Nein, es ist niemandem zu empfehlen, sich während eines Gewitters im Freien aufzuhalten. Zwei Menschen starben Mitte August 2023 zum Beispiel infolge eines verhängnisvollen Unwetters in Baden-Württemberg. Während andere Ausflügler in einem Schuppen Schutz suchten, blieben sechs Personen unter einem Baum zurück. Als der Blitz einschlägt.
Die 30.000 Grad Celsius im sogenannten Blitzkanal bekam die kleine Gruppe vermutlich nicht direkt zu spüren. Doch die Druckwelle und die elektrische Entladung setzten allen zu. Mehr oder weniger: Ein 35-jähriger Mann erlag tags darauf im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, eine 43-jährige Frau den ihren dann drei Tage später.
Ihr elfjähriger Sohn hingegen überlebte. Er musste zwar ebenfalls reanimiert werden, kam mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus. Laut Medienberichten konnte sich der Junge jedoch erholen, auch die drei anderen Personen kamen glimpflich davon. Was aber, wenn nicht Baum oder Boden, sondern ein Mensch direkt vom Blitz getroffen wird? Das passiert seltener – nur in etwa fünf Prozent aller Blitzunfälle – ist allerdings riskanter.
Wie ein begossener Pudel
Doch die Überlebenschance steigt offenbar, wenn den Kopf keine Kapuze schützt. Und man vom Regen durchnässt einem begossenen Pudel ähnlich sieht. Das legt zumindest eine aktuelle Studie von Forschern der Technischen Universität in Ilmenau und der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig nahe.
In Deutschland ziehen pro Jahr durchschnittlich 52 Blitzunfälle fatale Folgen für davon betroffene Menschen nach sich, teilt der Ausschuss „Blitzschutz und Blitzforschung“ der Technologie-Organisation VDE auf seiner Website mit. Im Durchschnitt werden bei solch einem Blitzunfall drei Personen verletzt oder getötet, so die bis 2000 zurückreichend Statistik.
Was könnte jenen helfen, die nicht rechtzeitig einen Unterschlupf finden, wenn ein Gewitter aufzieht? Dieser Frage ist das Team um Jens Haueisen vom Institut für Biomedizinische Technik und Informatik der TU Ilmenau, ernsthaft nachgegangen. Mit an die 200.000 Ampere besitzt ein Blitz eine enorme Wucht. Was kann die Folgen eines solchen Stromschlags, im Fall der Fälle, abschwächen?
Regennasse Kopfhaut, das ist die verblüffend schlichte Antwort der Forscher, die sie jetzt im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlichen. Dessen Einfluss auf die Bildung von „flashovers“ hätte man bisher ignoriert: Wenn ein Blitz an der Hautoberfläche verläuft, bleibt das Körperinnere größtenteils verschont.
Trifft ein Blitz einen Menschen direkt, wirkt der Strom vom Scheitel bis zur Sohle auf den gesamten Organismus aus. Das elektrische Signalsystem wird gestört, es kommt oft zum Herzstillstand; manchmal bleiben neurologische Schäden zurück, und nicht zu vergessen: Schwere Verbrennungen können auftreten, Krämpfe, Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen und Atemlähmung.
In theoretischen Überlegungen hatten Forscher bereits eine Schutzwirkung von Regen erwogen. Und in Tierversuchen hatte sich nasse Haut gegenüber trockener als etwas vorteilhafter erwiesen. Aber ob das auch genügt, um das Gehirn eines Menschen vor gravierenden Schäden zu bewahren, falls jemand vom Blitz getroffen wird, schien mehr als fraglich.
Deshalb setzten die Forscher aus Ilmenau und Leipzig eine Versuchsreihe mit speziellen Dummys an. Sie nutzten dafür zwei Modellköpfe, deren elektrische Leitfähigkeiten mit denen des menschlichen Schädels samt Hirn und Skalp vergleichbar waren. Glibbrige Agarose (ein Mehrfachzucker gewonnen aus Algen), Kochsalz und Kohlenstoffpulver in unterschiedlichen Konzentrationen spielten für die Simulation der drei Kompartimente, sprich Haut, Knochen, Hirn, eine wichtige Rolle.
Blitz-Tests im Labor
Dann legte das Team Strom an. Und beobachtete, wie sich künstliche Blitzschläge auf die Modellköpfe – regennass oder trocken – auswirkten. Ob sich zum Beispiel das Phänomen eines „flashover“ zeigt, und wenn ja, unter welchen Bedingungen und mit welchem Verlauf.
Die Messreihen ergaben, dass eine nasse Kopfhaut die Effekte eines Blitzeinschlags offenbar reduzieren kann. Im Vergleich zum Dummy der trockenen Testreihe wies das regenfeuchte Modell sichtbar weniger thermale sowie mechanische Schäden auf: Verbrennung würden zwar oberflächlich auftreten, aber vermutlich nicht so tief reichen, folgerten die Forscher.
Und weil die „Hirnmasse“ in der Regen-Reihe geringere Stromamplituden abbekam – dürfte auch ein reales Hirn weniger Schäden erleiden, sollte ein pudelnasser Mensch vom Blitz getroffen werden. Die Strombelastung durch einen Blitzschlag wäre demnach kürzer und beträfe eine kleinere Fläche.
Die Forscher kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass eine regennasse Kopfhaut möglicherweise zu der Überlebensrate von 70 bis 90 Prozent beiträgt, wenn Menschen vom Blitz getroffen werden.
Allerdings räumen sie ein, dass sie mit ihren Modellköpfen weder den Effekt von Haaren noch den eines Helms berücksichtigen konnten. Oder wie sich ein Blitzeinschlag auf den gesamten Körper auswirkt. Außerdem berichten sie nur über physikalische, nicht-biologische Ergebnisse. Was diese für die Biologie bedeuten, müsse noch genauer untersucht werden.
Eines steht aber schon jetzt zweifelsfrei fest: Die aktuelle Studie ist nicht als Anleitung zum Selbstversuch gedacht. Und künftige Testergebnisse werden nichts an der Tatsache ändern, dass bei Blitz und Donner grundsätzlich Lebensgefahr droht. Bestimmte Verhaltensregeln, wie sie etwa der Deutsche Wetterdienst auf seiner Website zusammengestellt hat, sollten deshalb beachtet werden.
So wird zum Beispiel empfohlen, in die Hocke zu gehen und die Füße eng zusammenzustellen, sollte man draußen von einem Gewitter überrascht werden. Natürlich wird eindringlich davon abgeraten, sich unter einen Baum oder auch nur in dessen Nähe zu stellen, ganz gleich ob Eiche oder Buche. Im Fall des eingangs erwähnten tödlichen Blitzunfalls handelte es sich übrigens um eine Linde.