In 491 Tagen ist für Joachim Kreuzburg Schluss. So lange ist der CEO des Göttinger Pharmaunternehmens Sartorius noch im Amt. 491 Tage, in denen Kreuzburg das Unternehmen noch leitet – obwohl alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen: Bald ist er weg. Seit mehr als 20 Jahren ist Kreuzburg im Amt – und will „aus Gründen seiner langfristigen persönlichen Lebensplanung“ aufhören, wie das Unternehmen in dieser Woche verkündete.
Es ist eine ungewöhnlich lange Zeit bis zum Abschied. Für CEOs wie Kreuzburg, die ihren Abgang in der fernen Zukunft verkünden, gibt es im Management eine Beschreibung, die ihren Ursprung in der US-amerikanischen Politik hat: Lame Duck, lahme Ente. Die Befürchtung bei dieser Art des Abgangs: Die Unsicherheit wächst, es entsteht eine Führungslücke, wichtige Entscheidungen werden vertagt.
Nicht nur für Sartorius und Kreuzburg stellt sich bei einem solchen Wechsel die Frage: Wie können Führungskräfte verhindern, dass sie zur Lame Duck werden?
Was lässt sich daraus lernen?
Christine Kentzler beobachtet, dass viele Managerinnen und Manager bei einem Wechsel vor allem die neue Herausforderung im Blick haben und sich voll auf den Start und das Onboarding in die neue Position fokussieren. „Viele Unternehmen verkennen, wie entscheidend ein professionelles Offboarding ist“, sagt Kentzler – und plädiert dringend für gutes Trennungsmanagement. Das sei im Interesse von Unternehmen und Managern. Für die Beratung Kienbaum unterstützt Kentzler Unternehmen bei Transformationen, coacht Führungskräfte in Karrierefragen und begleitet sie bei der beruflichen Neupositionierung.
1. Lieber ein Ende mit Schrecken
Ganz allgemein rät Kentzler dazu, die Zeit zwischen der Verkündung des Abschieds und dem tatsächlichen Austrittsdatum so kurz wie möglich zu halten. Gerade ganz oben in der Hierarchie gelten meist besonders lange Kündigungsfristen oder Restlaufzeiten der Verträge. „Hier sollten sich beide Seiten darum bemühen, eine kürzere Frist auszuhandeln“, sagt Kentzler.
Was aber wenn so schnell kein Nachfolger bereitsteht? Wenn die Nachricht schnell verkündet werden muss? Immerhin ist die Signalwirkung fatal, wenn die Belegschaft über einen Wechsel in der Unternehmensführung zuallererst über den Flurfunk erfährt. Wenn der Wechsel einvernehmlich ist, rät Kentzler zu einer frühzeitigen und transparenten Kommunikation mit einem verbindlichen Zeitplan, wann der Wechsel anstehen soll und bis wann man einen Nachfolger finden möchte. Erfolgt der Wechsel allerdings nicht einvernehmlich? Ist das Verhältnis sogar zerrüttet? „Dann empfiehlt sich ein ganz klarer, schneller Cut“, sagt Kentzler.
2. Verantwortung aufteilen
Wenn die Phase zwischen Verkündung und Trennung mehrere Monate lang ist, so empfiehlt es sich, die Verantwortung desjenigen, der das Unternehmen verlässt, schon mal auf anderen Schultern zu verteilen. Gerade bei Vorständinnen und Vorständen kann es sinnvoll sein, einen Interimschef oder eine Interimschefin einzusetzen. In anderen Fällen würden die Stellvertreter schon mal Projekte übernehmen, oder dem Wechsler die Verantwortung für wichtige Kunden abnehmen, sagt Kentzler. „So minimieren Unternehmen die Risiken“. Schließlich sei es immer möglich, dass eine Trennung nicht einvernehmlich abläuft. Und Personen mit besonders viel Macht können Unternehmen enorm schaden, wenn sie wollen. Die wichtigsten Kunden zu sich ziehen, schlechte Stimmung verbreiten, die besten Mitarbeiter abwerben. Solche Dinge eben.
Und selbst wenn die Managerinnen und Manager ihrem alten Arbeitgeber gar nicht aktiv schaden wollen, „so sind sie gedanklich häufig schon in ihrem neuen Wirkungskreis angekommen“, beobachtet Kentzler in der Praxis. In einem Brief an die Sartorius-Belegschaft, aus dem das „Handelsblatt“ zitiert, versichert Joachim Kreuzburg, er werde sich in den kommenden gut 16 Monaten voll auf Sartorius konzentrieren.
Diese Führungstypen gibt es in Unternehmen
Dieser Typ hat die Fähigkeit, Menschen im direkten Kontakt Sicherheit zu geben und ihnen persönlich den Rücken zu stärken. Der Chef ist authentisch, kompetent und besitzt natürliche Autorität. Loyalität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden sind Ergebnis persönlicher Vorbildfunktion und Verantwortungsübernahme. Zentrales Ziel ist, langfristig die Arbeitsplätze der Menschen im Unternehmen und stabile Beziehungen und Organisationsverhältnisse zu sichern.
Die zahlengetriebene Führungskraft ist in der Lage, Menschen so zu organisieren, dass sie auf der Basis eines bestehenden Geschäftsmodells maximalen Profit erwirtschaften. Gute Führung erhöht die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens über Strategie, Zielemanagement und ein professionelles, auf Kennzahlen gestütztes Controlling. Zentrales Ziel ist, eine attraktive Rendite für die Kapitaleigner zu gewährleisten.
Eine gute Führungskraft dieses Typs unterstützt und begleitet die Zusammenarbeit in dezentral organisierten, sich flexibel verschiedenen Aufgabenstellungen anpassenden Teams. Wenn der Manager gut ist, fördert er die Erhöhung der internen Diversität, sorgt für maximale Transparenz von Information und gemeinsame Reflexion von Zusammenhängen. Zentrales Ziel ist, Synergiepotenziale im und zwischen Unternehmen zu heben.
Dieser Chef lässt viel Raum für Eigeninitiative und begünstigt die ungehinderte, hierarchiefreie Vernetzung zwischen allen Akteuren im Unternehmen. Wenn er seinen Job gut macht, vereint er Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen unter einer attraktiven Vision und vertraut auf ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation. Zentrales Ziel ist, die Komplexität vernetzter Märkte durch eigene Netzwerke zu bewältigen.
Eine gute Führungskraft dieses Typs motiviert hauptsächlich über persönliche Wertschätzung, Freiräume und die Sinnhaftigkeit gemeinsamer Arbeitszusammenhänge. Er ist offen für basisdemokratische Teilhabe. Themen gesellschaftlicher Solidarität und sozialer Verantwortung sind im Alltagshandeln präsent und wichtig. Zentrales Ziel ist, die Interessen aller relevanten Stakeholder optimal zu balancieren.
Gut so. Denn auch Kentzler rät Managerinnen und Managern, sich in einem solchen Fall besonders loyal und verantwortungsbewusst zu verhalten. ‚Wir sehen uns immer zwei Mal im Leben‘ sei gerade im oberen Management viel mehr als nur eine Redewendung, beobachtet Kentzler immer wieder. Deshalb sei die diskrete und wertschätzende Trennung essenziell, sagt die Beraterin. Dazu gehöre auch eine entsprechende Trennungskommunikation.
3. Es braucht Disziplin
Kentzler hat zuletzt einen Top-Manager eines Automobilkonzerns begleitet. Nach einer einvernehmlichen Trennung blieb er noch ein halbes Jahr aktiv in seiner Position. Damit das gut gelingt, braucht es neben der wertschätzenden Kommunikation und der eindeutigen Rollentrennung vor allem Disziplin. Das beobachtete Kentzler in diesem Fall. „Denn es gehört einiges dazu, sich noch mit viel Verve in Projekten zu engagieren, deren Laufzeit die eigene Verweildauer in der Position überschreitet“, sagt Kentzler.
Damit diese Projekte auch zum Erfolg werden, braucht es „das uneingeschränkte Vertrauen und den Rückhalt des oberen Managements und der direkten Kolleginnen und Kollegen“, wie Kentzler sagt. Und so kann es ratsam sein, dass die Managerinnen und Manager ihren Abgang selbst vor dem Team verkünden. Möglichst persönlich, transparent und nachvollziehbar. Joachim Kreuzburg griff die lange Zeit bis zum Wechsel an der Firmenspitze in seinem Brief sogar auf: „Es mag Sie überraschen, dass ich meinen Abschied so frühzeitig ankündige. Mir ist es aber wichtig, Sartorius zu ermöglichen, die Weichen für die Nachfolge ohne Zeitdruck zu stellen“, zitiert das „Handelsblatt“ daraus.
Zur Wahrheit gehört auch: Obwohl der Ruf von ausscheidenden CEOs schlecht ist, performen die Firmen mit einer Lame Duck an der Spitze besonders gut. Das fanden Forscher der Universitäten Mannheim, Leipzig und Rotterdam in einer Studie aus dem vergangenen Jahr heraus. Dafür haben sie die Performance von Lame-Duck-CEOs in Firmen des US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 zwischen 2005 und 2018 analysiert. Wurde ein Abgang bekanntgegeben, ohne dass ein Nachfolger feststand, charakterisierten die Forscher den CEO als Lame Duck. Ein Index aus Lame-duck-Unternehmen lag um 9,6 Prozent über der üblichen Marktrendite.
Womöglich, so die Vermutung der Forscher, liegt das am Wettbewerb um die Nachfolge. Mitarbeiter, die sich Hoffnung darauf machten, würden sich besonders reinhängen – und davon profitiert die Firma.
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