EU-Verordnung zum Waldschutz „Viele fangen gerade erst an, sich damit zu beschäftigen“

Die Osapiens-Gründer Matthias Jungblut, Alberto Zamora und Stefan Wawrzinek Quelle: Osapiens

Hersteller von Kaffee, Kakao oder Möbeln müssen bald nachweisen, dass für ihre Produkte kein Wald gerodet wurde. Branchenkenner Matthias Jungblut warnt: Große Teile des Mittelstands seien dafür nicht vorbereitet.

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WirtschaftsWoche: Herr Jungblut, Unternehmer klagen ja stets über zunehmende Bürokratie. Für sie entsteht mit jedem neuen Gesetz ein neues Geschäft. Sind Sie Bürokratie-Fan?
Matthias Jungblut: Ich bin davon überzeugt, dass die Nachhaltigkeits-Regulierungen grundsätzlich notwendig und sinnvoll sind. Unsere Erfahrung ist, dass auch viele Konsumenten und Verbraucher diese Transparenz einfordern. Sie wollen wissen, woher ihr Kaffee kommt, ihre Schokolade oder ihr Schreibtisch. Die Gestaltung der Regulierungen ist jedoch nicht immer optimal: Es gibt selten konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen und der Einsatz von entsprechenden IT-Systemen zur Automatisierung wird selten bei der Gestaltung berücksichtigt.

Bekannt ist Ihre Firma bisher vor allem für Ihre Software zum Lieferkettenmanagement. Wie stark steht inzwischen die nächste, EU-weite Verordnung im Fokus: die Anti-Entwaldungsverordnung EUDR?
Wir beschäftigen uns seit über einem Jahr mit der EUDR. Sie ist am 29.06.2023 in Kraft getreten. Das bedeutet aber noch keine unmittelbare Handlungsableitung, denn zur Anwendung kommt sie erst am 30.12.2024; kleine und mittelständische Unternehmen haben noch ein halbes Jahr mehr Zeit.

Was ist das Ziel der EUDR?
Die EU möchte erreichen, dass wir innerhalb der Europäischen Union keine Produkte mehr konsumieren, für die etwa Fläche im Regenwald gerodet oder in Plantagen umgewandelt wurde. Denn Regenwald trägt besonders viel zur CO2-Speicherung bei. Aber im Grunde geht es um alle Wälder, auch jene innerhalb der EU. Der Stichtag ist der 31.12.2020: Es muss sichergestellt werden, dass Erzeugnisse von Flächen stammen, die nicht nach diesem Tag entwaldet wurden.

Zur Person:

Worin liegt der Unterschied zwischen illegaler Entwaldung und legaler Forstwirtschaft?
Die EU hat den Begriff „Waldschädigung“ definiert: Das ist zum einen eine strukturelle Umwandlung von Primärwald, also eines Waldes mit einheimischen Bäumen, in Plantagenwälder. Auch eine Umwandlung von Primärwald in landwirtschaftlich genutzte Flächen oder Monokulturen fällt darunter, also wenn zum Beispiel jemand einen Wald rodet und dort Soja anbaut. Beides wird künftig für EU-Produkte illegal sein. Für forstwirtschaftliche Unternehmen ändert sich durch die Verordnung grundsätzlich nichts. Es müssen nur zusätzliche Daten erhoben werden.

Welche Informationen sind das?
Unternehmen müssen sogenannte Geolokalisierungskoordinaten der Grundstücke erfassen, auf denen ihr Holz geschlagen oder ihr Kakao oder ihr Kaffee geerntet wird. Zusätzlich dazu haben Unternehmen eine Sorgfaltspflicht, dass diese Produkte und Rohstoffe im Einklang mit den lokalen Gesetzen des Ursprungslandes hergestellt werden, dass also der Produzent die lokalen Landnutzungsrechte hat, und auch, dass die Menschenrechte im Allgemeinen und die Rechte indigener Bevölkerungen eingehalten werden.

Um beim Holz zu bleiben: Wie holt der Produzent diese Daten ein?
Das ist unterschiedlich aufwändig, weil das Gesetz Wälder auf der ganzen Welt betrifft. Für den bayerischen Staatsforst sind diese Daten natürlich deutlich einfacher anzufordern als für ein Waldstück in Myanmar. In einigen Ländern gibt es Katasterämter, in denen diese Daten bereits vorliegen. Für die übrigen gibt es technische Lösungen. In unserem Fall kann der Produzent auf einer Karte seine Grundstücke einzeichnen, ähnlich wie eine Markierung bei Google Maps.

Wie geht es dann weiter?
Wenn der Besitzer seine Grundstücke eingezeichnet hat, gleicht unsere Software die Fläche mit Satellitendaten ab. Wir greifen dabei auf Daten und Satellitenfotos der europäischen und amerikanischen Raumfahrtbehörden (ESA und NASA) zurück. Diese gehen bis zu 40 Jahre zurück und geben alle zwei Wochen ein aktualisiertes Bild ab. Mit dem menschlichen Auge ist da aber in der Regel wenig zu erkennen, und das liegt nicht nur an der Wolkenlage: Das sind multispektrale Bilder, da läuft also eine Computeranalyse.

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Wie erkennt der Computer denn, ob ein Wald legal oder illegal gerodet wurde?
Dazu benötigt der Algorithmus natürlich jede Menge zusätzlicher Informationen über den jeweiligen Ort. Ist der Bereich von einer Ausnahme betroffen? Beispielsweise darf Wald gerodet werden, wenn dafür an der Stelle notwendige Infrastruktur gebaut wird, also etwa eine neue Straße. Das Holz, das dort geschlagen wird, darf für Produkte verwendet werden, die in die EU importiert werden. Das muss der Computer wissen. Wenn ein Sturmschaden vorliegt, sieht das auch erst einmal wie ein Kahlschlag aus – auch dieses Holz darf aber nach EUDR verwendet werden. Da muss also sehr viel Analyse durch die Software erfolgen. Nach der Überprüfung muss das Unternehmen Meldung machen. Ob und wie die Behörden die Prüfung vornehmen werden, ist im Detail nicht bekannt. Die Umsetzung liegt bei den lokalen Mitgliedsstaaten. In Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für die Kontrollen der EUDR zuständig.

Dass Wälder illegal gerodet werden, dürfte aber im Bayrischen Staatsforst wesentlich seltener vorkommen als in anderen Teilen der Welt.
Richtig. Deshalb wird die EU auch noch ein Benchmarking-System veröffentlichen, wo sie die Länder nach Niedrig-, Mittel- und Hochrisiko-Ländern kategorisiert. Bei einem Niedrigrisiko-Land muss das Unternehmen nur eine vereinfachte Risiko-Analyse vornehmen. Die Kategorisierung gilt auch für die Überprüfung der einzelnen Länder und Behörden: Bei Hochrisiko-Ländern sollen die einzelnen Staaten neun Prozent der abgegebenen Sorgfaltserklärungen prüfen, bei Niedrigrisiko-Ländern nur ein Prozent. Aus vielen Branchen kommt hierzu übrigens Kritik, dass die EU dieses System bisher noch nicht veröffentlicht hat.

Die Kritik aus der verarbeitenden Industrie geht noch viel weiter: Kaffeeröster wie auch Möbelhersteller sagen, das Gesetz sei in der jetzigen Form für sie unmöglich umsetzbar. Wie ist Ihre Einschätzung?
Wir sehen ein sehr diverses Bild bei Unternehmen. Es gibt viele, die schon gut vorbereitet sind. Und es gibt ebenso viele, die gerade erst anfangen, sich mit der Regulierung zu beschäftigen und nun schnell versuchen, die erforderlichen Daten einzuholen. Meine Wahrnehmung ist: Viele hätten gerne eine Übergangsfrist, beispielsweise durch das Aussetzen von Sanktionen.

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Einfach aussitzen und darauf hoffen, dass die EU den Stichtag doch noch nach hinten verschiebt?
Wir raten klar davon ab, bis Dezember zu warten und auf eine Erleichterung zu hoffen. Betroffene Unternehmen sollten sich so schnell wie möglich damit beschäftigen, wie sie die EUDR umsetzen.

Aber der knappe Zeitrahmen ist eine häufige vorgebrachte Kritik. So ist etwa die automatisierte Schnittstelle zwischen Firmen und Behörden erst Ende Mai 2024 freigeschaltet worden – und auch nur in einer Testphase.
Da haben die Unternehmen sicherlich einen Punkt. Es war tatsächlich lange unklar, ob es überhaupt eine automatisierte Schnittstelle gibt. Das eigentliche System für die echten Daten soll erst Mitte Dezember 2024 freigeschaltet werden. Das ist sehr knapp! Man muss bedenken: Ein Unternehmen muss die Geo-Daten nicht bloß einsammeln, sondern auch den Behörden zur Verfügung stellen, also in ein EU-System einpflegen. Und das sollte natürlich automatisiert geschehen, denn es geht schon bei kleineren Unternehmen um eine große Anzahl verschiedener Rohstofflieferanten und Bestellungen.

Sind alle Ihre Kunden technisch dazu in der Lage?
Für mittelständische Unternehmen, die ohnehin einen großen Digitalisierungs- und Investitionsrückstau haben, ist das eine große Herausforderung. Auch weil viele nicht genau wissen, was sie jetzt eigentlich konkret tun sollen. Das ist ein Hauptkritikpunkt: Die EU muss noch viel konkretisieren! Wie bei jeder EU-Verordnung sagt sie auch bei der EUDR nicht genau: Ein Unternehmen muss künftig A, B und C tun, sondern beschreibt die Ziele.

Was wird mit Lebensmittel- und Möbelherstellern passieren, die nichts unternehmen?
Wenn etwa ein Möbelhersteller im Januar 2025 seine 20 Schreibtische importieren will, aber die notwendigen Daten nicht an die EU übermitteln kann, darf er die Schreibtische nicht in der EU verkaufen. Die EU hat dafür Strafen festgelegt: Die Ware kann beschlagnahmt werden und die Behörden der Länder können Geldstrafen verhängen, abhängig vom Umsatz. Wie genau geprüft und sanktioniert wird, ist Auslegungssache der Mitgliedsstaaten.

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Wie entwickelt sich Ihr Geschäft, je näher der EUDR-Stichtag rückt?
Wir haben sehr gut zu tun. Unser klassischer Kunde ist gehobener Mittelständler mit 500 bis 1000 Mitarbeitern aus dem produzierenden Gewerbe. Mittlerweile betreuen wir 1300 Kunden, vor allem in Europa.

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