Werner knallhart
Wenn Gastronomen nur Bargeld akzeptieren, könnten auch betrügerische Absichten dahinterstecken, meint WiWo-Kolumnist Marcus Werner. Quelle: imago images

„Nur bar!“: Wie lange lassen wir uns die Steuerhinterziehung in der Gastronomie noch bieten?

Ausländische EM-Besucher sind erschüttert: Ohne Cash kommen sie in Deutschlands Restaurants und Kneipen nicht weit. Das wirkt rückständig, doch es ist mehr: Betrug auf unser aller Kosten. Eine Kolumne.

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Alle redlichen Gastronomen können sich abregen. Sie sind hier nicht gemeint. Wobei: Nein! Sie können sich womöglich gar nicht abregen, denn immerhin haben sie als brave Steuerzahler einen geschäftsschädigenden Nachteil gegenüber den asozialen Einsackern der Branche.
Denn sie müssen bei ihren Preisen mithalten können mit denen, die Steuern hinterziehen und damit unterm Strich nach Schätzungen bis zu 70 Milliarden Euro an Steuern und Sozialabgaben in die eigene Tasche stecken. Jedes Jahr.

70 Milliarden, die uns allen zustehen. Weil wir in demokratischen Prozessen unsere Repräsentanten dazu beauftragt haben, Gesetze zu erlassen, die eben vorsehen, dass auch das gastronomische Gewerbe Umsatzsteuer zu zahlen hat.

Als ich vor einiger Zeit nach einem Geschäftsessen für rund 70 Euro in einem italienischen Restaurant in Berlin um einen Bewirtungsbeleg bat, legte mir der Kellner eine Quittung über 130 Euro vor: „Damit können Sie noch mehr von der Steuer absetzen.“

Was er mit Sicherheit aber eigentlich meinte: „Wenn Sie den von anderen Gästen vergessenen Zettel nehmen, müssen wir Ihre Bestellung nicht in die Kasse eingeben und können uns selber die Steuern sparen.“

Ich lehnte genervt ab.

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So beginnt der Verfall des Rechtsstaats. Mit dem Spruch: „Ich helfe dir und du hilfst mir.“ Und den Schaden haben andere. Die ganze Gesellschaft. Garniert mit selbstgerechten Argumenten. Das häufigste: „Ja, bei der enormen Steuerlast würde sonst ein großer Teil der Gastro-Szene eingehen.“ Ja, dann müssen eben die Gesetze geändert werden. Nicht gebrochen.

Extrem wird die Abzocke laut Experten dort, wo ganz ohne Quittung gearbeitet wird. Und wo nicht in abgezählten Einheiten verkauft wird. Wie viele Kugeln Eis aus einem Bottich gekratzt, wie viele Portionen Dönerfleisch vom Spieß geschnitten und wie viele Tassen Filterkaffee ausgeschenkt wurden, kann kein Kontrolleur nachhalten.

In Eisdielen wird das Klimpergeld ja nicht selten noch einfach in eine offene Blechkasse geworfen. Ich habe vergangenen Sommer bei einem sonntäglichen Eisessen mit der ganzen Familie spaßeshalber um einen Beleg gebeten. Die Eisfrau brauchte rund zehn Minuten, um einen Quittungsblock zu finden. Firmenstempel? „Hamwa nich.“

Bei den kaum stattfindenden Kontrollen (in Berlin etwa wird statistisch betrachtet jeder Betrieb im Durchschnitt alle 130 Jahre kontrolliert) ist es eben fast risikolos möglich, auf die Quittierung und die damit einhergehende Registrierung in der Kasse zu verzichten.

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Wenn Sie dann „Zahlen, bitte!“ rufen und als Beleg eine „Zwischenrechnung“ vorgelegt bekommen, riecht oft schon wieder alles nach der Vorstufe zum Betrug. Denn eine Zwischenrechnung ist keine Rechnung mit Rechnungsnummer und ausgewiesener Steuer. Und kann problemlos nachträglich am Kassenterminal verändert werden. Selbst noch dann, wenn Sie schon bezahlt haben.

Doch vor einer Sache haben die Betrüger unter den Gastronomen Angst: vor Kartenzahlung. Denn sobald eine Bezahlkarte im Spiel ist, wird die Transaktion eben doch registriert. Im Zweifel dann eben nur von Ihrer Bank, Ihrem Kartenanbieter.

Und dann fragen Sie sich mal, warum gefühlt ganze Straßenzüge etwa in Berlin-Friedrichshain mit all ihren Burger-/Asia-/Pizza-/Cocktail-/Partyläden mitunter mit Edding auf Fresszettel an die Eingangstür pinnen: ONLY CASH. Weil es billiger ist, ein paar ausländische Fußballfans zu vergraulen, als Steuern zu zahlen.



Eine redlich versteuerte Currywurst etwa kostet doppelt so viel wie eine mit hinterzogener Steuer – die im Zweifel bar bezahlt wurde. Denn wie der Chef der Steuergewerkschaft DSTG jüngst dem „Spiegel“ sagte: Mit dem unkontrollierten Bargeld werden auch Personal und Lieferanten bezahlt – wieder ohne Steuern zu zahlen. Und ohne Sozialabgaben.

Und um noch das letzte Argument der Kartenverweigerer abzuräumen: Die Transaktionskosten, die die Kartenzahlungsanbieter den Gastronomen berechnen, liegen bei der Girocard bei wenigen Cent pro Bezahlung. Dafür fällt die aufwändige Verwaltung des Bargelds weg. Kreditkarten sind zwar teurer, werden aber von den meisten Bürgern hierzulande eh nicht genutzt.

Wir sind international Digitaldepp Deutschland

Wenn wir weiter auf die 70 Milliarden Euro verzichten, subventionieren wir damit Gastronomen und Gäste an Recht und Gerechtigkeit vorbei. Auf Kosten all derer unter den Dienstleistern, die sich an die Gesetze halten. Und wenn wir uns weiter mit Barzahlung abspeisen lassen, machen wir uns nicht nur international mal wieder zum Digitaldeppen, sondern finden uns mit diesem Unrecht ab. Auf unsere aller Kosten.

Wenn ich selber ein Restaurant aussuche, ist die Option Kartenzahlung für mich ein wesentliches Qualitätskriterium. Weil ich mich wohler fühle, wenn ich ziemlich sicher weiß, dass ich unter rechtstreuen Fortschrittsfreunden bin. Und weil ich verstehe, dass diese Art der Auslese vielen nicht zusagt, bin ich für eine andere Maßnahme: Bislang schulden wir Kunden und Gäste unserem Geschäftspartner die Geldsumme bar. So will es das Gesetz. Wir brauchen in Deutschland zusätzlich zum Recht auf Barzahlung das Recht auf digitale Bezahlung.

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Sie finden, die Gastronomen sollten lieber ganz legal weniger Umsatzsteuer zahlen müssen, und ärgern sich deshalb jetzt über diesen Text? Hier geht es um die kriminelle Steuerhinterziehung. Lassen Sie den Ärger schnell verfliegen, indem Sie sich fragen: Was würde ich mit 70 Milliarden Euro Gutes für mein Land tun?

Den Autor erreichen Sie über LinkedIn.

Lesen Sie auch: „Seit vier Jahren habe ich in Schweden kein Bargeld mehr in der Hand“

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