Gute Ideen stiften Hoffnung, bereichern unser Leben, verändern die Welt – und gerade jetzt können wir sie gut gebrauchen. Zu ihrem  75. Geburtstag widmet sich die ZEIT  in den nächsten Monaten deswegen  75 Menschen, Erfindungen und Initiativen , die zuversichtlich stimmen und von denen man viel lernen kann.

Dass es die ZEIT nun seit 75 Jahren gibt, dass sie dank ihrer Leserinnen und Leser gerade die höchste Auflage ihrer Geschichte vermelden kann, ist ein Grund zur Freude und noch mehr für Dankbarkeit. Aber für Feiern ist dies nicht die richtige Zeit. Zu dramatisch sind die Probleme der Branche, der fast überall Auflagen und Einnahmen wegbrechen, deren Stärken oft weggespart werden, deren Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit vielerorts attackiert werden. Der 75. Geburtstag kann aber sehr wohl Anlass sein für eine Positionsbestimmung: Was sollten Medien heute leisten – was lieber nicht? Und wo steht da die ZEIT?

Nach den moralischen und intellektuellen Verwüstungen der Nazi-Jahre wollte das Blatt mithelfen, eine stabile Mitte zu konstituieren, in der Vernunft und Aufklärung, Frieden und Demokratie die bestimmenden Werte sein sollten. Dabei war es nicht erfolglos, wenn auch nie fehlerfrei. Die größte Leistung kommt dabei wahrscheinlich der späteren Chefredakteurin und Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff zu, die sich Mitte der Fünfzigerjahre gegen ihren damaligen Chef Richard Tüngel auflehnte, der das Blatt nach rechts rücken wollte, und obsiegte. Sie tat es mit Mut, Schärfe und Witz. In einem Brief an den Gründerverleger Gerd Bucerius beklagte sie, man habe überzeugende und amüsante Schreiber verloren, übrig geblieben seien "drei magenkranke, krätzebefallene, immer giftiger werdende alte Männer".

Erst nachdem dieser Richtungsstreit entschieden war, legte sich die Zeitung auf eine liberale Blattlinie fest, mit der sich die Redaktion bis heute identifiziert. Wobei liberal nicht primär wirtschaftlich und schon gar nicht parteipolitisch gemeint war, sondern dem Postulat Marion Dönhoffs folgte, "abweichende Ideen nicht zu diffamieren und Kritik an Bestehendem nicht als Ketzerei zu verfolgen, sondern die Minderheiten zu schützen und Offenheit zum Gegensätzlichen zu praktizieren". Aber was bedeutet das heute?

Es ist möglicherweise nur Insidern bekannt, unter welchen Bedrohungen seit einiger Zeit auch in Redaktionen gearbeitet wird, deren investigative Reporter und Reporterinnen nicht wie auf Malta oder in Russland um ihr Leben bangen müssen. Redaktionen sind glücklicherweise diverser geworden, was einigen Lesern jedoch ein Dorn im Auge ist. Kollegen, bei denen man schon dem Namen nach einen Migrationshintergrund vermuten kann, oder Autorinnen, die sich eines Themas wie Gendergerechtigkeit annehmen, sind – auch bei der ZEIT – immer wieder übelsten rassistischen und misogynen Anfeindungen ausgesetzt, insbesondere auf Twitter. Vor etwa anderthalb Jahren fanden sich einige von ihnen auf einer Liste mutmaßlicher Islamfeinde wieder: Die dort Genannten sollten einem Tribunal zugeführt werden. Ein hoher BKA-Beamter wertete das als eine Form des Terrorismus.

Auch leitende Redakteure und einzelne Autoren, beispielsweise der konservativen Springer-Blätter, sind wüsten Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt – in diesem Fall von links. Dies wird wenig beachtet, vielleicht weil der eine oder andere denkt, die Kollegen seien selbst schuld, weil sie Provozierendes veröffentlichen. Die Journalisten dort und auch ihre Wohnungen und Häuser müssen immer wieder gesichert werden, und der Chefredakteur der Bild-Zeitung wird sogar in einer gepanzerten Limousine gefahren.

Dieser Bedrohung von außen halten Journalisten in aller Regel aber stand, so grässlich es für die Betroffenen ist. Einschüchternder für die Arbeit ist vermutlich eine andere Entwicklung, für die relativ kleine Gruppen von Akademikern und Aktivistinnen verantwortlich sind, die aber eine enorme Wirkungsmacht entfalten, weil sie viel Resonanz und manchmal auch Sympathie in einigen Medien finden: Sie geht von einer amerikanischen Bewegung aus, die im Namen der inzwischen überwiegend negativ besetzten Political Correctness und mit Blick auf die größer werdende Diversität von Gesellschaften mehr Respekt, Teilhabe und Fürsorge einfordert. Das sind Ziele, mit denen sich eine liberale Zeitung wie die ZEIT voll und ganz identifizieren kann.