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Wirtschaft Werbeverbote und Zuckersteuer

Warum die britische Politik im Kampf gegen das Übergewicht scheitert

Verlockung am Regal: Falsche Ernährung ist auch in Großbritannien ein großes Problem Verlockung am Regal: Falsche Ernährung ist auch in Großbritannien ein großes Problem
Verlockung am Regal: Falsche Ernährung ist auch in Großbritannien ein großes Problem
Quelle: Getty Images/Oscar Wong
Trotz zahlreicher Initiativen steigt die Zahl der Menschen mit schweren Gewichtsproblemen – mit erheblichen Kosten für die Volkswirtschaft. Wissenschaftler fordern strenge Werbeverbote, wie sie auch in Deutschland geplant sind.
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Mit 14 verschiedenen Strategien haben britische Regierungen seit 1992 versucht, das Problem von Übergewicht in der Bevölkerung in den Griff zu bekommen, Hunderte einzelner Maßnahmen wurden dafür auf den Weg gebracht. Doch die Bilanz fällt ernüchternd aus: Der Anteil der Erwachsenen, die übergewichtig oder adipös sind, ist in dem Zeitraum von gut 50 auf 64 Prozent gestiegen. Der dritthöchste Wert in Europa ist das, hinter Malta und der Türkei.

Ein „chronisches Politikversagen“ liege hier vor, sagt Dolly Theis, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der MRC Epidemiology Unit der Universität Cambridge, einem Fachbereich für öffentliche Gesundheitspflege.

Und das kommt teuer: Rund 6,5 Milliarden Pfund (7,4 Milliarden Euro) im Jahr kosten die direkten Folgen von schwerem Übergewicht bei der Behandlung damit zusammenhängender Erkrankungen den staatlichen Gesundheitsdienst NHS heute. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Probleme sind nur einige der Folgen von zu vielen Kilos.

Die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten, etwa durch eine verringerte Produktivität oder Fehltage, schätzt die Denkfabrik Institute for Government (IfG) in einer aktuellen Untersuchung deutlich höher, auf ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das führe dazu, dass zum ersten Mal seit der industriellen Revolution Fragen der Gesundheit ein ernst zu nehmendes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes darstellen, ist Andy Haldane, einst Chefvolkswirt der Bank of England und heute Chef der Royal Society of Arts, überzeugt.

Seit Jahren nimmt weltweit die Zahl derer zu, die viel zu viele Pfunde auf die Waage bringen. Auch in Deutschland sind inzwischen mehr als die Hälfte aller Erwachsenen übergewichtig oder adipös, also schwer übergewichtig. Die Ursachen sind vielfältig, Wissenschaftler sind sich aber einig, dass der größte Teil des Problems in einer ungesunden Ernährung mit zu viel Salz und Zucker und einem hohen Grad an industrieller Verarbeitung liegt. Doch der stetigen Gewichtszunahme haben Regierungen bisher wenig erfolgreiche Strategien entgegenzusetzen.

„Adipositas anzupacken leidet immer wieder darunter, dass Minister Sorge haben, ihre Regierung werde als Bevormundungsstaat wahrgenommen“, sagt Tom Sasse, einer der Autoren des IfG-Berichts. Verbote, wie sie in der Vergangenheit für das Rauchen in Innenräumen ausgesprochen wurden, seien beim Essen deutlich schwieriger. „Es ist es Grundbedürfnis, aber auch ein soziales Vergnügen, in dem eine erhebliche kulturelle Bedeutung steckt.“ Anders gesagt: Wer strenge Regeln vorgibt fürs Essen, hat Angst, bei der nächsten Wahl für die unpopulären Schritte abgestraft zu werden.

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Während der Earth Week rückt WELT das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus, wird selbst klimaneutral und leistet damit einen Beitrag zum Klimaschutz. WELT-Chefredakteurin Jennifer Wilton erklärt, wie das funktioniert.

Quelle: WELT

Theis verweist zusätzlich auf ideologische Bedenken für ein Eingreifen. Ein neoliberaler Ansatz setze auf die Verantwortung des Einzelnen, der sein Verhalten anpassen soll. „Damit ist der Einzelne schuld, wenn er sich nicht ändert. Dabei kann er das gar nicht, wenn er ununterbrochen bombardiert wird mit Angeboten für ungesunde Lebensmittel.“

Hinzu komme, dass sich das Gesundheitsministerium das Thema bisher nicht ernsthaft zu eigen gemacht habe. Der Zusammenhang zwischen Gesundheits- und Ernährungspolitik werde nicht ausreichend thematisiert. Doch Sasse macht auch klar, dass sich dieses vorsichtige Vorgehen nicht auszahlt. „Längerfristig führt es zu höheren Steuern und einer geringeren Produktivität.“

Trotz der zahlreichen politischen Vorstöße: Bis heute fehlt eine klare Strategie und ein Zeitplan der britischen Regierung, wie sie ihre Ziele verwirklichen will, Übergewicht signifikant zu reduzieren und die Lebenserwartung bei guter Gesundheit zu erhöhen.

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Ein Anfang war gemacht: 2019 beauftragte die Regierung Henry Dimbleby, einen Gastronomen mit Fokus auf Nachhaltigkeit, eine nationale Lebensmittelstrategie auszuarbeiten. Nicht nur Gewicht und gesündere Ernährung standen im Fokus, sondern auch Fragen zu sozialer Ungleichheit, Volksgesundheit, Agrarwirtschaft und Flächenbewirtschaftung.

14 konkrete Empfehlungen legte Dimbleby in seinem Abschlussbericht vor, konzentrierte sich dabei auf Bereiche, die er als relativ einfach umzusetzen beschrieb. Unter anderem gehörte eine Ausweitung kostenloser Schulessen dazu, ein reduzierter Konsum von Fleisch- und Milchprodukten und eine Steuer auf Salz und Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln. Trotz Lob von vielen Seiten für das Papier, von König Charles über den Starkoch Jamie Oliver bis zu Ernährungswissenschaftlern und Lehrern, wurde bis heute kaum eine der Empfehlungen umgesetzt.

Verbot von Werbung

Im März ist Dimbleby von seiner Rolle als Berater der Regierung zurückgetreten, um gleich darauf die Untätigkeit der Politik zu kritisieren. Er ist davon überzeugt, dass das Problem in Großbritannien besonders ausgeprägt sei, weil industriell verarbeitete Nahrungsmittel eine wichtige Rolle spielen.

Über die Hälfte des Konsums entfalle darauf, in Frankreich, Italien und Spanien seien es unter 20 Prozent. Salz, Zucker und die Konsistenz der Produkte würden dazu führen, dass Menschen deutlich mehr Kalorien zu sich nehmen als bei einer Ernährung mit frischen Produkten. „Wir müssen bei den Anreizen für die Nahrungsmittelindustrie ansetzen“, sagt er.

Unter anderem gehören dazu für ihn deutliche Einschränkungen der Werbung für ungesunde Lebensmittel, wie sie derzeit auch in Deutschland diskutiert werden. Großbritannien wird hier von Kritikern der Maßnahme gerne als Beispiel angeführt, dass eine solche Politik nicht weiterführe. Bisher ist Werbung für ungesunde Lebensmittel allerdings lediglich in speziellen Kinderkanälen im Fernsehen verboten. Ein für den Jahresanfang geplantes Werbeverbot für sogenannte HFSS-Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil Fett, Salz oder Zucker vor 21 Uhr im Fernsehen wurde auf Oktober 2025 verschoben.

Dimbleby ist sich sicher: „Man kann eine Esskultur verändern.“ Dafür brauche es allerdings gezielte Maßnahmen. Er verweist auf das Beispiel Japan, wo es nicht nur hervorragendes Essen in den Schulen gebe, um sicherzustellen, dass junge Menschen mit gesunder Ernährung aufwachsen. Dort würden Angestellte auch bei der Arbeit regelmäßig gewogen und erhielten bei Bedarf eine auf sie zugeschnittene Beratung. Auch Finnland und Südkorea hätten mit Eingriffen beim Ernährungsverhalten Erfolge vorzuweisen.

Lediglich eine ambitionierte Maßnahme macht Sasses Bericht in Großbritannien aus: die Einführung der „Zuckersteuer“, eine Abgabe auf zuckerhaltige Erfrischungsgetränke. Sie zeigt den gewünschten Erfolg: Vor ihrer Ankündigung 2016 hatte sich der Zuckergehalt der im Land verkauften Softdrinks auf 135.500 Tonnen addiert. Drei Jahre später waren es dank überarbeiteter Rezepturen 35 Prozent weniger.

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Doch allein auf gesündere Optionen und die persönliche Verantwortung der Einzelnen zu setzen, sei nicht fair, sagt Theis. „Das muss damit einhergehen, dass die Bombardierung mit ungesunden Optionen reduziert wird.“

Unterschätzt werde von vielen Verantwortlichen, welche große Rolle die wirtschaftliche Ungleichheit spiele. „Viele haben gar nicht die Ressourcen, um heute eine gesunde Wahl zu treffen“, meint Theiss. Bezogen auf den Kaloriengehalt sind weniger gesunde, verarbeitete Nahrungsmittel oft deutlich günstiger als frische Ware.

Die Statistik zeigt einen deutlichen Zusammenhang. Krankenhausaufenthalte wegen schwerem Übergewicht sind in sozial benachteiligten Regionen zweieinhalbmal so häufig wie in den wohlhabendsten, Adipositaschirurgie wird sogar viermal so oft durchgeführt. In Zukunft dürfte das noch deutlicher werden, sagt Sasse und verweist auf die Zahlen übergewichtiger Kinder. Zum Ende der Grundschulzeit sind fast ein Drittel der Kinder aus sozial schwachen Kreisen deutlich zu schwer, in finanziell gut gestellten Regionen 13,5 Prozent.

Höchste Zeit sei es daher, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, fordert Sasse. Der Bericht des IfG empfiehlt eine langfristige Strategie mit zeitlich konkret festgeschriebenen Zwischenzielen. Der Maßnahmenkatalog, um die Emissionen netto auf null zu reduzieren, sei konzeptionell ein Vorbild. Eine verantwortliche Einheit solle die Arbeit zu Ernährungsfragen der Ministerien für Gesundheit sowie Lebensmittel und Landwirtschaft kombinieren, die Fortschritte regelmäßig von der Verbraucherschutzbehörde geprüft werden.

Investoren machen Druck auf Industrie

Druck auf die Industrie, ungesunde Lebensmittel aus dem Programm zu nehmen, könnte in der Zwischenzeit aber noch von ganz anderer Seite kommen. Vergangene Woche hat eine Gruppe institutioneller Investoren den Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé aufgefordert, sich Ziele zu setzen, um den Umsatzanteil gesunder Lebensmittel auszubauen.

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören 26 Investoren, darunter Legal & General Investment Management und mehrere Pensionsfonds, die gemeinsam rund drei Billionen Dollar (2,736 Billionen Euro) verwalten. Zwar begrüßten sie die zunehmende Transparenz von Nestlé. Doch der hohe Anteil ungesunder Produkte verursache erheblichen Schaden an der Gesundheit der Verbraucher und schaffe „ein systemisches Risiko für die Renditen von Investoren.“

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