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Tausende Menschen sind am Sonntag bei der Aktion "The World Talks" zu einem Vieraugengespräch zusammengekommen, auch die Protagonsten dieser Geschichte haben sich dafür angemeldet.

Ihr Lebenslauf in aller Kürze geht so: Junaice Mollel, geboren in der Morgendämmerung des 11. Mai 1993 in einem Stall am Stadtrand von Arusha, Tansania. Die Eltern so arm, dass die Kinder, sechs insgesamt, oft mit leerem Magen ins Bett gehen müssen. Schule bis zum 17. Lebensjahr, dann ein Ausbildungsprogramm für Teenager aus mittellosen Familien, Fachrichtung Tourismus. Anstellung als Kellnerin in einer Safari-Lodge. Beförderungen: zur Rezeptionistin, zur Empfangschefin, zur Hotelmanagerin. Bis heute wohnhaft in Arusha. Ledig. Beruf: Tourismusmanagerin.

Ihr Lebenslauf in aller Kürze geht so: Janicke Kernland, geboren am 27. Juni 1966 in Park Ridge, Illinois, USA. Ein Kind norwegischer Auswanderer, der Vater Berater für ein amerikanisches Metallunternehmen, die Mutter Journalistin. Als Janicke Kernland vier Jahre alt ist, zieht die Familie in die Schweiz. Dorfschule, Abitur, Reisen. Studium der Visuellen Kommunikation in Luzern und New York. Heirat, Kinder, zwei Söhne, eine Tochter. Umzug der Familie nach Dresden, nach Maastricht, schließlich ins norwegische 10.000-Seelen-Städtchen Mosjøen. Beruf: Direktorin der dortigen Regionalmuseen.

Junaice Mollel und Janicke Kernland kannten sich bislang nicht, wie auch, Meere trennen sie und Wüsten und der Äquator, kulturelle Unterschiede trennen sie, ein Wohlstandsgefälle, das Alter. Doch nun haben sie sich angemeldet für die Aktion "The World Talks". Gemeinsam mit internationalen Medienpartnern hat ZEIT ONLINE Menschen aus allen Ecken der Erde gefragt, ob sie Lust hätten, einem Menschen aus einer anderen Ecke der Erde zu begegnen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beantworteten mehrere Fragen, die sich um die großen globalen Themen drehten, den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine, aber auch um Persönliches: um Ängste, Glück, die eigene Zukunft.

"Norwegen? Ich weiß nur, dass das ein Land in Europa ist. Sonst nichts", sagt Junaice Mollel. © Sam Vox für DIE ZEIT

Unter denen, die mitmachen, ist zum Beispiel eine pensionierte Psychologin aus Botswana. Ein Arzt aus Chile. Die Angestellte eines Autozulieferers aus Mexiko, der Supermarktmitarbeiter aus Südafrika, die Filmemacherin aus Taiwan, die Informatikerin aus Usbekistan. Insgesamt 3084 Menschen aus 116 Ländern. Ein Algorithmus hat jeweils zwei zusammengebracht, die möglichst weit voneinander entfernt leben und die Fragen teils unterschiedlich beantwortet haben. An diesem Sonntag, am 25. Juni, sollen die Paare per Videotelefonat ihr Gespräch führen.

Junaice Mollel und Janicke Kernland wurden von uns, den Autoren dieses Artikels, zusammengebracht. Wir haben sie im Vorfeld gefragt, ob sie einverstanden wären, wenn wir sie in ihrer Heimat besuchten, sie in ihrem Alltag begleiteten und am Ende dabei sein dürften, wenn sie reden. Sie stimmten zu. Die beiden haben bereits in der vergangenen Woche miteinander gesprochen.

Eine junge Frau aus Tansania und eine mittelalte Frau aus Norwegen. Zwei von acht Milliarden, völlig unbedeutend in den Augen der Weltöffentlichkeit. Was haben sie hinter sich, was noch vor sich? Welche Werte sind ihnen wichtig? Worauf können sie sich einigen?

Aus dem Fragebogen "The World Talks": Führt harte Arbeit immer zu einem besseren Leben?

Junaice Mollel: Nein

Janicke Kernland: Ja

Ein paar Tage vor dem Gespräch mit der fremden Frau aus Norwegen beugt sich Junaice Mollel über den Schreibtisch ihres Büros. Unter ihr breitet sich auf einer Karte die Serengeti aus, Nationalpark und Nationalheiligtum von Tansania. Es ist schon spät, ihre beiden Kollegen haben sich bereits in den Feierabend verabschiedet. Junaice Mollel ist länger geblieben, wie meistens, sie muss noch E-Mails beantworten und Reservierungen abarbeiten. Sie trägt eine Fleecejacke und Jeans, modisch zerrissen, vor einem Monat hat sie sich die Haare auf Zentimeterlänge schneiden lassen.

Mit dem Zeigefinger fährt sie über die Karte, Hügel, Graslandschaften, an manchen Orten hat sie mit einem Kugelschreiber Markierungen gesetzt. "Dort sind unsere Camps", sagt sie.

Junaice Mollel kommt gerade aus der Serengeti. Sie ist mit einem Kollegen im Geländewagen durch den Park geeilt, das Wochenende ist dafür mal wieder draufgegangen, sie haben Unterkünfte inspiziert, Fahrtzeiten berechnet, Fotos für ihre Chefs in den USA gemacht. Junaice Mollel holt ihr Handy hervor, wischt durch die Bildergalerie, ah ja, hier: die Safarizelte ihrer Firma, groß und luxuriös, mit Holzfußboden, Kingsize-Bett und Telefon auf dem Nachttisch. Junaice Mollel arbeitet für ein Tourismusunternehmen mit Sitz in Kalifornien, für wohlhabende Amerikaner organisiert sie Safaris und Bergtouren hier in Tansania. Ihr Heimatort Arusha liegt eingebettet zwischen der Serengeti, dem Kilimandscharo und anderen Nationalparks. In kaum eine Gegend Afrikas strömen mehr Touristen aus aller Welt.

Sie steht auf und geht aus dem Büro. Das Büro liegt in einem großen Haus, das Haus auf einem weitläufigen Anwesen mit Garten. Sie läuft über den Rasen zu einem Nebengebäude. "Hier wohne ich." Sie öffnet die Tür, schnell rein, die Moskitos, es ist ein Zimmer mit Bad, die Firma stellt es ihr. Ein großes Bett, ein großer Fernseher, viele Schuhe, viele Handtaschen, ein Nachttisch mit einer Flasche Parfum darauf, Nahrungsergänzungsmitteln und Körperlotion. Klar, sagt sie, sie sei ihrer Firma dankbar, dass sie hier wohnen könne, aber eigentlich wolle sie etwas Eigenes, ein schönes Haus in einer schönen Gegend. Irgendwann hoffentlich.

Dann fragt sie, ob man für heute fertig sei. Sie müsse wieder zurück ins Büro, die E-Mails, die Reservierungen. Es ist längst dunkel, die Stadt macht sich zum Schlafen bereit. Junaice Mollel aber bleibt wach. Sie ist es nicht anders gewohnt. Ihr ganzes Leben hat sie Extraschichten eingelegt, nach der Schule noch arbeiten, nach der Arbeit noch lernen. Es ist ihre Abmachung mit sich und der Welt, ein Ziel und ein Versprechen: aufopfern und aufsteigen. Sie weiß, es gibt viele wie sie, und längst nicht alle schaffen es. Aber sie will es versuchen. Denn dort, wo sie einmal war, will sie nie wieder hin.