Kaffeeindustrie in Gefahr Können wir Ihren Kaffee nächstes Jahr noch kaufen, Herr Lavazza?

Giuseppe Lavazza Quelle: Lavazza

Kaffee ist bedroht: vom Klimawandel und von einer EU-Verordnung. Giuseppe Lavazza, Verwaltungsratschef des gleichnamigen Kaffeerösters, befürchtet steigende Preise und schrumpfende Vielfalt.

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WirtschaftsWoche: Herr Lavazza, können Sie sich noch an Ihren ersten Kaffee erinnern?
Giuseppe Lavazza: Ich erinnere mich nicht mehr genau an meinen tatsächlichen ersten Schluck Kaffee, aber meine ersten Erfahrungen mit Kaffee sind sehr typisch für italienische Kinder: Wie in vielen Familien gaben uns Oma und Opa einen kleinen Klecks Kaffee in eine Zuckerbox und formten daraus eine Art Kaffee-Zucker-Kugel. Die durften wir als Kinder ab und zu naschen – sehr populär in Italien! Und etwas später bekam ich zum Frühstück in mein Glas Milch einen kleinen Schluck Kaffee. Das gab mir das Gefühl, erwachsener zu sein, als ich zu der Zeit tatsächlich war.

Und heute, als Erwachsener?
Heute trinke ich zwischen drei bis fünf Espressi am Tag – und ab und zu einen Cappuccino.

Sie sind Teil einer Kaffee-Dynastie: Im Jahr 1895 eröffnete Ihr Urgroßvater Luigi Lavazza in Turin den ersten Kaffeeladen, heute beschäftigt Lavazza mehr als 5.500 Mitarbeiter und macht 3,1 Milliarden Euro Umsatz. Sie sitzen seit 1991 im Verwaltungsrat. War das Geschäft mit Kaffee jemals schwieriger als heute?
Jede Zeit hatte und hat ihre eigenen Hürden und Chancen. Heute sind wir in der schwierigen Phase, dass Rohkaffee sehr teuer geworden ist. Zuerst betraf es Arabica, die empfindlichere der beiden Kaffee-Gattungen, ausgelöst 2021 durch breitflächigen Frost und Ernteausfälle im größten Anbauland Brasilien. Aktuell sind die Preise für Robusta sehr hoch, was unüblich ist.

Zur Person

Wird Kaffee zum Luxusprodukt?
Leider wird Kaffee seit ein paar Jahren immer teurer. Das könnte dazu führen, dass die Menschen ihren Konsum reduzieren – schlicht, weil sie ihn sich nicht mehr in dem Ausmaß leisten können. Dabei steigt die Nachfrage stetig an.

Ein Grund, warum Kaffee teurer wird, ist die globale Klimaerwärmung: Laut einer Studie ist bis zum Jahr 2050 etwa die Hälfte der weltweiten Arabica-Ernte bedroht.
Die Klimaerwärmung beeinflusst ganz klar die Produktivität und die Menge der Kaffeeernte – schon seit mehreren Jahrzehnten. Wir hatten besagten Frost, manchmal hatten wir tropischen Regen, Flut – Kaffee ist ein landwirtschaftliches Produkt und als solches dem Wetter ausgesetzt. Robusta ist die stärkere, robustere der beiden Kaffeesorten und deshalb weniger betroffen vom Klimawandel als Arabica. Dennoch wird Robusta-Kaffee aus verschiedensten Gründen teurer – dazu zählen die Inflation, Marktspekulationen sowie geopolitische Umstände: durch die faktische Blockade des Suezkanals. Robusta wird etwa in Vietnam, Indonesien oder Uganda angebaut. Wenn wir aus diesen Ländern Kaffee nach Europa importieren, müssen die Schiffe durch den Suezkanal. Doch das geht nun nicht. Jetzt fahren sie einen Umweg um Afrika. Das dauert 20 Tage länger. Allein für die Schiffe zahlen wir nun viermal so viel. Arabica kommt aus Süd- und Mittelamerika und ist davon nicht betroffen.

Den Arabica-Anteil zu erhöhen, ist keine Option?
In unserem Portfolio macht Arabica etwa 60 Prozent und Robusta rund 40 Prozent aus. All unsere Blends bestehen aus bestimmten Kompositionen von verschiedenen Kaffee-Sorten, und auch wenn die Preise für manche dieser Sorten schwanken, verändern wir niemals die Kompositionen dieser Blends.

Mit Ihrer „Fondazione Lavazza“ bekämpfen Sie die Folgen des Klimawandels in der Kaffeeindustrie, etwa durch mehr Biodiversität – was bedeutet das konkret?
Aktuell gibt es 33 aktive Projekte auf drei Kontinenten, von denen über 190.000 Menschen profitieren. Wir versuchen etwa, viele Kaffeeplantagen mit Schattenbäumen aufzurüsten, um die teils empfindlichen Kaffeepflanzen vor der Sonne zu schützen. Oder wir pflanzen zwischen die Kaffeepflanzen gezielt spezielles Gräser. Das kann sehr nützlich sein, weil sie das Wasser auf Bodenniveau auffangen und zurückhalten. So hilft das Gras, den Boden feucht zu halten und das Risiko von Austrocknung zu mildern. Leider bringt der Klimawandel aber auch mehr Pflanzen-Krankheiten mit sich, gegen die wir uns wappnen müssen.

Laut dem deutschen Kaffeeverband müssten viele Kaffeebauern wegen der globalen Erwärmung ihre Anbaugebiete in höhere, kühlere Lagen verlegen – aber das ist leichter gesagt als getan. Worin bestehen dabei die Schwierigkeiten?
Das ist richtig – und in der Praxis leider nicht so einfach. Land ist nicht einfach so frei verfügbar, um darauf eine neue Kaffeeplantage zu pflanzen. In den Anbauregionen gibt es viele andere Bauern, die ihrerseits ihre Kulturpflanzen anbauen wollen. Mit denen stehen Kaffeebauern im Wettbewerb um Landflächen. Auch wenn die Bauern im Moment natürlich ein gutes Argument haben, denn Kaffee erzielt hohe Preise, also ist der Anbau finanziell lukrativ. Zudem sehen wir die Tendenz, dass viele lokale Behörden ihre Wald-Regionen mehr und mehr gegen Abholzung schützen – was natürlich gut ist! Und es passiert übrigens nicht nur wegen der EU-Regulierung. Also man kann nicht einfach den Hügel weiter hinaufgehen, dort die Bäume abholzen und Kaffeeplantagen anpflanzen, so einfach ist das nicht.

Die EU-Verordnung über „entwaldungsfreie Lieferketten“ wird zu steigenden Kaffeepreisen führen und die Existenz vieler Kleinbauern gefährden. Die sind nicht in der Lage, die komplexen Nachweispflichten zu erbringen.
von Daniel Goffart

Sondern?
Am besten ist es, das zu beschützen, was man bereits hat. Mit Sicherheit wird es viele Kaffee-Anbauflächen geben, die in Zukunft bei steigenden Temperaturen nicht mehr in der Lage sein werden, weiterhin Kaffee zu produzieren. Diese Kaffeeplantagen werden also leider aufgegeben und durch andere Kulturpflanzen ersetzt werden. Aber die Lösung wird nicht darin bestehen, weniger Kaffee zu produzieren, denn die Welt verlangt ja nach immer mehr Kaffee. Also ist ein Ziel, die Effizienz und Produktivität der bestehenden Kaffeeplantagen zu erhöhen.

Zum Beispiel durch Hitze-resiliente Kaffeepflanzen, deren Entwicklungsforschung Sie auch fördern?
In Kolumbien gibt es zum Beispiel ein Institut, das an der Genetik der Kaffeepflanze arbeitet. Die beteiligten Forscher züchten eine neue Art von Sorten, um robustere Kaffeepflanzen zu produzieren. Gerade in Kolumbien haben Kaffeebauern ein großes Problem mit dem sogenannten Rost, einem speziellen Pilz, der viele Kaffeepflanzen in der Region zerstört hat. Viele Kaffeeplantagen in Kolumbien wurden in der jüngeren Vergangenheit neu bepflanzt mit einer neu kultivierten Pflanze, die gegen Rost unempfindlich ist.
Vor zehn Jahren haben Sie zu Forschungszwecken auch mit Ihrem Wettbewerber Illy Caffè wissenschaftlich zusammengearbeitet.
Ja, unsere Unternehmen sind Wettbewerber, aber Andrea Illy und ich auch Freunde. Dank der Universität in Triest waren wir in der Lage, das Genom der Arabica-Spezies zu entschlüsseln. Das Ergebnis haben wir dem World Coffee Research übergeben, einem unabhängigen Forschungsinstitut. Die Forschungsergebnisse können seitdem benutzt werden, um neue, effizientere Kaffeesorten einzuführen.

Konkret?
Im Kaffeegeschäft handeln wir mit standardisierten Größen, ein Sack enthält in der Regel 70 Kilo Kaffee. Nun gibt es Bauern, die von einem Hektar Anbaufläche nur vier Säcke ernten können. Andere sind in der Lage, 80 oder 100 Säcke von einem Hektar Fläche zu ernten – allein durch andere Sorten. Man kann also die Kaffeemenge in einer Parzelle locker verdreifachen, auch ohne in eine andere Zone ziehen zu müssen.

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