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  4. „Trip mit Tropf“ und „Der Bärbeiß“ von Josephine Mark: Wie kindgerecht sind Krebs und schlechte Laune?

Literatur Kinderbücher

Der trockene Humor des Todes

Redakteur Feuilleton
„Comickünstler trauen sich mehr“: Josephine Mark „Comickünstler trauen sich mehr“: Josephine Mark
„Comickünstler trauen sich mehr“: Josephine Mark
Quelle: Stephan Pramme
Sind krebskranke Kaninchen lustig? Und welche Partei würde ein Bärbeiß wählen? Josephine Mark schreibt und zeichnet Comics für einen Kinderverlag und bekommt Preise dafür. Aber wie altersgerecht sind solche Themen?
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Im Morgengrauen bricht sie auf an ihrem Wohnort zwischen Weißenfels und Naumburg an der Saale. Sie besteigt die Bahn in Halle und fährt nach Berlin. Als der „Salon der grafischen Literatur“ im alten Stadtbad im Stadtteil Wedding öffnet, trifft sie ein, stellt ihren schweren Rucksack ab und fällt ihren Verlegern in die Arme. Josephine Mark steht lachend neben ihren Büchern, die auf einem Tisch vor dem Salon ausliegen: „Trip mit Tropf“, „Murr“ und „Der Bärbeiß“.

Das Luisenbad im Wedding ist eine Oase. Früher sprudelte hier eine Quelle, der Gesundbrunnen, in der urbanen Wüste an der Panke. Heute dient das Badehaus mit seinem neovenezianischen Portal als öffentliche Bibliothek mit Park und Spielplatz. Würde Josephine Mark es zeichnen, wäre es bevölkert von fröhlichen Häschen voller Wissensdurst und Tatendrang.

Einmal im Jahr trifft sich die deutschsprachige Comicszene zum „Salon der grafischen Literatur“, zum „ComixBad“ mit Workshops, Vorträgen und Fachgesprächen, Schwerpunkten wie „Comics in der Leseförderung“ und Klapptischen im Freien für die Hefte und die Alben. Und mit ihren Stars, gestandenen wie Ralf König, der kurzfristig absagt, und gerade aufgegangenen wie Josephine Mark, die ihren Rucksack in den ersten Stock schleppt, um im Puttensaal aus ihrem neuen Band zu lesen. „Seit zwei Jahren geht das so“, sagt sie, das Reisen und das Reden über sich und ihre Kunst.

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Vor zwei Jahren erschien bei Kibitz, einem Hamburger Verlag für Kindercomics, „Trip mit Tropf“. Ihr zweiter Band nach „Murr“ über einen mürrischen Westernhelden handelte von einem krebskranken Kaninchen. In der Waldklinik trifft es auf einen angeschossenen Wolf und rettet ihm das Leben, indem es versehentlich mit seinem Chemotherapie-Tropf eine weitere Kugel ablenkt. Der Wolf sieht sich in der Pflicht: „Wenn dir jemand das Leben rettet, musst du ihm auch das Leben retten.“ „Wolfskodex“, erklärt er. Sie begeben sich auf eine Odyssee, verfolgt vom Jäger und von seinem Dackel Horst, behindert durch den Tropf, aber in immer innigerer Freundschaft. Dem Kaninchen fällt das Fell aus, woraufhin der Wolf ihm ein Kapuzenkleidchen näht. Gemeinsam singen sie „Born to Be Wild“. Am Ende treffen sie auf eine sanftmütige Braunbärin namens Beate, dem Kaninchen wächst wieder ein Puschelschwanz, und es verlangt nach Pommes. Happy End.

Drei Jahre, bevor „Trip mit Tropf“ veröffentlicht wurde, erkrankte Josephine Mark an Krebs, mit 38. „Es ist aber nicht meine Geschichte“, sagt sie. Sie habe ein Trostbuch für sich selbst geschrieben. „Es geht nicht um mich, sondern um mehr.“ Im Seminar beim Comicsalon Erlangen mit Birgit Weyhe und Ralf König als Dozenten zeichnete sie ihre Fabel, während ihrer Chemo. Nach der Reha tuschte sie den Road-Comic ins Reine. Wiederum in Erlangen bekam sie für den Band den Max-und-Moritz-Preis, die höchste Auszeichnung für deutschsprachige Graphic Novels, vor der Buchmesse in Frankfurt wurde „Trip mit Tropf“ für den Jugendliteraturpreis nominiert.

„Trip mit Tropf“ von Josephine Mark im Kibitz Verlag
„Trip mit Tropf“ von Josephine Mark im Kibitz Verlag
Quelle: Kibitz Verlag/Comic: Josefine Mark

Wie kindgerecht sind sterbende Kaninchen, wie geeignet für Heranwachsende ist ein abgebrühter Wolf, der das Kaninchen anschnauzt: „Du kommst mit mir mit, bis wir diesen ganzen Scheiß in dich reingepumpt haben!“ Josephine Mark sagt: „Ich sehe mich gar nicht als Kindercomicautorin. Ich mache Comics für alle.“ Kindern selbst sei eine Kennzeichnung wie „5+“ völlig gleichgültig, ihnen seien auch ernste, schwere Themen zuzumuten. Kibitz, ihr Verlag, traut sich da einiges zu – wie eine zweite Auflage ihres Debüts, die erste brachte Zwerchfell als Verlag für eher Erwachsene heraus: Murr, ein geborener Miesepeter, handelt mit dem Tod um Gnade, als sein Hals bereits in einer Schlinge steckt. „Es ist immer das Gleiche: Solange ihr jung seid und gesund, existiere ich für euch nicht“, wendet der Schnitter ein. „Murr“ war für Josephine Mark ihr eigenes Memento mori: „Ich musste mir selber etwas ausdenken, als Atheistin.“ Auf dem Grabstein, den Murr seinem Pferd setzt, steht: „Die Dinge sind nicht kostbar, weil sie währen, sondern weil sie uns zu dem machen, der wir sind.“

„Murr“ von Josephine Mark, ursprünglich bei Zwerchfell, jetzt bei Kibitz
„Murr“ von Josephine Mark, ursprünglich bei Zwerchfell, jetzt bei Kibitz
Quelle: Kibitz Verlag/Comic: Josefine Mark

An diesem sonnigen Frühlingstag sitzt sie nun im Luisenbad im Puttensaal und liest aus ihrem dritten Band. „Der Bärbeiß“ feiert wieder einen Misanthrop (wie Murr) und Eigenbrötler (wie den Wolf). Der braunfellige Griesgram stammt aus den Geschichten von Annette Pehnt und Jutta Bauer, aus zwei Kinderbüchern. Von der Comicadaption erhofft sich Hanser, der Verlag der Bücher, einiges. Nachdem sich „Trip mit Tropf“ in aller Welt verbreitet, bis ins Baskische und Katalanische, gab es die ersten Übersetzungsanfragen zu Josephine Marks „Bärbeiß“ schon vor der Drucklegung. Die Bücher von Bauer und Pehnt sind bisher lediglich auf Deutsch zu haben. Für den Comic hatte die Autorin freie Hand. Der einzigen Bitte der Illustratorin kam sie nach: Der Bärbeiß möge seine Karohose anbehalten. Dafür hielt sich Josephine Mark beim Tingeli, der zweiten Hauptfigur, näher als Bauer an Pehnts Originaltext, der es als Schimäre aus Blume und Eichhörnchen beschreibt.

Gelesen wird der Anfang der Geschichte, das erste Kapitel: In das leerstehende Waschbärenhaus des Dorfes zieht der Bärbeiß ein, ein ungeselliger Griesgram, der in seinem Garten gräbt und alles Grüne aus dem kargen Boden rupft. Das Tingeli und seine Freunde, eine Horde überdrehter Hasenkinder, eine Graureiher-Familie und ein oberlehrerhafter Pinguin suchen den Bärbeiß heim: „Wir sind die neuen Nachbarn! Wir wollten nur mal vorbeischauen …“ Der Bärbeiß, überfordert: „Was? Wozu?“ Er fühle sich gestört. Ein Hase, bester Laune: „Wir sind keine Störenfriede!“ Und ein zweiter Hase, noch besser gelaunt: „Wir sind Besuch!“ Die Zeichnerin wirft ihre Bilder aus dem Tablet an die Wand und liest die Sprechblasen und die Geräusche. „Quiiietsch“, „Pokk“, „Rumpel“. Wenn der Bärbeiß lärmt, beatboxt sie in ihr Mikrofon oder haut auf den Tisch, dass ihre Bilder wackeln. So wird grafische Literatur performt und präsentiert und anschließend signiert, mit einer Skizze. Mit dem Wolf für „Trip mit Tropf“ und mit dem Bärbeiß für den „Bärbeiß“.

„Der Bärbeiß“ von Josefine Mark, nach Annette Pehnt und Jutta Bauer, bei Kibitz
„Der Bärbeiß“ von Josefine Mark, nach Annette Pehnt und Jutta Bauer, bei Kibitz
Quelle: Kibitz Verlag

Mag sie ihre grimmigen Gestalten mehr als ihre liebenswerten, das Kaninchen und das Tingeli? „Sie sind mir manchmal näher“, sagt sie. Eigentlich scheinen sich alle Wesen, die sie zeichnet, in ihr zu vereinen. Die Netten und Neugierigen mit den Nachdenklichen, Eigensinnigen und auch nicht immer Einfachen mit ihrem knochentrockenen Humor. Man kann es sich mit ihrem „Bärbeiß“ leicht machen: Ein alter, brauner Troll lebt Zaun an Zaun mit einem jungen, wuseligen, gutmütigen und irgendwie queeren Fabelwesen namens Tingeli und fordert es heraus durch seine feindselige Art. Hat er, der Bärbeiß, grundsätzlich was gegen Fremde? Ist er ein Rassist? Welche Partei würde er wählen, wenn er wählen dürfte? „Ich sehe es eher so“, sagt die Autorin: „Er will nur sein Leben leben, muss sich aber mit den Wesen, die schon da sind, arrangieren – so wie sie mit ihm.“ Die Wesen und der Bärbeiß, sagt sie, pflegen keine Vorurteile, sie beurteilen den jeweils anderen danach, wie er sich verhält. Daraus entstehen die Konflikte. Xenophob sei niemand dort im Dorf, weder die Einheimischen noch der Zugezogene. „Der Bärbeiß“ ist eine Integrationsgeschichte.

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Sie muss weiter, ein Kollege liest aus einem Comic-Krimi. Josephine Mark ist nicht nur Zeichnerin. In Leipzig, wo sie jahrelang gelebt hat, unterhält sie ein Büro, organisiert die Reihe „Moritzbastei Comic:Kunst“, für die sie Künstler bucht, und ist Mitglied im KJL, dem „Netzwerk Leipziger Kinder- und Jugendbuchautor*innen“. Netzwerken nennt sie, was sie auch an diesem Tag, neben dem Lesen und sich Zeigen, tut.

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++ NUR honorarfrei für akuelle Berichterstattung zur Ausstellung "DDR-Comic 'Mosaik' - Dig, Dag, Digedag", Neue Ausstellung im eitgeschichtlichen Forum Leipzig, Eröffnung: Sonntag, 10.12.2017 ++ Figurenzeichnung aus der Amerika-Serie: Dig, Dag und Digedag, entworfen von Edith Hegenbarth, 1969. © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Das „Mosaik“ mit den Digedags

Mittags sitzt sie auf einer Bank vor dem Luisenbad im Schatten eines Ahorns, der dem Bärbeiß viel zu grün und prächtig wäre, und erzählt, wie sie zum Zeichnen kam (ihr Vater zeichnete für sie, aber sie mochte ihre eigenen Bilder mehr als seine), wie sie mit dem „Mosaik“ und mit der „Micky Maus“ aufwuchs, zum Studium der Buchillustration in Leipzig abgelehnt wurde, Discoplakate für die „Moritzbastei“, den Leipziger Studentenclub, entwarf (mit Tiercartoons für jede Woche, 15 Jahre lang) und die moderne Comic-Kunst entdeckte (weil ihr Vater ihr zu allen Anlässen ein Album schenkte, das ihm interessant erschien). Sie redet noch einmal über das Tragisch-Komische oder auch Komisch-Tragische ihrer Geschichten: „Schwarz und Weiß wirken nebeneinander kräftiger.“ Und es geht um den Comic, um die sogenannte Neunte Kunst an und für sich.

Es ist sehr lange her, dass Enten, die in Heften aus schlechtem Papier in Blasen sprachen, von Erwachsenen als Schundliteratur betrachtet und verachtet wurden. Im „Salon der grafischen Literatur“ stapeln sich Adaptionen der Weltliteratur und Bildungscomics, Bildbiografien großer Frauen und Männer, Graphic Novels, wie man Comics, auch so lustige mit Tieren wie von Josephine Mark, heute vornehmer nennen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Comics werden in konservativ regierten Gegenden noch immer eifriger gecancelt als geschriebene Bücher. „Sie werden von Künstlern produziert, die sich mehr trauen“, sagt die Schöpferin von Stoikern wie Murr, dem übellaunigen, am Ende aber ängstlichen Revolverhelden. Und von Dramen über sterbenskranke Kleinnager wie „Trip mit Tropf“, die nicht nur in Comicsalons gefeiert werden, sondern auch auf Kinderkrebsstationen.

Josephine Mark kehrt mit Kollegen ein in einen Dönerimbiss an der Straße. Sie wirft sich ihre Kapuzenjacke über mit der Aufschrift eines Hostels, irgendwo in Kanada, wo sie die Landschaft und den Wald für ihren Wolf, der lieber mit einem Kaninchen als im Rudel reist, gefunden haben könnte. Sie verabschiedet sich. Nachmittags wird sie wieder in einen Zug steigen, zur Buchmesse nach Prag. Dort wird sie eine Mitarbeiterin des Goethe-Instituts zum Festival der deutschen Bücher führen, wo sie „Trip mit Tropf“ lesen und über Themen wie den Tod im Comic reden wird. Am Abend wird sie zum Konzert der Kafka Band aus Tschechien gehen und am Ende eines langen Tages im Hotel ins Bett fallen.

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Vita

Geboren 1981 in Naumburg an der Saale, studierte Josephine Mark Kultur- und Medienpädagogik in Merseburg. Nach ihrem Abschluss zog sie nach Leipzig, gestaltete Plakate, illustrierte Kinderbücher und zeichnete Cartoons, die 2018 unter dem Titel „Tiere sind auch nur Menschen“ erschienen. 2021 veröffentlichte sie ihr Comicdebüt „Murr“, im Jahr darauf ihren preisgekrönten Band „Trip mit Tropf“, für den sie 2022 unter anderem mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet wurde – und im Frühjahr 2024 ihre Bilderfabel „Der Bärbeiß“, nach den gleichnamigen Kinderbüchern von Annette Pehnt und Jutta Bauer. Wenn Josephine Mark nicht zeichnet, pflegt sie ihr eigenes Label puvo productions und organisiert in der Leipziger Moritzbastei Comiclesungen mit Künstlern, die sie schätzt und mag.

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