Kurz bevor das Ergebnis verkündet wird, auf das die CDU schon so lange wartet, steht der Delegierte Dennis Radtke, 41, in der Geschäftsstelle des Kreisverbands Bochum und zieht kräftig an einer Zigarette. Marlboro Rot, die starke Sorte. Eigentlich soll nur draußen geraucht werden, aber dafür ist ihm heute einfach zu kalt.

Als sein Büroleiter aufgeregt "Dennis, Dennis!" ruft, drückt Radtke seine Kippe in einen Aschenbecher. Dann eilt der Europaabgeordnete im grauen Anzug den Gang entlang, vorbei an den Porträts der CDU-Vorsitzenden des Kreises Bochum von 1945 bis 2013, nach links ins Büro. Gerade noch rechtzeitig baut er sich dort vorm Computermonitor auf.

Radtke blickt in den digitalen Plenarsaal seiner Partei, wo neben dem Video-Stream der Chat läuft, und beobachtet, wie die digitalen Abstimmungsbalken wachsen. Noch bis Freitagabend hat er seine Liste mit den Unentschlossenen abtelefoniert und versucht, sie für Laschet zu begeistern. Schafft der es? Oder doch Friedrich Merz?

Radtke klatscht in die Hände, greift sich ins Haar, ballt die Fäuste und lässt sich dann in einen Stuhl fallen. "Uff", sagt er.

Und: "Uff, das war knapp", schreibt er in eine WhatsApp-Gruppe seiner CDU-Kollegen. Ziel erreicht. Armin Laschet ist Parteichef. Radtke sieht aus wie ein Mann, der eine Zigarette braucht.

Der 33. Bundesparteitag der CDU ist etwas Besonderes. Der neue Parteivorsitzende, der hier gewählt werden soll, könnte im Herbst Bundeskanzler werden. Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen werden ihre Reden aber nicht wie gewohnt in einem vollen, lauten Saal halten, getragen von Wellen aus Applaus. Sie stehen mit einer Handvoll Politiker in einem Studio auf dem Berliner Messegelände und sprechen in eine Kamera. Es ist der erste komplett digitale Parteitag der CDU. Ein durchaus historisches Ereignis. Schließlich ist wenig so wichtig für eine Abstimmung auf einem Parteitag wie die Stimmung im Saal. Dieses Mal besteht der Saal aus 1001 Homeoffices.

Wie bildet sich da die Stimmung? Wir haben vier Delegierte während des Parteitags begleitet – in Bochum-Wattenscheid, in Eschweiler bei Aachen, auf einem Hof in Brandenburg und in einem Büro des Bundestags mitten in Berlin. Ein Unterstützer für jeden Kandidaten – und eine unentschiedene Delegierte.

Letztere heißt Catarina dos Santos, ist 26 Jahre alt und lebt in Eschweiler. Von ihrer Dachgeschosswohnung aus wirkt der Parteitag an diesem Samstagmorgen recht gemütlich. Unter braunen Holzbalken sitzt sie mit ihrem Freund, der Industriemeister ist bei RWE. Auf dem Tisch steht das Parteitagsfrühstück: Brötchen und Kaffee. Vorm Küchenfenster sieht man den Dampf aufsteigen aus den Kühltürmen des nahen Kohlekraftwerks. "Wolkenfabrik", sagt dos Santos, "so nennen das die Kinder hier."

Es ist das erste Mal, dass dos Santos als Delegierte fungiert, sie ist Nummer 493. 2014 ist sie während des Jurastudiums in die CDU eingetreten, ihr Freund ein paar Jahre später, ihr zuliebe. Heute arbeitet sie als Anwältin und macht 20 Stunden die Woche ehrenamtlich Lokalpolitik. Ambitionen auf eine Parteikarriere hat sie nicht. "Ich stehe gut da, wo ich bin."

Schnell ein letztes Mal das Kandidatenwissen auffrischen: Aus NRW kommen alle drei, aber wer von wo? "Armin ist ja aus Aachen, Merz aus dem Sauerland", sagt dos Santos zu ihrem Freund. "Aber der Röttgen?" Sie greift zum Smartphone. Muss sie nachgucken. Rheinbach. Aha. Man sieht hier gleich schön, wer geduzt, wer gesiezt und wer gegoogelt wird.

Ohne Vorurteile will sie die Reden anschauen und dann entscheiden. Auf ihrer Favoritenliste steht Röttgen vorn, weil er sich mit Außenpolitik auskennt und eine ökologische Zukunftsvision hat. Gefolgt von Merz. Laschet ist Letzter.

Um 9.30 Uhr geht es los. Dos Santos macht auf dem iPad den Livestream an, verbindet es mit dem Fernseher, und stellt es neben die Gaming-Controller, die dort in einer Ladestation stecken. Image-Filmchen mit Sportschau-Trailer-artigem Elektrogedudelsoundtrack, absolutes Profi-Level. Auf dem Bildschirm erscheint das grau-braune Parteitagsstudio: Links sitzt das Parteitagspräsidium, in der Mitte steht das Pult, von dem die Kandidaten ihre Reden hinaus ins Land senden.