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Ich sah vier England-Spiele – Das grenzt an Körperverletzung

Die Art und Weise, wie England spielt, ist zwar hart anzuschauen, aber keineswegs dilettantisch Die Art und Weise, wie England spielt, ist zwar hart anzuschauen, aber keineswegs dilettantisch
Die Art und Weise, wie England spielt, ist zwar hart anzuschauen, aber keineswegs dilettantisch
Quelle: REUTERS
Bei dieser EM geht es ganz offensichtlich nicht darum, gut zu spielen. Zwei Mannschaften treiben den Mut zur Scheußlichkeit aber auf die Spitze: Frankreich und vor allem England. Deren Vortrag lässt selbst unseren erfahrenen Fußballreporter erschaudern.
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Wenn Didier Deschamps bei dieser Aussage nicht etwas gegrinst hätte, wäre er Gefahr gelaufen, seine Glaubwürdigkeit zu gefährden. Mit Eigentoren, belehrte Monsieur Deschamps uns Journalisten bei dieser EM, sei das ja so eine Sache: Natürlich wären es Treffer, die formal nicht von der angreifenden Mannschaft erzielt worden seien. Allerdings würde ihnen ja immer irgendeine Aktion vorausgehen. „Es muss ja zunächst ein Spieler (der angreifenden Mannschaft/die Red.) schießen, damit es zu einem Eigentor kommt“, sagte er.

Diese bahnbrechende Erkenntnis, dass niemand, der nicht völlig bescheuert ist, freiwillig ein Eigentor schießen würde, war mir bis dahin neu. Doch man lebt und lernt. Merci, Monsieur Deschamps! Seitdem sehe ich das, was Frankreich spielt, tatsächlich in einem anderen Licht.

Der Équipe Tricolore ist bei diesem Turnier etwas Außergewöhnliches gelungen: Sie hat es, ohne einen einzigen eigenen Treffer aus dem Spiel heraus zu erzielen, unter die vier besten Mannschaften des Kontinents geschafft. Sie schlug Österreich dank eines Eigentores von Maximilian Wöber, den sie dazu zwang, einen Schuss von Kylian Mbappé ins eigene Tor zu köpfen, mit 1:0. Dann gab es ein 0:0 gegen die Niederlande – gefolgt von einem 1:1 gegen Polen mit einem immerhin von Mbappé höchstpersönlich verwandelten Foulelfmeter.

Nach Elfmeterkrimi – Frankreich im Halbfinale gegen Spanien

Turnierfavorit Frankreich hat die EM-Karriere von Cristiano Ronaldo beendet und das Halbfinale gegen Spanien erreicht. Im Duell der Superstars siegten Kylian Mbappés Franzosen im Elfmeterschießen gegen Ronaldos Portugiesen. Die Highlights im Video.

Quelle: MagentaTV

Im Achtelfinale folgte ein 1:0 gegen Belgien, was Deschamps zu der eingangs beschriebenen philosophischen Einordnung des Eigentor-Phänomens veranlasste: Nur weil Randal Kolo Muani tatsächlich geschossen hatte, das wurde mir dann auch bewusst, hatte der belgische Verteidiger Jan Vertonghen die Chance, den Ball so unglücklich abzufälschen, dass er ins eigene Tor ging. Wäre ich von allein wirklich nicht drauf gekommen. Im Viertelfinale gegen Portugal am Freitag gelang den Franzosen dann nach 120 Minuten gähnender Langeweile ein 0:0 – ehe sie das Elfmeterschießen für sich entscheiden konnten. Wer mit so wenig Aufwand so weit kommt, der könnte tatsächlich Europameister werden.

Phasenweise, gebe ich zu, versuchte ich mich irgendwie abzulenken

Doch Vorsicht! Ein Selbstläufer wird das nicht. Denn über die vergangenen Wochen ist dem Team von Deschamps eine ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen – und die kommt aus dem Mutterland des Fußballs. Das Team England hat es geschafft, den französischen Minimalismus noch zu verfeinern und auf die Spitze zu treiben – zumindest nach meinem unmaßgeblichen Eindruck.

Denn bei Spielen der Franzosen habe ich mich oft geärgert, wenn beispielsweise Mbappé ein Dribbling antäuschte, dann aber abbrach und den Ball stattdessen aus 21 Metern grob Richtung Tor schaufelte, um keinen Ballverlust zu riskieren. Bei den vier Spielen der „Three Lions“, die ich mir live anschauen „musste“, fiel es manchmal tatsächlich schwer, wach zu bleiben.

Wer gewinnt, hat wahrscheinlich recht: Gareth Southgate
Wer gewinnt, hat wahrscheinlich recht: Gareth Southgate
Quelle: Getty Images/Alex Livesey

Phasenweise, gebe ich zu, versuchte ich mich irgendwie abzulenken. Mal habe ich meinen Sitznachbarn auf der Pressetribüne in ein Gespräch verwickelt, mal habe ich mich meinen Blick schweifen lassen. Die fantasievollen Kostüme der englischen Fans waren inspirierender als das Ballgeschiebe auf dem Platz. Da gab es Kreuzritter, Mönche und sehr skurrile Kopfbedeckungen.

Mein persönliches England-Highlight war, wie ich kurz vor Beginn der Verlängerung des Achtelfinales gegen die Slowakei in der Warteschlange einer der Herrentoiletten in der Schalker Arena stand. Vor mir stand ein englischer Fan, der einen slowakischen Anhänger, der sich darüber ärgerte, dass Jude Bellingham in der letzten Minuten der regulären Spielzeit doch noch das 1:1 erzielt hatte, zu trösten versuchte. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er zu ihm: Gareth Southgate werde schon dafür sorgen, dass England nicht gewinnen werde.

Risikominimierung als gangbarster Weg zum Titelgewinn

Er sollte sich irren: Denn mag der englische Vortrag auf den neutralen Beobachter fast wie Körperverletzung wirken, so ging der „merkwürdige, unlogische Lauf“ („Guardian“) der Mannschaft weiter: Am Samstag zog das Team von Southgate nach einer erneut äußerst zähen Vorstellung gegen die Schweiz sogar ins Halbfinale ein – weil Southgate seinen Spielern mittlerweile die Angst vor dem Elfmeterschießen genommen hat.

Ausgerechnet im Elfmeterschießen – England nach Sieg über Schweiz im Halbfinale

England setzt sich gegen die Schweiz mit 5:3 im Elfmeterschießen durch und zieht ins EM-Halbfinale ein. Für die Three Lions ist es der erste Sieg im Elfmeterschießen bei einer EM seit 28 Jahren. Die Highlights im Video.

Quelle: MagentaTV

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Für Englands bislang erfolgreiche EM bedurfte es nur am Rande der enormen Qualitäten von Bellingham, dem besten Spieler der spanischen La Liga. Oder der Tricks von Phil Foden, dem stärksten Profi der abgelaufenen Saison in der Premier League. Oder der Treffer von Harry Kane, dem Bundesligatorschützenkönig. Letzterer hatte gegen die Schweiz übrigens ganze 26 Ballkontakte. Und das waren gemessen an den wenigen Flanken, die in den Strafraum kamen, sogar noch überraschend viele.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Die Art und Weise, wie England spielt, ist zwar hart anzuschauen, aber keineswegs dilettantisch. Im Gegenteil: Sie könnte sich sogar als clever herausstellen. Denn Risikominimierung scheint tatsächlich der gangbarste Weg zum Titelgewinn zu sein.

Deutschland, das bessere Team, schied aus

Es täte ihm leid, wenn seine Mannschaft nicht zum Entertainment beitrage, sagte Southgate. Aber EM-Spiele seien keine normalen Spiele, sie sind gerade in England „nationale Ereignisse, die mit einem immensen Druck verbunden sind“. Dem gelte es, Rechnung zu tragen. „Wir bekommen nicht immer alles richtig hin, aber wir haben die Widerstandsfähigkeit gezeigt, die nötig ist, um große Turniere zu gewinnen“, erklärte er. Das sei nicht immer so gewesen. „Wir haben noch nie, ein Finale außerhalb Englands gewonnen, wir haben noch nie eine EM gewonnen. Wir wollen den großen Wurf“, so Southgate. Für diese Attitüde bekommt er mittlerweile Beifall – von den gleichen Fans, die ihm zum Ende der Vorrunde wegen seiner vorsichtigen Gangart noch mit Bierbechern beworfen hatten.

Er könnte recht behalten. Auffällig ist: Keiner der vier Halbfinalisten hat bei dieser EM durchgehend schönen Fußball gespielt. Selbst die Spanier, deren Trainer Luis de la Fuente so die Backen aufgeblasen hatte („Unsere Spieler sind die besten der Welt“), überraschten im Viertelfinale gegen Deutschland mit eigenwilligen Wechseln: De la Fuente holte nacheinander seine Flügelstürmer Lamine Yamal und Nico Williams vom Platz. Er wollte nicht mehr zeigen, dass seine Mannschaft besser ist – er wollte nur noch eines: gewinnen. Deutschland, das bessere Team, schied aus – genauso wie die leidenschaftlich kämpfenden Türken am Samstagabend gegen die Niederländer.

Bei dieser EM gehe es halt nicht nur darum, „gut zu spielen“, sagte Southgate. Das hatte auch niemand behauptet. Ich würde mich allerdings nach wie vor über zumindest ein bisschen Fußball freuen. Am Mittwoch muss ich mein fünftes England-Spiel bei dieser EM anschauen.

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