Gary Lineker hat zusammen mit seinen Freunden, den englischen Ex-Profis Alan Shearer und Micah Richards, einen Podcast, der dann und wann für Aufsehen sorgt. Die Drei Altstars des englischen Fußballs sind sehr meinungsstark, allen voran Lineker, weswegen nach nunmehr vier höchst diskutablen Vorstellungen des englischen Nationalteams bei dieser EM natürlich kein Hosianna von „The Rest is Football“ zu erwarten war.
Tatsächlich kam es auch so, das Trio ließ kaum ein gutes Haar am Team, dass mit viel Glück das Viertelfinale erreicht hatte – nach dem Geniestreich von Jude Bellingham in der Nachspielzeit und einem schmeichelhaften 2:1 nach Verlängerung gegen die Slowakei. Lineker sagte, er habe eine Mannschaft gesehen, „die wie verlorene Seelen auftritt. Es scheint so, als ob sie nicht wüssten, was sie da machen oder wie sie als Team spielen sollten“.
Der Tenor war in England schon gleich nach dem Abpfiff des Achtelfinales gesetzt worden, es war eine umfassende Abrechnung mit dem Fußball, den Nationalcoach Gareth Southgate in Deutschland spielen lasse. „Wir waren elendig schlecht und zwar in allen vier Spielen“, sagte etwa Ex-Nationalspieler Gary Neville.
„England ist weit weg davon, EM-Favorit zu sein“
Lineker nun sagte, er könne sich „an kein Spiel erinnern, in dem England so viel Glück hatte wie gegen die Slowaken“. Er fühle „ein bisschen mit den Spielern. Sie versuchen es so sehr, aber sie sehen ein bisschen verloren aus“. Am Samstag (18.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) geht es im Viertelfinale von Düsseldorf gegen die Schweiz, die ebenfalls noch ohne Niederlage ist und zuletzt Titelverteidiger Italien verdient mit 2:0 besiegte.
„Hätte man uns vor dem Turnier gesagt, dass wir im Viertelfinale gegen die Schweiz spielen, wären alle glücklich gewesen und hätten gesagt ,Wir sind der große Favorit‘“, sagte Lineker, Torschützenkönig der WM 1986, „doch jetzt sind wir weit weg davon, Favorit zu sein.“
Obwohl England laut transfermarkt.de mit einem Marktwert von 1,52 Milliarden Euro das auf dem Papier wertvollste Team an dieser EM stellt, kamen bisher nur vier uninspirierte Partien zustande. „Das Spielsystem wirkt für die Spieler wie von einem anderen Planeten, da kaum einer von ihnen im Klub so passiv spielt. Sie sind Pressing und Kurzpassspiel gewohnt“, analysierte Lineker. Auch sein Podcast-Kompagnon Richards haderte mit der ausgegebenen Marschrichtung des englischen Nationaltrainers: „Ich verstehe die Message von Southgate nicht. Was versuchen wir, auf dem Platz zu tun?“
Fallrückzieher-Traumtor in letzter Sekunde – Englands Spektakel-Rettung im Video
Die englische Nationalmannschaft wendet in letzter Sekunde die Blamage gegen die Slowakei ab. Bellingham schießt die Three Lions per Fallrückzieher in die Verlängerung, dann dreht Kane die Partie. Sehen Sie die Highlights des Spiels hier im Video.
Quelle: MagentaTV
Die Boulevardzeitung „The Sun“ verglich den 53 Jahre alten Southgate mit einem „Chemiker, der alles umkehrt“. Aus dem vorzüglichen Personal, das das Blatt als „Gold“ bezeichnete, mache Southgate „Metall“. Die Offensive um Harry Kane (FC Bayern), Champions-League-Sieger Bellingham (Real Madrid), Phil Foden (Manchester City) und Bukayo Saka (FC Arsenal) ist wohl mit das Beste, was Fußball-Europa derzeit zu bieten hat. Doch auf dem Rasen wirkt alles ideenlos und uninspiriert. In Englands Presse war von „gähnendem Ruhm“ zu lesen.
Für das Spiel gegen die Schweiz befinde man sich „deutlich“ in der Rolle des Außenseiters, stellte der 63 Jahre alte Lineker klar: „Die Schweiz war bisher sehr beeindruckend. Taktisch sind sie enorm gut eingestellt, sie stehen hoch und pressen den Gegner. Und Harry Kane meinte ja auch schon mal, dass die englische Mannschaft Mühe habe, gegen Dreierketten zu spielen.“ England hat in 390 Minuten bei der EM erst vier Tore erzielt – je zwei von Bellingham und Kane.
Shearer, der Dritte im Podcast-Bunde, teilte Linekers Meinung. „Von dem, was wir bisher gesehen haben, sind wir nicht die Favoriten – um Gottes willen“, sagte der Premier-League-Rekordtorschütze: „Wir hatten im Achtelfinale bis in die Nachspielzeit kein einziges Mal aufs Tor geschossen.“