So lustig die Reise am Ende auch war: Dass Niclas Füllkrug am vergangenen Sonntag entschied, sich schon einen Tag früher von Hannover aus ins rund 450 Kilometer entfernte Team-Camp nach Herzogenaurach zu begeben, hatte einen ernsten Hintergrund.
„Ich hatte gehofft, dass es etwas entspannter wird, weil ich ein bisschen Respekt vor der Deutschen Bahn habe“, berichtete der deutsche Nationalstürmer. Weil dann aber mehrere Züge ausgefallen waren, „war unser Zug doppelt und dreifach besetzt, und ich habe noch eine Abi-Studienfahrt mitgemacht. Es hat Spaß gemacht“.
Immerhin, Füllkrug erreichte sein Ziel. Das hoffen auch die Spieler, Trainer und Verantwortlichen des Schweizer Nationalteams – dritter Gruppengegner der deutschen Elf. Die Eidgenossen haben ihren ersten Auftritt am Samstag in Köln gegen Ungarn. Von Stuttgart aus, wo sie ihr EM-Quartier bezogen haben, reisen sie per Zug an. Die Schweizer sind einen hohen Standard gewohnt, ihre Bahngesellschaft SBB kommt auf 92,5 Prozent Pünktlichkeit, wobei ein Zug ab drei Minuten Verspätung bereits als unpünktlich gilt. „Wir hoffen“, sagte Pierluigi Tami, Direktor der Schweizer Nationalelf, „dass die Deutsche Bahn bei dieser EM ihre beste Leistung zeigt“.
Viele Baustellen, Fachkräftemangel
Nicht nur die Schweizer dürften das hoffen. Auch andere teilnehmende Teams – und nicht zuletzt die vielen Fußball-Fans, die sich von Freitag an, wenn in München mit dem Spiel zwischen Deutschland und Schottland die EM beginnt (21.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT), täglich auf den Weg zu den zehn Spielorten machen.
Neben dem Flugzeug und dem Auto gilt vor allem die Bahn als das Transportmittel, das die Fans von A nach B bringen soll. Die Deutsche Bahn ist einer der offiziellen Partner der Euro 2024. Nur fragt sich, ob sie auch ein verlässlicher Partner sein wird – und dem Fan-Ansturm gerecht werden kann?
Viele Baustellen, der Fachkräftemangel und nicht zuletzt Streiks im Bahnverkehr hatten für Bahnreisende in den vergangenen Monaten deutschlandweit immer wieder für Einschränkungen gesorgt. Züge fielen aus oder kamen zu spät am Zielort an. Noch am vergangenen Wochenende kam es deutschlandweit zu Beeinträchtigungen im Zugverkehr ob der Schäden, die es durch Hochwasser im Süden Deutschlands gab.
Nun äußert sich die Bahn. „Zum Start der EM werden die Hauptstrecken des Fernverkehrs zum größten Teil voll befahrbar sein. Lediglich zwischen Nürnberg und Würzburg kommt es infolge eines massiven Erdrutsches weiterhin zu Einschränkungen. Die Schäden am Bahndamm sind so groß, dass die Reparaturarbeiten frühestens Ende Juni abgeschlossen sein werden. Dadurch verlängert sich die Fahrzeit auf dieser Strecke um etwa 30 Minuten“, sagte eine DB-Sprecherin auf WELT-Anfrage.
24.000 Züge im Nah- und Fernverkehr während EM
Auch wenn Unwetterschäden regional begrenzt seien, könne es insbesondere bei lang laufenden Verbindungen bundesweite Auswirkungen geben. „So kann es beispielsweise sein, dass unsere Züge und unsere Mitarbeitenden aufgrund der Unwetterschäden nicht an ihren planmäßigen Einsatzorten sind. In diesen Fällen kann es etwas dauern, bis alles wieder im Takt ist“, ergänzte die DB-Sprecherin.
Knapp 100.000 Fan-Tickets und rund 25.000 Fan-BahnCards hat die Bahn bundesweit verkauft, dazu kommen noch einmal 4.000 Fans aus dem europäischen Ausland, die sich für den EM-Interrail-Pass entschieden haben.
Während des Turniers wird die Bahn täglich rund 24.000 Züge bundesweit im Nah- und Fernverkehr anbieten. Man wäre vorbereitet, heißt es – bei der EM gibt es Spieltagen 10.000 Sitzplätze in IC- und ICE-Zügen mehr als sonst.
Was das Problem der Pünktlichkeit angeht, verwies die DB-Sprecherin darauf, dass es beim Bahnfahren so sei wie auch beim Autofahren: „Wer mit etwas Puffer unterwegs ist, kommt entspannter ins Stadion. So können die Fans auch noch die Fußball-Atmosphäre in den Spielorten genießen. Zur Pünktlichkeit muss auch gesagt sein, dass nur rund zwei Prozent der Züge mehr als 60 Minuten Verspätung haben. Kommt ein Zug im Fernverkehr zu spät, tut er das durchschnittlich mit rund 9 Minuten.“
Mitte Mai hatte Paul Goodwin, Mitbegründer des schottischen Fanverbandes Scottish Football Supporters Association, seinen Landsleuten zur frühzeitigen Anreise zu den Spielen der Europameisterschaft geraten. „Verlasst die Kneipe ein bisschen schneller, gebt euch selbst ein wenig mehr Zeit. Das Letzte, was ihr wollt, ist, erst zur Halbzeit anzukommen“, hatte Goodwin gesagt.
Der Fan-Vertreter geht von 40.000 schottischen Unterstützern aus, die während der EM nach Deutschland reisen werden – am Dienstag war sogar von bis zu 200.000 die Rede.
Für die Strecken innerhalb Deutschlands seien sie dann in vielen Fällen auf die Bahn angewiesen. Im vergangenen Jahr hatte mehr als jeder dritte Zug im Fernverkehr der DB eine Verspätung von mindestens sechs Minuten. Wer wegen einer Verspätung einen Anschluss verpasst, kommt häufig noch deutlich später ans Ziel.
Michael Peterson, DB-Vorstand Fernverkehr, hatte sich unlängst in einem Pressegespräch zur EM unter anderem auf die Aussagen aus Schottland bezogen: „Der schottische Fanverband macht’s vor und rät seinen Leuten, einen Zug früher zu nehmen. Das ging als ,Warnung‘ durch die Medien. Ich finde: Das ist für ein Großereignis, das Millionen von Menschen anzieht, unterm Strich ein sehr vernünftiger Rat“, sagte Peterson.
Und verwies ebenfalls darauf, einen Zeitpuffer einzuplanen: „Kein Fußballfan setzt sich vier Stunden vor Anpfiff ins Auto, wenn die Fahrt voraussichtlich vier Stunden dauert. Da plant man einen Puffer ein. Das gleiche Prinzip sollte auch für die Bahn gelten.“
Alle Spiele der Heim-EM im Überblick:
Spielplan der EM 2024 mit allen Ergebnissen
EM-Spielplan als PDF zum Ausdrucken