Nein, sie sind nicht immer jung an Jahren, aber immer beseelt von jugendlichem Enthusiasmus. Und von Visionen, die vor allem jenseits der Weinbau-Akademien gedeihen. Während einigen der Durchbruch überraschend schnell gelang, brauchten andere dazu viele Jahre und manche warten noch immer darauf. Doch es gibt sie inzwischen überall, in allen Weinländern: die „wilden“ Winzer.
Vor allem in Frankreich mit seiner Fülle an verschiedenen Terroirs stößt man immer öfter auf sie. In Ecken, wo aufgrund von Kälte und Nässe fast nichts mehr wächst und man unreife, fruchtarme Weine vermutet. Und in Winkeln, wo es so heiß ist, dass man aufgrund der Trockenheit brandige Weine erwartet. Aber in den richtigen Händen werden sie weder das eine noch das andere. Im Gegenteil.
Manchmal erwecken die neuen Wilden ein unbekanntes Terroir zum Leben und setzen alles daran, dort die natürlichsten und gesundesten Trauben zu ernten. Oft setzen sie auf besondere Ansätze im Keller. Mal lassen sie den entstehenden Wein nur ganz kurz auf der Maische oder aber viele Wochen lang. Sie haben Horror vor neuen Fässern, benutzen gern Fuder wie anno dazumal oder geben ihren Wein gleich in Amphoren aus Beton.
Gemein ist allen die Liebe zum Boden, zur Pflanze, zur Handarbeit und ihrem Wein. So gelingen ihnen Tropfen, die manche vor den Kopf stoßen und andere in den siebten Himmel versetzen, die polarisieren, weil sie alles sind, aber kein Allerweltsprodukt.
Reben neben Salzseen
Ganz im französischen Westen auf der Domaine Saint-Nicolas baut Thierry Michon seinen Wein – direkt am Atlantik bei Ile d’Oleron in der Vendée. Ein verrücktes Terroir. Die Reben ducken sich neben den Salzseen vor den Stürmen und suchen mit ihren Wurzeln nach Süßwasser.
Michons biodynamische Weine spiegeln diese einmalige Mixtur auf hinreißende Weise. Wie zum Beispiel die weiße Cuvée Les Clous, die betörend nach Meer duftet, der ebenso frische wie feine und fruchtig-würzige Reflets Rouge oder La Grande Pièce, der vorführt, wie raffiniert Pinot Noir am Atlantik gelingen kann.
Im Zentrum der Loire boomt Sancerre als das beste Sauvignon-Blanc-Terroir Frankreichs. Manch Liebhaber zieht das benachbarte Gebiet Pouilly Fumé vor, wo der Sauvignon besonders rauchige Feuersteinnoten entwickelt. Deshalb der Namenszusatz „Fumé“. Dort hat Jonathan Pabiot seinen Vater Didier vom biologischen Weinbau überzeugt.
Vergärt wird in Betontanks. Ein Jahr bleiben die Weine auf den Feinhefen. „Aubaine“ und „Prédelection“, die besten im Sortiment, stammen von einzelnen Parzellen mit Mini-Erträgen, aber toller Mundfülle bei mineralischer Frische. In den sympathischen Familienbetrieb hat sich Jonathans Frau Nina, gebürtige Hamburgerin, bewundernswert integriert.
Kleine Mengen – große Ergebnisse
Im Elsass reicht die Winzerlinie des jungen Florian Beck-Hartweg bis 1590 zurück. Mit seiner Frau Mathilde bleibt er bewusst bei nur sechs Hektar Rebparzellen, die sie selbst per Hand und rein biologisch bearbeiten. Die Weine vergären spontan im 230 Jahre alten Keller in 100 bis 200 Jahre alten Fudern und ohne Schwefelzusatz.
Dafür brauchen die Weißen – wie der anregende, mineralische, herrlich trockene Dorf-Riesling Dambach-la-Ville oder der sehr fruchtige, saftig-salzige Tout Naturellement aus mehreren gleichzeitig gelesenen Sorten, zehn bis elf Monate Zeit. Rekordverdächtig.
Auf Schwefel verzichtet auch Julien Merle im Beaujolais, nach eigenem Bekunden „zeitgenössischer Winzer“ und unter ihnen der einzige Punk, wie er scherzt. Vor allem steht Julien mit beiden Beinen und fester Überzeugung im Weinberg und betreibt sein Metier mit unerschütterlicher Ehrlichkeit.
Dabei entstehen köstlich fruchtige Beaujolais wie der Nouveau, den er „Lubrificant social“ (soziales Schmiermittel) nennt. oder der runde, lebendige, lang nachklingende „Champ Blanc“.
Lieber real als digital
In der Provence ist die Domaine de la Tour du Bon unter Agnès Henry schon seit 1990 in die Spitze der Appellation Bandol vorgestoßen. Das hindert die bescheidene Winzerin nicht daran, Neues zu wagen. Seit kurzem bestellt sie das Gut biodynamisch. 2013 vergor sie als erste in Bandol einen sortenreinen Mourvèdre in 300-Liter-Amphoren. 2014 hat sie deren Anzahl auf vier verdoppelt.
Sechs Monate lässt sie den En-Sol auf der Maische. Und ein Wunder geschieht: Der sonst so feste Bandol, der Jahre braucht, um sich zu entfalten, zeigt auf einmal verblüffenden Charme, raffinierte Frucht, seidige Tannine und stimuliert auf bisher unbekannte Weise.
Noch weiter im Süden überrascht Stéphane Morin mit extrem anregenden Weinen. Der ehemalige Fotograf hatte genug von Digitalem, von langen Tagen und Nächten vor dem Computer. Seit 2007 verbringt er die meiste Zeit in seinen zwölf Hektar umfassenden, biologisch bestellten Weinbergen im südlichsten Zipfel des Roussillon, nah am Mittelmeer.
Inspiriert vom Vin Naturel gelingt Morin der Tanz auf Messers Schneide: Wenig oder kein Schwefel, niedrige Alkoholgrade und frische Säure ohne jede Fehlnote zeichnen seine Weine aus. Sie tragen so bemerkenswerte Namen wie „Bottleneck“, „Carbone 14“ oder „Que pasa?“. Noch bemerkenswerter aber ist ihr Geschmack voll intensiver, reiner Frucht, wunderbarer Frische und schöner Ausgewogenheit. Und das in einer der heißesten Gegenden Frankreichs.
Das Wilde, Ungezähmte hat im ganzen Land Überraschungen parat.