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Wirtschaft CO2-Fußabdruck

An der Tiefkühl-Lasagne droht der Klimasiegel-Plan von Oatly zu scheitern

Freier Korrespondent Handel und Konsumgüter
Fleisch-Kühlregal im Supermarkt: 14 Kilo CO2 pro Kilo Steak Fleisch-Kühlregal im Supermarkt: 14 Kilo CO2 pro Kilo Steak
Fleisch-Kühlregal im Supermarkt: 14 Kilo CO2 pro Kilo Steak
Quelle: Getty Images/Ciaran Griffin
Hafermilch-Hersteller Oatly hat eine Petition im Bundestag durchgedrückt. Verpackungen sollen künftig die Klimaschädlichkeit von Lebensmitteln zeigen. Die Politik gibt sich offen, doch ob Erbsensuppe oder Orangensaft – die Idee kann jederzeit scheitern.

Der schwedische Hafermilchhersteller Oatly gilt unter Marketingleuten als geschickter Stratege, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt hat das Unternehmen ein Meisterstück abgeliefert. Oatly drückte eine elektronische Petition an den deutschen Bundestag durch, Nummer 99915, „im Namen des Verbraucherschutzes“, wie es gleich in der ersten Zeile heißt.

Inhalt: Das Parlament möge beschließen, dass der CO2-Fußabdruck „auf allen in Deutschland vertriebenen Lebensmitteln verbindlich zu kennzeichnen“ sei. Dass Hafermilch dabei besser abschneiden dürfte als Kuhmilch, ist wahrscheinlich kein Zufall.

Das Landwirtschaftsministerium hat bereits positiv reagiert. „Grundsätzlich ist die Angabe eines CO2-Fußabdrucks auf Lebensmitteln sinnvoll und kann die Kaufentscheidung von Konsumentinnen und Konsumenten sowie auch die Herstellung von Lebensmitteln positiv zugunsten des Klimas beeinflussen“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage von WELT. Wichtig sei dabei allerdings, dass die Daten nach einem einheitlichen System erfasst und genutzt werden, um eine Vergleichbarkeit herzustellen.

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Dass der Teufel trotz grundsätzlicher Zustimmung im Detail stecken könnte, erwarten auch Verbraucherschützer. „Prinzipiell sind wir sehr aufgeschlossen für eine Kennzeichnung – wenn sie den Verbrauchern wirklich hilft“, sagt Armin Valet, Lebensmittelexperte bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Doch das Thema sei komplex. Valet fordert Standards, die verständlich, verlässlich und verbindlich sein müssten, und schränkt im gleichen Atemzug ein: „Von einer sicheren und seriösen Umsetzung sind wir noch weit entfernt.

Die Firma aus Malmö bestreitet, dass die Petition bloß ein PR-Gag sei. „Natürlich freuen wir uns auch, wenn die Menschen unsere Haferdrinks trinken wollen, aber hierbei geht es in erster Linie um das Recht auf Information und Transparenz für den Verbraucher, was dann potenziell dem Klima zugutekommt“, ließ sie ausrichten.

Nach einer im Oatly-Auftrag durchgeführten Umfrage mit dem Anspruch auf Repräsentativität fühlten sich nur neun Prozent der Deutschen gut oder sehr gut über die Klimaauswirkungen von Lebensmitteln informiert, während 85 Prozent es begrüßen würden, wenn der Treibhausgasausstoß auf der Packung erkennbar wäre.

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Mit eigenen Unternehmenszahlen geht Oatly eher sparsam um. Im vergangenen Jahr seien 71,5 Millionen Liter Haferdrinks verkauft worden, lässt sich immerhin aus dem jüngsten Nachhaltigkeitsbericht entnehmen. Der Business-Informationsdienst Owler schätzt den Umsatz der Firma auf rund 14 Millionen Euro – winzig im Vergleich zu Molkereigiganten wie Friesland Campina (Landliebe, Campina) mit 11,6 Milliarden oder Deutsches Milchkontor (Milram, Alete, Humana) mit 5,6 Milliarden Euro Umsatz. Dass eine Debatte über den Klima-Fußabdruck auf der Verpackung der Firma vom Öresund zugute käme, scheint unzweifelhaft.

Die Idee ist nicht neu, bisher scheiterte die Umsetzung aber stets an der fehlenden Zuverlässigkeit im Einzelfall. Verbraucherschützer Valet illustriert dies an einem denkbar einfachen Beispiel: Ein Apfel frisch vom Baum aus der Region habe weit weniger Klimafolgen als ein Apfel, der wochenlang über die Weltmeere geschippert werde oder in klimatisierten Reife-Lagern dem Verkauf entgegendämmere.

Britta Klein vom Bonner Bundeszentrum für Ernährung zeigt die Probleme anhand von Orangensaft. Bei dem Konzentrat, aus dem die meisten Säfte hergestellt werden, handele es sich um einen weltweit gehandelten standardisierten Rohstoff, der in der einen Woche vielleicht zu 100 Prozent aus Brasilien stamme und in der nächsten teilweise aus Spanien oder China geliefert werde. Entsprechend unterschiedlich müssten die CO2-Angaben ausfallen.

Noch viel komplizierter werde die Berechnung bei Lebensmitteln, die aus mehreren Rohstoffen bestehen, ob Pizza, Lasagne oder Erbsensuppe mit Würstchen. Die Umweltorganisation WWF brauchte schon vor acht Jahren in der Studie „Klimawandel auf dem Teller“ fast 90 eng bedruckte Seiten, um das Thema in den Griff zu bekommen. Auf jeder Produktionsstufe werden Emissionen in unterschiedlicher Menge frei: Beim Säen und Ernten, bei Verarbeitung, Transport, Lagerung, durch Verderb und Verpackung. Die Studie wird derzeit aktualisiert.

Viele offene Fragen bleiben

„Ich halte eine Kennzeichnung momentan nicht für eine gute Idee“, resümiert Klein. Aussagekräftige Angaben seien derzeit einfach nicht umsetzbar. Auch die Lebensmittelhändler fordern einheitliche, klare Maßstäbe – oder gar keine Kennzeichnung.

„Die Bestimmung des CO2-Fußabdrucks von Lebensmitteln ist komplex. Wie wird gemessen? Welche Faktoren werden berücksichtigt? Wie gut vergleichbar sind die Ergebnisse und welche Botschaft vermitteln sie dem Verbraucher?“, zählt der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) einige der offenen Fragen auf.

Die Industrie schließt nichts aus, bleibt aber unkonkret. Marktführer Nestlé erinnerte an die Selbstverpflichtung des Unternehmens, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts keinerlei Treibhausgase mehr auszustoßen. „In diesem Zusammenhang prüfen wir Möglichkeiten, wie Fortschritte auf dem Weg zu diesem Ziel transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden können“, heißt es aus dem Konzern.

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Das Bundesernährungsministerium ist prinzipiell bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen und ein generelles Symbol für die Nachhaltigkeit eines Produkts – ähnlich wie beim NutriScore in Sachen Gesundheitswert – ins Auge zu fassen. „Zu überlegen wäre, ob verschiedene Kriterien der Nachhaltigkeit in einem Label zusammengefasst werden können, um einer möglichen Überfrachtung an Informationen entgegenzuwirken“, erklärte die Sprecherin von Ministerin Julia Klöckner.

Der Discounter Lidl weist per Label die Art der Tierhaltung bei seinen Fleischprodukten aus
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Quelle: picture alliance / Ulrich Baumga

Doch eine weitere Pflicht-Kennzeichnung auf den Verpackungen von Milch, Wurst, Obst oder Konserven trifft schon jetzt auf Kritik. Ein zusätzliches Klima- oder Nachhaltigkeitslabel könnte zu einem Informations-Overkill bei den Verbrauchern führen, fürchten Skeptiker.

Schon jetzt ist ein halbes Dutzend Angaben gesetzlich vorgeschrieben, darunter Zutatenliste, Nährwertangaben und Mindesthaltbarkeitsdatum. Nächstes Jahr soll die freiwillige Lebensmittelampel NutriScore dazukommen. Noch mehr Daten könnten die Konsumenten überfordern, fürchtet Expertin Klein. Der Verpackung, meint auch der Händlerverband BVLH, seien nun einmal „natürliche Grenzen“ gesetzt – zumal dort auch andere Siegel und Kennzeichen, zum Beispiel für Tierwohl oder für gesunde Ernährung, um die Aufmerksamkeit der Kunden ringen würden.

Umweltorganisationen wollen die Einwände nicht gelten lassen. Greenpeace verwies auf einen erst im August veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats, nach dem die Agrarwirtschaft und ihre Zulieferer für 37 Prozent aller menschengemachten Emissionen verantwortlich seien. „Immer mehr Verbraucher wünschen sich genauere Informationen darüber, wie sie sich beim Einkauf klimafreundlich verhalten können“, sagte Greenpeace. Schon deshalb sei eine Kennzeichnung sinnvoll. Eine freiwillige Einführung sei rechtlich einfach und könne schnell umgesetzt werden, doch langfristig müsse sie zur Pflicht werden, forderte die Umweltorganisation.

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Verbraucher, die sich schon jetzt nicht nur gesund, sondern auch klimafreundlich ernähren wollen, brauchen freilich nicht zu warten, bis sich Wissenschaftler, Verbände und Politik auf ein System verständigt haben, den CO2-Fußabdruck eines Produkts rechtssicher dazustellen. Einschlägige Tabellen etwa des Freiburger Öko-Instituts geben Hinweise. Sie enthalten zwar nur Durchschnittswerte für Produktgruppen, sind dadurch aber schon aussagekräftig. Die günstigste Klimabilanz hat danach beispielsweise frisches Öko-Gemüse mit einem CO2-Äquivalent von 130 Gramm pro Kilo. Dasselbe Gemüse aus der Konserve bringt es aber bereits auf den dreifachen Wert.

Doch das ist fast vernachlässigbar verglichen mit Rindfleisch: Jedes Kilo Steak, konventionell erzeugt und tiefgekühlt, bringt es auf mehr als 14 Kilogramm CO2 – nicht nur wegen der energieintensiven Aufbewahrungsform, sondern auch, weil die Wiederkäuer bei der Verdauung viel Methan erzeugen und damit ein besonders potentes Treibhausgas freisetzen. Fleisch von Nicht-Wiederkäuern wie Schwein oder Geflügel belastet die Atmosphäre nur mit etwa einem Viertel der Treibhausgase wie Rindfleisch, aber immer noch deutlich mehr als pflanzliche Nahrung – jedenfalls, wenn diese aus der Nähe stammt und kaum Transportwege zurücklegen musste. Es bleibt also kompliziert im Einzelfall.

Dennoch schafft es Verbraucherschützer Valet, das Rezept für klimafreundliche Ernährung auf eine einfache Formel zu bringen: „Saison, regional, wenig Fleisch und bio – das sind die wichtigsten Parameter“, sagt er. Das sollte umsetzbar sein. Sofort und ohne Label.

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