Großbritannien-Wahl 2024 „Die Deutschen denken, sie müssten den Briten erzählen, dass der Brexit falsch war“

Bei der Wahl in Großbritannien dürfte die Labour-Partei einen historischen Sieg einfahren. AHK-Chef Ulrich Hoppe erklärt, warum der Brexit totgeschwiegen wurde und was von der neuen Regierung zu erwarten ist.

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WirtschaftsWoche: Herr Hoppe, wie kommt es, dass der Brexit im britischen Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat?
Ulrich Hoppe: Das Thema versuchten beide Seiten zu vermeiden.

Wie der Elefant, der im Raum steht, über den aber keiner spricht.
Der Elefant steht im Raum, aber anders. Labour wollte natürlich auch keine Wähler verlieren, die ursprünglich für den Brexit gestimmt haben. Aber es ist noch etwas anderes. Die Deutschen denken oft, sie müssten den Briten erzählen, dass der Brexit falsch war. Aber das wissen die meisten selber auch. Die Briten sind aber eher eine Handelsnation, sie schauen in die Zukunft und suchen neue Gelegenheiten, statt bei hätte, könnte, sollte zu verharren. Man hat sich für den Brexit entschieden, es war eine demokratische Wahl und jetzt muss man eben das Beste daraus machen.

Überrascht es Sie, dass auch immer mehr Wirtschaftsführer zu Labour übergelaufen sind?
Die Tories haben in den vergangenen 14 Jahren in den Augen vieler das Land ziemlich heruntergewirtschaftet. Viele denken, dass ein Wechsel dem Land guttun würde. Hinzu kommt, dass die Meinungsumfragen schon länger zeigen, dass es mit der Regierung der Konservativen zu Ende geht. Und der ein oder andere ist vielleicht auch schon vorauseilend auf die andere Seite gewechselt.

Ulrich Hoppe Quelle: PR

Zur Person

Waren die 14 Jahre unter den Konservativen wirklich wirtschaftlich so desaströs für Großbritannien?
Jein. Die Brexit-Entscheidung fällt unter die Zeit der Konservativen. Auch die Brexit-Verhandlungen, während denen es sehr viel Unsicherheit gab. Alle Ökonomen sind sich einig, dass die britische Wirtschaft wegen des Brexits um fünf Prozent weniger gewachsen ist, als sie es sonst getan hätte. Das merken die Unternehmen natürlich. Auch, dass durch den Brexit vieles im internationalen Handel schwieriger geworden ist. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die britische Wirtschaft trotzdem gewachsen ist. Und das stärker als die deutsche. Es ist also eher eine verpasste Chance.

Die Stimmung ist trotz des Wachstums mies.
Ja, es gibt eine Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Auch, weil das BIP pro Kopf sich nicht so stark entwickelt hat. Das liegt vor allem an der Einwanderung. Auch wenn die Hälfte der Immigranten arbeitet, hebt das zwar die gesamte Wirtschaftsleistung, nicht aber unbedingt die pro Kopf. Das sind Probleme, die haben wir in ähnlicher Form in Deutschland auch. Und das merken die Menschen. Da entsteht Unzufriedenheit, weil sich der Durchschnittsbrite trotz vermeintlichen Wachstums nicht reicher fühlt.

Werden sich die Beziehungen zu Europa unter einer Labour-Regierung verbessern?
Das hoffen viele. Es ist aber die Frage, wie viel Labour wirklich frei gestalten kann. Schließlich wären sie dann in vielen Bereichen „rule taker“, müssen sich dann also an bestehende Regeln halten, statt selber welche zu schaffen. Wenn die EU etwa neue Hygienevorschriften für Lebensmittel erlässt, müssten die Briten diese bei einem von Labour für diesen Bereich angedachten Abkommen umsetzen. Das ist natürlich auf eine Art widersinnig, wenn man an die Worte der Brexiteers denkt, die eben keine Regelempfänger mehr sein wollten. Aber da waren die Briten schon bisher in einigen Fällen, wie beispielsweise bei der Anerkennung des CE-Kennzeichens, am Ende pragmatisch – Brexiteer hin oder her. Die Unternehmen hoffen, dass zusätzlicher Schwung in die Wirtschaft kommt, wenn es wieder eine etwas bessere Anbindung an die EU gibt.

Lesen Sie auch: Kann Labour Großbritannien wirtschaftlich reanimieren?

Viele Unternehmer bemängeln, dass es in England derzeit kaum noch möglich sei, ein Unternehmen zu führen. Wie sehen Sie das?
Die Tatsachen sprechen dagegen, es gibt schließlich fünf Millionen Unternehmen in Großbritannien. Die werden auch von irgendwem geführt…  Aber im Ernst, ja, es ist herausfordernder geworden, international agierende Unternehmen zu führen. Weil es so viele Formalia gibt, die man erfüllen muss, wenn man etwa in die EU exportieren will. Aber diese Herausforderungen hatten die großen Unternehmen schon immer, die nicht nur mit der EU, sondern weltweit Handel betrieben haben. Für manche kleine Unternehmen lohnt es sich hingegen nicht mehr, den europäischen Markt zu bedienen. Und das ist umgekehrt genauso: Viele kleinere Versandhändler vom Kontinent liefern nicht mehr nach Großbritannien.

Auf der Labourpartei ruhen jetzt sehr viele sehr unterschiedliche Hoffnungen. Muss das nicht fast zwangsläufig in Enttäuschung münden?
Die Labourpartei war im Wahlkampf sehr diszipliniert. Und wenig konkret, was ihnen ja auch vorgeworfen wird. Es fehlt nach Meinung vieler an Vision. Aber sie wollen das höchste Wachstum der G7-Nationen haben. Das ist natürlich nur ein Traum, dass man plötzlich amerikanische Wachstumsraten in Europa erreicht. Alle Sozialversprechen, die sie machen, wollen sie nicht mit höheren Steuern finanzieren, sondern mit Wachstum. Ob das aufgeht, sei dahingestellt. Viele vermuten, dass mehr an der Steuerschraube gedreht werden muss, damit die Versprechen eingehalten werden können.

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Wird Kandidat Keir Starmer Labour nach der Wahl weiter so diszipliniert im Zentrum halten können, oder werden dann die linken Stimmen wieder lauter?
Ich glaube, Labour bleibt diszipliniert. Die Partei hat sich verändert, das hat Starmer mit einer gewissen Härte durchgesetzt. Zumindest in den ersten Jahren dürfte er sein Team zusammenhalten. Danach kommt es auch darauf an, wie die Wirtschaft sich weiter entwickelt. Aber Labour hat den Vorteil, dass die Wirtschaft gerade aus einem negativen Zyklus kommt. Sie werden mehr Wachstum haben und weniger Einwanderung und auf dieser Welle werden sie reiten können. Auch wenn es die konservative Regierung war, die einige der Stellschrauben dafür gedreht hat.

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