwanderungsquoten nach nationaler Herkunft ab, die den im "angelsächsischen" Amerika unerwünschten Einwanderern aus Süd- und Osteuropa die Tore verschließen sollten. Das neue Gesetz, versprach Johnson, beende eine "grausame Ungerechtigkeit", werde aber nicht zu einer neuen Immigrationswelle führen: "Die Tage der unbegrenzten Einwanderung sind vorbei."

Johnsons Prognose erwies sich als grandiose Fehleinschätzung. Tatsächlich begann mit der Reform von 1965 ein neues Zeitalter der amerikanischen Einwanderungsgeschichte. Heute ist die Immigration, vor allem aus Mexiko, eines der beherrschenden innenpolitischen Streitthemen.

Rund 100 Millionen Menschen kamen legal ins Land

Einwanderung hat, wie könnte es anders sein, die Vereinigten Staaten geprägt. Die Gesamtzahl der Immigranten, die seit der Unabhängigkeit 1776 legal ins Land gekommen sind, wird auf rund 100  Millionen Menschen geschätzt. Der Gedanke, dass sich ihre Vorfahren mit wenig mehr als dem, was sie am Leibe trugen, in der Neuen Welt ein besseres Leben aufbauten, erfüllt die meisten Amerikaner mit Stolz. Grundsätzlich bekennt sich eine große Mehrheit zu der Auffassung, dass Einwanderung das Land stark gemacht habe und auch in Zukunft stärken werde.

Zugleich hat Amerika eine lange Tradition des "Nativismus", der eine Bevorzugung der im Lande Geborenen und die Beschränkung der Immigration fordert. Schon 1755 schimpfte der US-Gründervater Benjamin Franklin über die "pfälzischen Bauern", die in Pennsylvania angeblich die englische Sprache und Kultur verdrängten. Und neben den Deutschen standen im 19. Jahrhundert auch die Iren im Ruf, sich der Assimilation an die angloprotestantische Kultur zu verweigern. Nicht zuletzt schlug den Chinesen, die als Bergleute und Landarbeiter an die Westküste kamen, Hass und Gewalt entgegen; 1882 verbot der Kongress im Chinese Exclusion Act die Einwanderung chinesischer Arbeitskräfte sogar gänzlich.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts provozierte die "Neue Immigration" von Italienern, Slawen und osteuropäischen Juden eine weitere Protestwelle. Nach dem Ersten Weltkrieg mündete sie in eine restriktive Einwanderungspolitik: Der Immigration Act von 1924 setzte eine jährliche Obergrenze von 164.000 Einwanderern sowie nationale Quoten fest, die besonders Briten und nun auch Iren und Deutsche bevorzugten. Binnen weniger Jahre halbierte sich die Zahl der Einwanderer. Ein Triumph der Nativisten – der sich nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte. Die Quoten blieben in Kraft, wenn auch mit zahlreichen Ausnahmen, etwa für die im Krieg um ihre Heimat gebrachten displaced persons in Europa und für politische Flüchtlinge aus dem Ostblock.

Mexikanische Wanderarbeiter (braceros) waren ebenfalls willkommen, vor allem in der Landwirtschaft des Südwestens – und solange sie wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Als viele von ihnen in den USA blieben, ordnete Präsident Eisenhower rabiate Abschiebungsmaßnahmen wie die "Operation Wetback" an. "Wetback", "Nassrücken", war ein abfälliger Ausdruck für Migranten aus Mexiko, die den Rio Grande durchschwommen hatten. Mehr als eine Million von ihnen wurden Mitte der Fünfzigerjahre teils äußerst gewaltsam abgeschoben, was Rechte wie Donald Trump heute als vorbildhaften Erfolg feiern. Doch führte die Operation nicht nur zu massenhaften Menschenrechtsverletzungen. Sie blieb auch letztlich erfolglos – da viele der Ausgewiesenen in die USA zurückkehrten und amerikanische Arbeitgeber nicht auf die billigen Arbeitskräfte verzichten wollten.

Unterm Strich führte das restriktive Migrationsregime auch nach 1945 dazu, dass die Zahl der Einwanderer vergleichsweise gering blieb. Zwischen 1950 und 1970 zählte man nur etwa sechs Millionen Immigranten. Der Anteil der im Ausland Geborenen an der Gesamtbevölkerung sank auf ein historisches Tief von unter fünf Prozent, nachdem er um 1900 noch 15 Prozent betragen hatte. Überdies stammte die große Mehrheit der Einwanderer nach wie vor aus Europa: Bei den Volkszählungen stand eine große weiße Mehrheit von knapp unter 90 Prozent einer schwarzen Minderheit von etwa zehn Prozent gegenüber. Asiaten und Hispanics fielen numerisch noch kaum ins Gewicht.