Bis vor Kurzem, sagt Simone Pfotenhauer, habe sie null Ahnung von Politik gehabt. Und eigentlich wollte sie auch keine Ahnung haben. Dann aber kam jener Tag im vergangenen August, an dem sie einen kleinen Artikel in der Zeitung fand: "Windräder bei Rödigsdorf befürchtet", hieß es da. Und Rödigsdorf im Weimarer Land, 260 Einwohner, eine Kirche, eine Pension, mittendurch die Bundesstraße, ist Pfotenhauers Zuhause. Hier ist sie aufgewachsen, hier hat sie ihre Kinder großgezogen. Und eines weiß sie schnell: Die Windräder will sie hier nicht haben.

Es ist der Mittwoch nach den Thüringer Kommunalwahlen, Simone Pfotenhauer sitzt an ihrem Esstisch im Wohnzimmer und lächelt stolz. Seit gestern ist es amtlich: Sie ist neu gewähltes Mitglied im Ortsteilrat. "Wenn wir in den Gremien keinen Fuß in der Tür haben, kriegen wir als normale Bürger nichts mit. Man wird nicht informiert", sagt sie. Hinter ihr liegen Monate, in denen sie versucht hat, die Informationen selbst zusammenzutragen. Sie traf ihren Landtagsabgeordneten, den Bürgermeister, sie telefonierte mit Behörden, mit Stromanbietern, mit Netzbetreibern, sie wollte verstehen, was das bedeutet, Windräder in Rödigsdorf.

Zuerst hatte sie nur daran gedacht, wie es aussehen würde, so ein Ding vor der Haustür. Und an die Natur, an ihre Joggingstrecke zwischen den Feldern, den Hügel hinunter zum Bach. Da wusste sie noch nichts über den für Menschen nicht hörbaren Infraschall, von dem sie später im Internet liest, über den echten Lärm, über den sogenannten Discoeffekt des Schattenschlags, über den möglichen Wertverlust ihres Grundstücks. An Weihnachten entscheidet sie sich, auch andere zu informieren. Pfotenhauer wirft Zettel in die Briefkästen im Dorf, organisiert einen Raum, Anfang Februar veranstaltet sie das erste Treffen. Und gründet schließlich eine Bürgerinitiative: Gegenwind.

Überall im Land begehren Menschen gegen den Bau von Windkraftanlagen auf. Sie sprechen von "Windwahn", von einer "Verspargelung der Landschaft", manche warnen vor "Klimahysterie" oder fordern die Rückkehr zur Atomkraft. Initiativen schreiben palettenweise Stellungnahmen, klagen gegen einzelne Projekte und Landkreispläne oder erzwingen Bürgerentscheide. Das ist die eine Seite. Gleichzeitig gibt es Regionen in Deutschland, in denen sich schon jetzt ein Windrad an das andere reiht – und die Anwohner sich trotzdem für den Bau weiterer Anlagen engagieren. Wie kann das sein? Woran entscheidet sich die Akzeptanz? Und was lässt sich daraus lernen?

Eigentlich sollte die Windkraft in Deutschland leichtes Spiel haben, eine große Mehrheit der Bevölkerung ist dafür. Im Herbst 2023 gaben 81 Prozent der Befragten einer Forsa-Umfrage an, den Ausbau für wichtig zu halten. Unter denjenigen, die bereits Windkraftanlagen vor der Tür haben, sind 80 Prozent damit einverstanden. Im Rest der Bevölkerung sind es immerhin 68 Prozent, die keine oder nur geringe Bedenken haben, wenn in ihrem Wohnumfeld Windenergieanlagen gebaut werden sollten. Um zu verstehen, warum die Stimmung vor Ort dennoch oft kippt, muss man sich den Planungsprozess von neuen Anlagen genauer ansehen.

Wofür Flächen in Deutschland genutzt werden, entscheidet meistens die jeweilige Regionalplanung: Hier wird Kies abgebaut, da ist ein Wasserschutzgebiet, dort können Windkraftanlagen stehen. Die Bundesregierung will bis 2032 zwei Prozent der Fläche Deutschlands als mögliche Standorte für Windkraftanlagen ausweisen. Dabei werden verschiedene Kriterien berücksichtigt, ausreichend Abstand zu Naturschutzgebieten zum Beispiel. Dieser Prozess kann Monate oder Jahre dauern.

THÜRINGEN

Rödigsdorf

ZEIT-Grafik

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Die Projektierer, also Unternehmen, die die Windräder später bauen wollen, versuchen deshalb, das Ergebnis der Planung vorauszusehen. Ihr Ziel: Pachtverträge für vielversprechende Standorte zu unterschreiben, bevor die Konkurrenz es tut. Also fahren sie los, fallen manchmal in Kleinbusstärke in die Dörfer ein, klingeln an den Haustüren: Wem gehört der Acker dort hinten? Wem die Wiese? Den Eigentümern versprechen sie teils enorme Summen. Denn zur Wahrheit gehört: Mit Windkraft lässt sich nicht nur viel Energie erzeugen, sondern auch viel Geld verdienen. Mittlerweile liegen die Pachten im sechsstelligen Bereich, sowohl Landwirte als auch Berater und Verbände berichten von 300.000 Euro und mehr, die pro Jahr und Windrad gezahlt werden. Für Bauern, deren Flächen infrage kommen, ist die Windenergie ein Glücksfall.

Das Problem ist nur: Der Rest des Dorfes wird dabei nicht einbezogen. Stattdessen machen Gerüchte die Runde, Gemeinschaften spalten sich, Neid führt zu Nachbarschaftskonflikten, Ängste entstehen. Offizielle Informationsveranstaltungen finden erst statt, wenn die Regionalpläne verabschiedet und die Projektierer sich sicher sind, dass sie wirklich bauen dürfen. Doch dann ist es oft zu spät.

Akzeptanz hängt davon ab, ob etwas als gerecht empfunden wird. "Früher wurde immer nur über Abstände verhandelt", sagt Frank Sondershaus von der Fachagentur Wind- und Solarenergie. "Dabei sind die Abstände gar nicht ausschlaggebend, das ist sozialpsychologisch gut untersucht." Den größten Einfluss habe das Planungsverfahren. Wenn sich die Leute übergangen vorkommen, führe das sofort zu Frustration. "Dann regen sich alle zusammen auf: Wie kann das sein? Was passiert hier? Es ist ganz natürlich und menschlich, erst mal Befürchtungen zu haben."

Simone Pfotenhauer, 53, will Windräder auf diesem Feld bei Rödigsdorf verhindern. Im Februar gründete sie eine Bürgerinitiative. © Dominique Wollniok für DIE ZEIT

Befürchtungen, von denen sich manche entkräften lassen. Das dauerhafte Blinken der Anlagen bei Nacht, das viele Anwohner stört, ist ab kommendem Jahr verboten. Neue Windräder dürfen nur noch dann leuchten, wenn sich ihnen ein Flugzeug nähert, alte Anlagen müssen umgerüstet werden. Der Schattenwurf der Rotorblätter ist in der Regel nur im Winter ein Problem, wenn die Sonne tief steht. Trifft er mehr als 30 Minuten am Tag auf ein Wohngebäude, muss die Windkraftanlage abgeschaltet werden. Auch für den Lärm gibt es vorgeschriebene Grenzwerte. Aber mit Grenzwerten hat Simone Pfotenhauer in Rödigsdorf schlechte Erfahrungen gemacht. Nur wenige Hundert Meter entfernt vom Dorf liegt eine Fabrik für Tierfutter. Und je nach Produktion und Windrichtung verbreite sich ein Gestank im Ort, der nicht auszuhalten sei. Auch da würden sicherlich alle Grenzwerte eingehalten, sagt sie. Aber Wäsche könne man dann nicht mehr draußen aufhängen.