Schon leichte kognitive Beeinträchtigungen lassen sich an der Sprachmelodie erkennen: Das zeigen neue Daten, die ein Forscherteam auf dem 32. European Congress of Psychiatry in Spanien präsentierte: Der Psychiater János Kálmán hatte in seinem Vortrag den sogenannten Speech-Gap-Test erklärt, den er zusammen mit Kollegen von der Universität Szeged in Ungarn entwickelte.
Das Computerprogramm, eine mit den Stimmen alter und dementer Menschen trainierte Künstliche Intelligenz, analysiert zeitliche Besonderheiten beim Sprechen, also etwa Pausen mitten im Satz oder ob einzelne Silben langsamer gesprochen werden.
Bei Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen gehen Nervenzellen im Gehirn zugrunde. In fortgeschrittenen Stadien der Demenz fällt die veränderte Sprache der Kranken deutlich auf. Sie stocken mitten im Satz, bevor sie weitersprechen können, als würde ihr Gehirn kurz aussetzen. Wenn sich die Erkrankung anbahnt, gibt es diese Veränderungen auch schon, aber so unmerklich, dass sie dem menschlichen Ohr kaum auffällt. Das Computerprogramm dagegen registriert diese Muster genau.
Kein Ersatz für eine Alzheimer-Diagnose
Zuerst darüber berichtet hatte das Ärzte-Portal Medscape. „Eine Besonderheit ist, dass der Test nicht durch Phonetik und Semantik der Sprache verkompliziert wird“, sagt Kálmán gegenüber dem Dienst. Die Auswertungen seien bereits mit einer 60 Sekunden langen Sprachprobe möglich. „Wir haben verschiedene Ansätze ausprobiert und sind schließlich bei zeitlichen Sprachparametern gelandet, weil diese nicht kultur- und bildungsabhängig sind und zuverlässiger sein könnten als semantische Analysen“, erklärte Kálmán.
In einem ersten Versuch 2018 waren die Probanden noch Ungarisch-Sprecher gewesen. Inzwischen hat Kálmán zeigen können, dass seine Idee auch im Englischen und im Deutschen funktioniert. Dabei geht es ihm nicht um abgesicherte Diagnosen. Angesichts des knappen Zeitbudgets von Hausärzten wollten die Forscher ein Instrument entwickeln, mit dem sie einfach und schnell erkennen können, welche Patienten aufwendigere Demenztests benötigen.
Ein ähnliches Konzept kommt aus Deutschland, von Boehringer Ingelheim. Der Pharmakonzern aus Rheinland-Pfalz, der inzwischen sein Portfolio auf „Gesundheitsdienstleistungen“ ausweitet, arbeitet ebenfalls an einem solchen Sprachprogramm, seit 2019. Nicht nur bei Demenz soll die Boehringer-KI zum Einsatz kommen, sondern auch bei Schizophrenie.
Frühere Studien mit Schizophrenie-Patienten, die das Unternehmen zusammen mit US-Forschern veranstaltete, hatten bereits gezeigt, dass sich durch die Erkrankung bei ihnen messbar verändert, wie sie Wörter und Sätze betonen. Psychiater kennen das Phänomen: Manchmal wird die Sprache während einer psychotischen Phase sehr einfach, manchmal sehr kompliziert, etwa weil sich die Grammatik förmlich auflöst.
Menschen mit Psychosen haben einen vollkommen veränderten Gehirnstoffwechsel, auch Verknüpfungen von Nervenzellnetzwerken sind anders als bei Gesunden. Das kann dazu führen, dass sie ihre Sätze unwillkürlich nach eigenen Regeln zusammensetzen, sodass für Zuhörer vollkommen unverständlich wird, was sie eigentlich sagen wollen.
In frühen Phasen der Schizophrenie gibt es auch schon solche Effekte, nur viel schwächer ausgeprägt. Boehringers Idee ist die Anwendung in eine App fürs Smartphone zu bringen, für die Vorboten der Erkrankung: Betroffene merken oft, dass etwas nicht stimmt, sind aber unsicher, was das sein könnte. Testen sie sich dann selbst in der App, könnte sie die folgende Warnung aus dem Smartphone motivieren, sich frühzeitig psychiatrische Hilfe zu holen.