Eine besondere Rolle ist Lars Ricken beim Champions League-Finale nicht zugedacht – zumindest keine, von der er wüsste. „Ich habe nichts gehört, also gehe ich davon aus, dass ich ganz normal auf der Tribüne sitzen werde“, sagte der neue Sport-Geschäftsführer des BVB. An diesem Mittwoch wurde er offiziell vorgestellt.
Am 1. Juni, wenn die Dortmunder im Londoner Wembleystadion gegen Real Madrid spielen, wird Ricken also keinen speziellen Auftritt haben – im Gegensatz zu den zwei vorangegangenen Endspielen um den Henkelpott in der Geschichte des Klubs. 1997 erzielte Ricken in München das entscheidende 3:1 gegen Juventus Turin und verhalf dem BVB so zum bislang bedeutendsten Erfolg überhaupt. 2013, als die Dortmunder – ebenfalls in London – dem FC Bayern mit 1:2 unterlegen waren, war er gemeinsam mit Paul Breitner im Vorprogramm erschienen. Ricken und Breitner trugen damals historische Uniformen – was anschließend durchaus für Spott gesorgt hatte.
Wie auch immer: Die Champions League scheint Ricken, mittlerweile 47, nicht loszulassen. „Mein erster Arbeitstag war der 1. Mai und abends haben wir das erste Halbfinale gegen Paris gespielt, eine Woche später standen wir dann im Finale“, erklärte Ricken im voll besetzten Presseraum im Dortmunder Stadion bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in neuer Funktion – der auch vorerst der letzte bleiben soll. Bis das große Spiel in Wembley gespielt sein wird, will er sich zurückhalten. „In London soll den Leuten der Raum gegeben werden, die ein Jahr dafür gearbeitet haben und die es sich verdient haben: die Mannschaft, das Trainerteam, Sportdirektor Sebastian Kehl und Aki Watzke“, so Ricken.
Letzterer hatte Ricken vor einigen Wochen als seinen Teil-Nachfolger auserkoren. Der ehemalige BVB-Profi, der in den vergangenen 16 Jahren das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der Dortmunder geleitet hatte, hat bereits die sportliche Gesamtverantwortung von Watzke übernommen – was ihn zum wichtigsten Entscheider in Bezug auf die Profi-Abteilung gemacht hat. Watzke bleibt noch bis Ende 2025 Vorsitzender der Geschäftsführung, bis er sich dann zurückziehen will.
„Er ist sehr selbstbewusst“, sagt Watzke
Rickens Position ist also mit einer beachtlichen Machtfülle ausgestattet. „Ich habe Lars 16 Jahre beobachtet, er hat im NLZ Außergewöhnliches geleistet. Ich wusste immer, dass er hoch motiviert ist. Zudem ist er sehr selbstbewusst, aber es schafft es, es nicht so aussehen zu lassen, als ob er zu selbstbewusst ist“, sagte Watzke, der am Mittwoch neben Ricken auf dem Podium saß. Damit wollte der 64-Jährige betonen: Niemand solle glauben, nur weil Ricken in den vergangenen Jahren in der breiten Öffentlichkeit eher wenig präsent war, dass der nicht in der Lage sei, diesen verantwortungsvollen Job auszuüben.
„Für den einen oder anderen mag meine Berufung überraschend gekommen sein, für mich eigentlich nicht“, erklärte Ricken dann auch prompt und stellte das von Watzke angekündigte Selbstvertrauen zur Schau. Bereits „vor vier, fünf Jahren“ habe ihm Watzke gesagt, dass er ihn „mittelfristig in der Geschäftsführung sieht“, so Ricken. Er habe damals jedoch geantwortet: „Du brauchst mir keine Versprechungen zu machen. Ich möchte nur erfolgreich für diesen Verein arbeiten.“
Dass der BVB für ihn eine Herzensangelegenheit ist, ergibt sich aus Rickens Biografie. Er ist geborener Dortmunder, stieß als 14-Jähriger zur BVB-Jugend. Seine langjährige Tätigkeit im NLZ, zunächst als Koordinator und dann als Direktor, sei eine gute Schule gewesen. „Ich war Kaderplaner für vier bis fünf Mannschaften, habe viele Gespräche mit Spielern, Eltern und Beratern geführt und gleichzeitig Strukturen aufgebaut“, erklärte er.
Sein Stil ist kommunikativ. „Ich verstehe unter moderner Führung, andere stark zu machen und Rahmenbedingen zu schaffen, damit alle optimal arbeiten können“, umschrieb er seine Maxime für den künftigen Umgang mit seinen wichtigsten Mitarbeitern – die er alle schon lange kennt: Trainer Edin Terzic, Sebastian Kehl und Sven Mislintat, der seit dem 1. Mai als Kaderplaner wieder für den BVB arbeitet. Auch auf die Dienste von Matthias Sammer, bislang persönlicher Berater von Watzke, will Ricken zurückgreifen.
Problematisch könnte sich unter Umständen die Zusammenarbeit mit Kehl gestalten, der sich selbst Hoffnungen gemacht hatte, zum Geschäftsführer befördert zu werden. „Eigentlich ist es ganz gut, wenn ein Verein aus sich heraus die eine oder andere Alternative hat. Ich musste mich für einen entscheiden – das heißt aber nicht, der andere sei weniger qualifiziert“, sagte Watzke. Allerdings wollte auch er nicht ausschließen, dass es zu Reibungen kommen könnte. „Wenn es die drei (Ricken, Kehl und Mislintat, die Redaktion) hinkriegen, konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, dann haben wir Riesenchancen. Ich hoffe, dass sie es hinkriegen“, erklärte er: „Es kann aber auch sein, dass sie es nicht hinbekommen.“
Ricken wird „Elefantenrunde“ fortan leiten
In jedem Fall hat beim BVB bereits eine neue Zeitrechnung begonnen. „Lars wird von jetzt an die ominöse Elefantenrunde leiten“, sagte Watzke. Damit ist das regelmäßige Zusammentreffen zwischen dem Geschäftsführer, dem Sportdirektor und dem Trainer – sowie oft auch Sammer gemeint. Er selbst werde zukünftig nicht mehr teilnehmen, es sei denn, er werde von Ricken darum gebeten, so Watzke. Er werde zwar nicht den Budgetrahmen vorgeben. Das letzte Wort bei Entscheidungen werde jedoch Ricken haben.
Für diejenigen, die glauben, mit Lars Ricken zukünftig ein weniger streitbarer Charakter an der Spitze von Borussia Dortmund stehen, hatte der neue Geschäftsführer dann auch noch eine klare Botschaft parat. „Ich vertrete diese Farben mit allem, was ich habe“, sagte Ricken: „Wenn wir angegangen oder angegriffen werden, werde ich diese schwarz-gelben Farben auch laut und deutlich verteidigen.“