Nichts ist unschuldig in diesen Krisenzeiten. Nicht Urlaub, nicht Yoga, nicht Sylt. Wie geht man um mit dieser Bürde – zum Beispiel, wenn man im Keitumer Luxushotel „Severin’s“ ein Yoga-Retreat zu leiten hat, während Russlands Krieg gegen die Ukraine immer brutaler wird?
Patricia Thielemann gelingt das respektabel. Die international anerkannte Yoga-Meisterin und Gründerin von Spirit Yoga in Berlin setzt sich durchaus kritisch mit der Frage auseinander, ob Yoga – neben allen positiven Effekten – auch egoistisch und selbstbezogen machen kann.
Bei den Meditationen, die sie im „Severin’s“ anleitet, versucht sie eine Antwort: Natürlich gehe es darum, etwas „für sich“ zu tun, den Geist zu klären und zur Ruhe zu kommen. Aber das sei keine Ich-Sucht, denn die so gewonnene Energie könne und sollte man kraftvoll nach außen wenden, um die Welt mit all ihren Krisen und Widersprüchen realistisch wahrzunehmen – und tätig zu werden, wo es nötig ist.
Die Teilnehmerinnen des Retreats – diesmal nur Frauen – sind keine verwöhnten Luxusgeschöpfe. Sie sind Unternehmerinnen, Fotografinnen, Agenturchefinnen. Eine hat schon Lkw-Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten Richtung Ukraine in Bewegung gesetzt, andere spenden oder engagieren sich in der Flüchtlingshilfe.
Darf man in Zeiten von Krieg so Urlaub machen?
Und doch steht der unsichtbare Elefant im Raum, in diesem Fall auf dem Vollholzboden vor dem Frühstücksbuffett mit neun Brot- und Brötchensorten, fünf verschiedenen Räucherfischen und einer Vielzahl von frischen Säften: Hier herrscht Überfluss, 2000 Kilometer östlich wütet der Krieg.
Unter dem Reetdach des „Severin’s“ findet sich eine der schönsten Spa- und Saunalandschaften Deutschlands. Ein sanft ironisch formuliertes Schild bittet darum, die 800 Euro teuren Kaschmir-Kuscheldecken, die auf den Zimmern liegen, nicht einfach mit nach Hause zu nehmen, sondern sie gegebenenfalls käuflich zu erwerben.
Darf man so Urlaub machen? In dieser Situation? Die Antwort lautet: Menschen tun es. Wir tun es. Verreisen ist wichtig für den Seelenfrieden, ob mit oder ohne Yoga. Auch Sylt bereitet sich auf den Sommer vor, obwohl die Saison auf der Insel eigentlich längst zwölf Monate dauert.
Die Buchungen lassen ein Rekordjahr erwarten: Wegen Corona, und nun auch wegen der weltpolitischen Lage, erleben deutsche Urlaubsregionen einen beispiellosen Boom. Sylt konnte, nach einer Halbierung der Gästezahl 2020 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019, im vorigen Jahr mit 4,1 Millionen Übernachtungen fast wieder das Vorkrisenniveau erreichen, für 2022 rechnet man mit einer weiteren Steigerung. Gut 90 Prozent der Gäste sind Deutsche, hinzu kommen ein paar Österreicher, Schweizer und der eine oder andere Ausnahme-Däne.
Manche Syltologen behaupten, auf der Insel ließen sich alle Trends und Probleme der Bundesrepublik wie unter einem Brennglas betrachten. Das ist sicher übertrieben, aber auch nicht ganz falsch. Man findet hier grüne Ideen – Umweltbewusstsein, lokale und ökologische Lebensmittelproduktion, achtsamen und gesundheitsorientierten Tourismus – ebenso wie die Geißeln der modernen Lebensweise: marode Infrastruktur, Verkehrsinfarkt mit Staus quer durch Westerland, Fachkräftemangel, Immobilienspekulation und explodierende Mieten, die kein Einheimischer mehr bezahlen kann.
Und wie im Rest der Republik tun sich Politik und Verwaltung, aber auch private Dienstleister durchaus schwer, bei den Fehlentwicklungen gegenzusteuern. Die gefährliche Versuchung, von der Substanz zu leben, solange es geht, besteht im Kleinen wie im Großen.
Die Preise sind hoch, aber der Service lässt nach
Dabei hat das Klischee von Sylt als Refugium der Reichen und Schönen längst einen Ermüdungsbruch, und wenn man ehrlich ist, hing die Insel in den vergangenen Jahren oft ein wenig durch: Die Preise waren hoch wie eh und je, aber der Service kam nicht mehr mit.
Das war auch kein Wunder: Welche Spitzenkraft, egal ob aus der Gastronomie, Hotellerie oder dem Wellnessbereich, zieht in den äußersten Norden der Republik, um dort einen großen Teil des Gehalts für eine unattraktive Kellerbehausung auszugeben? Oder um an jedem Arbeitstag drei Stunden im überfüllten Pendlerzug über den Hindenburgdamm vom und zum Festland anzuhängen?
In den Sylter Tophäusern hat man dieses Problem erkannt. „Für unsere 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mieten wir selbst Wohnraum an und geben ihn zu Festlandkonditionen weiter“, sagt Christian Siegling, Direktor des „Severin’s“: „Wir müssen unserem Team nicht nur Wertschätzung geben, sondern auch monetäre Anreize, wenn wir ausgezeichneten Service bieten wollen.“
Die Gastgeber anderer Luxusbleiben auf Sylt nennen „Personal“ ebenfalls als wichtigsten Faktor ihrer Bemühungen. Im exklusiven „Söl’ring Hof“ in Rantum hat man beispielsweise eine strikte Fünf-Tage-Woche für Mitarbeiter eingeführt, um gerade jungen Kollegen die Work-Life-Balance bieten zu können, die gutes Personal heute einfordert.
Sylt bekommt ein neues Luxushotel
Auch im „Lanser Hof“ hat man entsprechende Pläne. Das Resort in List will im Juni seine Türen öffnen, es ist das neueste Luxushotel auf Sylt. Es wird eine Art Paradies für Body Hacker sein, also für Menschen, die sich dem Alterungsprozess des Körpers nicht kampflos ergeben wollen.
Im „Medical Spa“ stehen modernste Diagnosemethoden und Therapien zur Verfügung, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen, Entzündungen als Treiber der Zellalterung zu stoppen, Körper und Seele durch Fasten und gesunde Ernährung zu reinigen, Fitness und seelische Balance wiederherzustellen. Küchenchef Dietmar Priewe (vormals Chefkoch der Sylter „Sansibar“) gehört zu den wenigen, die es tatsächlich verstehen, auf Gourmetniveau vegan zu kochen.
Für Hoteldirektorin Dorit van der Osten steht die Personalfrage ganz oben auf der Prioritätenliste: Sie sucht Wohnraum für ihre Mitarbeiter, die aus der Hotelküche ebenso spitzenmäßig verpflegt werden wie die Besucher. Das Büro ist so edel möbliert wie der Gästebereich, auch die Angestellten sitzen auf Vitra-Stühlen.
Die Gesundheitsphilosophie des Hauses hört bei den Beschäftigten nicht auf: Zum Gehalt bekommen sie einen Fitnesszuschuss – und bei längerer Betriebszugehörigkeit ein eigenes E-Bike, mit dem sich sowohl die Sylter Wind- als auch die Verkehrsprobleme bewältigen lassen.
Kampf um bezahlbare Wohnungen für Einheimische
Den Inselgemeinden liegt das Wohlergehen von Gästen und neuen Beschäftigten ebenfalls am Herzen, aber sie müssen gleichzeitig die Lebensqualität der Sylter im Blick haben. Fehlt es an bezahlbarem Dauer-Wohnraum, veröden die Dörfer, was niemandem nützt.
Kampens Bürgermeisterin Steffi Böhm zum Beispiel kämpft seit ihrem Amtsantritt 2009 um bezahlbare Wohnungen für Einheimische. Mit Erfolg: Auf einer Wiese vor dem Kampener Ortseingang sollen nach aufwendigen Planungsverfahren nun 45 Reihenhäuser und Apartments für etwa 100 Menschen entstehen. Doch 20-mal so viel wäre inselweit nötig, um den Bedarf bis 2030 zu decken.
Fragt man Steffi Böhm oder die Kampener Tourismus-Direktorin Birgit Friese oder auch Nikolas Häckel, den Verwaltungschef der Gemeinde Sylt, dann gibt es auf die verschlungene Gemengelage von Mietpreisen, Service- und Lebensqualität auf der Insel nur eine schlüssige Antwort: keine weiteren Hotelbetten, kein Massentourismus.
Die Erkenntnis, dass die luxuriöse Freiheit, für die Sylt steht, sich nur durch Selbstbeschränkung aufrechterhalten lässt, liegt auf der Hand. Und doch scheint es immer wieder schwer, der Versuchung zu widerstehen: zu einzigartig sind die Lagen, zu lohnend ist das Geschäft.
Blick vom Bett im Hotel auf die Nordsee
Allerdings bleibt der Bettenzuwachs überschaubar: Neben dem „Lanserhof“ in List wird im Herbst in Kampen die legendäre „Sturmhaube“ wiedereröffnen, als Restaurant und Hotel mit sechs Zimmern. Ein Kiosk zur gehobenen Strandversorgung soll noch im Mai an den Start gehen. Die Location hatte lange leer gestanden, die traumhafte Bar mit Meerblick im ersten Stock des Reetdachbaus blieb verwaist, man verstand eigentlich nie so ganz, warum, Personalprobleme spielten wohl auch hier eine Rolle.
Jetzt erweckt der Sylter Gastronom Felix Knochenhauer die „Sturmhaube“ wieder zum Leben – mit tatkräftiger Unterstützung der Gemeinde Kampen, die für vertretbare Pachtkonditionen gesorgt hat. Hier wird der Luxus künftig darin bestehen, direkt aus dem Hotelbett auf Heide und Nordsee blicken zu können, auf den Kampener Leuchtturm und das ehemalige Thomas-Mann-Anwesen unten am Strand – der Literaturnobelpreisträger hatte stets ein untrügliches Gespür für die inspirierenden Orte der Welt, sei es hier, in der Schweiz, auf der Kurischen Nehrung oder in Kalifornien.
Kommt man von den Inselstreifzügen zurück ins „Severin’s“ am Watt, wo es immer etwas ruhiger zugeht als im wuseligen Westerland oder auf dem Kampener Laufsteg, dann ist Sylt als Kraftort auf einmal ganz präsent. Auch zu später Stunde: Wenn man abends aus der Sauna in die Nacht hinaustritt, dann stirnt sich ein so gewaltiger Himmel über dieser ganzen Nordseestille aus, dass man ehrfürchtig wird. Dann wird auch klar, worin der eigentliche Luxus besteht, und vielleicht muss man wirklich hierherkommen, um das Glück zu begreifen: dass dieser Himmel, hier und heute, nur Sternenlicht schickt, keine Raketen.
Tipps und Informationen:
Anreise: Westerland auf Sylt ist per Regionalbahn, Intercity, Nachtzug und Autozug gut zu erreichen. Außerdem verkehren bis zu 32 Mal täglich Autofähren ab Rømø/Dänemark nach List (frs-syltfaehre.de).
Unterkunft: Luxuriös wohnt man beispielsweise in „Severin’s Resort & Spa“ (Doppelzimmer mit Frühstück ab 350 Euro, severins-sylt.de), im „Söl’ring Hof“ (Doppelzimmer mit Frühstück ab 595 Euro, soelring-hof.de) oder im „Lanserhof Resort Sylt“ (ab Juni, lanserhof.com).
Eine große Auswahl an Unterkünften, von Ferienwohnungen über Villen bis zum Hotel, bieten Online-Plattformen wie buchungszentrum-sylt.de sowie sylt.de/buchen.
Weitere Infos: Sylt Marketing, sylt.de
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt vom „Severin’s Resort“. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.