Zu den vielen eigentümlichen Dingen im Katholizismus gehört es, dass selbst die herausragenden Frauen dieser Kirche nahezu unbekannt bleiben. Eine von ihnen ist die irische Ordensfrau Maura O’Donohue von den Medical Missionaries of Mary. Als eine der wenigen Frauen ihrer Generation hatte sie einen akademischen Abschluss, wurde schon mit Mitte zwanzig in Leitungspositionen berufen, beherrschte mehrere Sprachen und verwaltete ein Millionenbudget. Aber ihre womöglich größten Verdienste hat sie ausgerechnet da erworben, wo sie auf den ersten Blick gescheitert zu sein scheint: im Engagement gegen sexuellen Missbrauch. Dieses Scheitern ist nicht ihr anzulasten, denn eine kompetentere, engagiertere und besser vernetzte Fürsprecherin als sie hätten Betroffene gar nicht finden können.

Dabei war das Leben und Handeln der 2015 verstorbenen O’Donohue ganz von Loyalität und treuer Befolgung der geltenden Regeln geprägt. Ganz so, wie die Kirche sich ihre Ordensfrauen wünscht. Aber gerade deswegen war sie auch nicht bereit, wegzusehen, wenn sie mit Unrecht, Leid und Regelverstößen konfrontiert wurde.

Es gibt einige Fotos und Videoaufnahmen von Maura O’Donohue. Man sieht ein feines Lächeln, unscheinbare Kleidung und eine kerzengerade Haltung. Diese Frau strahlt eine ungeheure Disziplin aus. Von Menschen, die sie kannten, wird Maura O’Donohue als klug, feinfühlig und wortgewandt beschrieben. Eine Person, in der sich Dienstbereitschaft, Können und Hartnäckigkeit zu einem beeindruckenden Charakter verbanden, und vor allem: eine Frau, die es verstand, andere von etwas zu überzeugen.

Im Jahr 1933 wurde sie als Mary Brigid O’Donohue in einem kleinen Ort im dünn besiedelten County Clare an der irischen Westküste geboren. Kaum volljährig trat sie 1950 bei den MMMs, den Medical Missionaries of Mary, ein. Der nur 13 Jahre zuvor gegründete Orden hatte es sich zur Aufgabe gemacht, medizinischen Beistand dorthin zu bringen, wo er am nötigsten war. Nach dem Eintritt erhielt Mary den Namen Sr. Maura. Sie studierte Medizin in Dublin und wurde 1958 in eine Kleinstadt im Süden Nigerias entsandt. Schon im darauffolgenden Jahr wurde die Ärztin in den Generalrat des Ordens berufen.

Die größte Herausforderung ihres Lebens begann 30 Jahre später. 1988 rief die britische Schwesterorganisation der Caritas, CAFOD, die Catholic Agency for Overseas Development, ein Aids-Programm ins Leben. Maura O’Donohue, die in ihrer täglichen Arbeit mit Leprakranken und in der Hungerhilfe seit Jahren sah, wie die Aids-Epidemie Notlagen überall auf der Welt verschlimmerte, übernahm die Leitung des Programms. Sie kümmerte sich um HIV-Versorgung, Aufklärungsprojekte und die Unterstützung von Aids-Waisen, organisierte Kooperationen mit anderen Organisationen. Innerhalb von nur drei Jahren konnte sie 89 Projekte in 18 Ländern auf drei Kontinenten aufbauen. Einer ihrer größten Erfolge war es, in der Aids-Arbeit wichtige kirchliche Führungskräfte und Türöffner an Bord zu holen. Das war alles andere als leicht, denn innerhalb der katholischen Kirche wurde Aids zunächst als ein reines "Randgruppen"-Problem gesehen. Vor allem war man nicht bereit, das kirchliche Verbot von Verhütungsmitteln infrage zu stellen.

Die Bereitschaft, sich in der gezielten Bekämpfung von HIV zu engagieren, war daher in der Führungsriege der katholischen Kirche nicht besonders ausgeprägt. O’Donohue wusste um diese Problematik und stellte sich ihr. Ihr Verdienst bringt Matthew Carter, der Leiter von CAFODs humanitärer Hilfe, rückblickend so auf den Punkt: "Sie war sich sehr bewusst, dass die katholische Kirche in Bezug auf HIV entweder Teil des Problems oder Teil der Lösung sein konnte. Von Anfang an sorgte sie entschlossen dafür, dass die kirchlichen Maßnahmen ein wichtiger Teil der Lösung wurden. Das war auch ihr Verdienst." Gemeinsam mit dem Leiter der Caritas reiste sie um den Globus. Sie sensibilisierte Bischofskonferenzen, Ordensleitungen, Diözesanversammlungen, Priesterseminare und theologische Institute in Afrika, Asien und Lateinamerika für die Aids-Epidemie und gewann ihre Unterstützung.

Maura O’Donohue war klar, dass HIV mehr war als eine Krankheit. Es war eine Krise, die alle Kernprobleme der Entwicklungsarbeit verschärfte: Armut, Machtmissbrauch und Ohnmacht – insbesondere die wirtschaftliche und sexuelle Ohnmacht von Frauen. So wurden auch Dinge sichtbar, die zuvor verborgen geblieben waren. Dazu gehörte das Sexualleben katholischer Kleriker in den besonders von Aids betroffenen Ländern.

Maura O’Donohue war damals Mitte fünfzig, eine gestandene Ordensfrau und Entwicklungshelferin. Sie hatte schon manches erlebt. Aber was sie nun hörte und erlebte, machte sie fassungslos. Um sich selbst nicht zu infizieren, gingen Priester nun offenbar seltener zu Prostituierten und wurden vermehrt sexuell übergriffig. Da war die Geschichte von der jungen Frau, die erst vor Kurzem gegen den Protest ihrer muslimischen Eltern zum Christentum konvertiert war und in ein Kloster eintreten wollte. Für den Eintritt brauchte sie eine Bescheinigung des Ortspfarrers. Der vergewaltigte sie, bevor er ihr das Papier aushändigte. Als sie dann nach dem Eintritt feststellte, dass sie schwanger war, verließ sie das Kloster, schämte sich, war völlig ratlos und verängstigt. Zu ihren Eltern konnte sie nicht zurück. Zehn Tage lang versteckte sich die junge schwangere Frau im Wald, bevor sie schließlich zum Bischof ging. Die einzige Maßnahme, die der Bischof gegen den geständigen Pfarrer ergriff: Er verordnete ihm 14 Tage Besinnung.