Wenn Aron Murru anderen Unternehmern von seinen Bemühungen erzählt, gezielt Menschen mit Behinderung einzustellen, hört er Sätze wie: "Ah, Menschen mit Behinderung, okay – aber seid ihr sonst noch divers?"

Der 30-Jährige ist Chef des KarmaKollektivs mit 16 Mitarbeitern, das in Berlin Kaffee, Tee und Gewürze vertreibt. Er sagt: Menschen unterschiedlicher Herkunft fingen bei ihm eher zufällig an. "Wir konzentrieren uns nun einmal auf Menschen mit Behinderung." Gerade in der "Öko-Szene" sei das oft ein Problem: Wenn man alle inkludieren will, das nicht gleichzeitig kann und sich auf eine Gruppe konzentriert, werde das als Diskriminierung ausgelegt.

Dabei gibt es kaum ein Schlagwort, auf das sich so viele Unternehmer einigen können wie Diversität. Eine Studie der Beratungsfirma Bain & Company unter 10.000 Konzernen aus Ländern wie Deutschland hat ergeben, dass Diversität nicht nur das Image als Arbeitgeber verbessert, sondern auch die Bindung und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Trotzdem drücken sich viele Unternehmen um die Beschäftigungsquote, die bei Menschen mit einer Behinderung gesetzlich verankert ist. Seit 2001 müssen in Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern fünf Prozent eine Behinderung haben. Nur: Von 170.000 Betrieben im Land, die unter diese Regel fallen, verfehlen zwei Drittel die Quote. Gut 40.000 Betriebe, die es müssten, beschäftigen gar keine Menschen mit Schwerbehinderung. Und das alles, obwohl 2021 rund 172.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos waren und damit deutlich mehr als vor der Corona-Pandemie. Warum werden sie nicht eingestellt?

Gerade verhandelt Aron Murru mit fünf Behörden gleichzeitig

Den Berliner Aron Murru stört vor allem der bürokratische Aufwand: Gerade wolle er einen gehörlosen Mann einstellen. Bei einer Behörde hat er eine Förderung für spezielle Feuermelder angefragt, die den Mann im Ernstfall mittels Lichtsignalen warnen. Bei einer anderen Behörde hat er Förderung für das Gehalt des Neuen beantragt. Mit insgesamt fünf Behörden verhandelt er gerade. Das frustet.

Aber es lohnt sich. Das Vorurteil, ein Mitarbeiter mit Behinderung koste nur Geld, sei falsch, sagt Murru. So gut wie alles lasse sich fördern. Ein Aufzug oder der Umbau der Toiletten etwa. Das zweite Problem: Förderungen zu beantragen kostet viel Zeit. Murru sagt: "Wir müssen Menschen mit einer Behinderung monatelang hinhalten."

Vielen erscheint es da wohl einfacher, die Quote mit der "Ausgleichsabgabe" zu umgehen: Wer unter zwei Prozent Menschen mit Behinderung beschäftigt, zahlt pro fehlendem Arbeitsplatz monatlich 360 Euro. Wer eine Quote zwischen drei und fünf Prozent erreicht, zahlt 140 Euro pro fehlender Stelle. Zu wenig, sagen Kritiker. Sie sehen in der Abgabe eine Möglichkeit, sich freizukaufen. Selbst Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plante 2020 deshalb, die Abgabe zu verdoppeln. Im Bundestagswahlkampf 2021 spielte die Idee plötzlich keine Rolle mehr.

Verteidiger der Abgabe sagen: Gut so. Christiane Flüter-Hoffmann und Andrea Kurtenacker vom Institut der deutschen Wirtschaft etwa. Sie rechnen vor: Ein Betrieb mit 500 Mitarbeitern müsste, um die Quote zu erreichen, 25 Menschen mit Behinderung beschäftigen. Beschäftigt er null, zahlt er pro Stelle und pro Monat 360 Euro. Macht im Jahr satte 110.000 Euro. Weniger als Unternehmensbashing brauche es einen Bürokratie-Abbau, so die Forscherinnen. Sie werben für mehr Hilfe für Unternehmer, die Menschen mit Behinderung anstellen wollen.