Immer wieder passiert es: Ein Mensch, der gerade noch zwischen wichtigen und unwichtigen Details unterscheiden konnte, läuft plötzlich den Straßenschildern hinterher, weil er meint, dort sei eine geheime Botschaft versteckt, er müsse sie entschlüsseln.
Paranoia, der Glaube an Verschwörungen und das Gefühl, von sinistren Mächten verfolgt zu werden, sind weitverbreitet. Menschen mit Schizophrenie oder einer bipolaren Störung haben so eine veränderte Wahrnehmung. Aber auch Menschen, die nicht psychisch krank sind, können in ein paranoides Denksystem rutschen.
Ein anschauliches Beispiel dafür: Anhänger der sogenannten QAnon-Bewegung sind überzeugt davon, dass eine geheime Weltelite Kinder fangen würde, um aus deren Körpern ein Verjüngungsmittel zu gewinnen. Die meisten von ihnen würden in psychiatrischen Gutachten als zurechnungsfähig eingestuft – sie finden sich ansonsten in der Welt zurecht, irren zum Beispiel nicht wirr durch die Gegend.
Gerade, weil Paranoia bei psychisch Kranken genau wie bei psychisch Gesunden auftreten können, war es bislang ein großes Rätsel, was dabei im Gehirn passiert – welche Netzwerke dafür verantwortlich sind. Nun bringen Forscher der US-Universität Yale Licht ins Dunkel, mit einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Cell Reports.
Ihr neuartiger Ansatz: Sie sahen sich das Phänomen nicht nur bei Menschen an, sondern auch bei Affen, die dem Anschein nach genauso dem Verschwörungsglauben anheimfallen können. Sie verglichen frühere Studien zum Thema, an den Tieren wie bei Menschen, und brachten die Daten zusammen.
Als Maß dafür, ob ein Primat zu Paranoia neigt, gilt bei Hirnforschern seine Fähigkeit, sein Verhalten an neue Lebensumstände anzupassen, sich „angemessen“ zu verhalten. Das kann man in Laborversuchen messen: Studienteilnehmer müssen sich auf einem Bildschirm zwischen drei Möglichkeiten entscheiden. Klicken sie eine Option mit einer geringen Belohnungswahrscheinlichkeit an, bekommen sie seltener etwas, dafür aber mehr. Entscheiden sie sich für eine Möglichkeit mit einer hohen Belohnungswahrscheinlichkeit, werden sie häufig belohnt, in kleineren Einheiten. Die dritte Option liegt in der Mitte zwischen beiden, sie ist die beste Wahl, mit der besten Belohnungsausbeute.
Die Teilnehmer dieses Tests bekommen keine Vorinformationen darüber, welche Wahrscheinlichkeiten sich hinter welchem Knopf verbergen. Genau das müssen sie während des Versuchs herausfinden. Zu einer Nagelprobe für Verschwörungstheoretiker wird der, weil nach einer festgelegten Anzahl von Versuchen und ohne Vorwarnung alle Möglichkeiten umgestellt werden – mit einer neuen Verteilung für höchste und niedrigste Belohnungswahrscheinlichkeiten.
Es ist wie eine Welt, in der es sich gerade noch gehörte, sein Gesicht offen zu zeigen und plötzlich nur die gemocht werden, die Maske tragen. „Die Teilnehmer müssen nicht nur herausfinden, was das beste Ziel ist. Vor allem müssen sie die veränderten Bedingungen bemerken und sich daran anpassen“, sagte Steve Chang, außerordentlicher Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Yale Faculty of Arts and Sciences, einer der Autoren der Studie.
Verschwörungstheorien, Paranoia, Aberglaube
Egal, ob Affen oder Menschen – diejenigen, die keine passende Strategie für die neuen Gegebenheiten entwickeln konnten, wurden eingehender untersucht. „Wir haben nicht nur Daten verwendet, in denen Affen und Menschen die gleiche Aufgabe ausgeführt haben, sondern auch die gleiche Computeranalyse auf beide Datensätze angewendet“, sagte Philip Corlett, außerordentlicher Professor für Psychiatrie an der Yale School of Medicine und Co-Senior-Autor der Studie.
Einige der Affen fielen mit Läsionen – schlecht vernetzten löchrigen Bereichen im Netz der Nervenzellen – in zwei Gehirnregionen auf, dem sogenannten orbitofrontalen Cortex und dem mediodorsalen Thalamus. Die erste Region liegt in der Mitte der Stirn, ist Teil des Belohnungssystems und an Entscheidungsfindungen beteiligt. Die zweite schickt Umweltinformationen an diese Entscheidungskontrollzentren. Die Forscher fanden heraus, dass das Vorhandensein von Läsionen in beiden Gehirnregionen das Verhalten der Affen beeinflusste, jedoch auf unterschiedliche Weise.
Affen mit Läsionen im orbitofrontalen Cortex blieben häufiger bei der im ersten Versuchsteil gefundenen Strategie, auch wenn sie keine Belohnung mehr erhielten. Diejenigen mit Lücken im mediodorsalen Thalamus zeigten dagegen ein unberechenbares Schaltverhalten, selbst, nachdem sie eine Belohnung erhalten hatten. Sie schienen die Umgebung als besonders unberechenbar wahrzunehmen. Ihnen fiel es schwer, aus den Reaktionen des Computerprogramms eine logische Strategie abzuleiten. Vielleicht, weil sie auf ganz andere, nebensächliche Dinge achteten – ein Verhalten, das sehr dem ähnelt, was Menschen mit Verschwörungsglauben in diesen Versuchen zeigen.
Menschliche Probanden wurden vor den Versuch zu ihren Wahrnehmungen befragt. Die Forscher halten nun das Tor zur Wahrnehmung, den mediodorsalen Thalamus, für die entscheidende Region, auch bei Menschen. Ist sie schlecht ausgestattet, weil hier etwa von Geburt an weniger Nervenzellen angelegt wurden, sie schlecht an den Rest des Gehirns angebunden ist, oder weil sie zum Beispiel durch Alkoholkonsum oder infolge einer Infektion beschädigt ist, kommt das Gehirn eher zu dem Schluss: In der Welt gibt es dunkle Kräfte, die eine eigene Agenda verfolgen, die wiederum nicht leicht zu fassen ist.
Jetzt hoffen die Neurologen, dass sie nach pharmakologischen Ansätzen suchen können, um die Schäden hier auszugleichen. Also ein Mittel gegen das Schwurbeln. Eine Idee, die wieder etliche Verschwörungstheoretiker auf den Plan rufen durfte.