Die Region Westthrakien
Sie grenzt im Norden an Bulgarien, im Westen an die griechische Region Makedonien und im Süden ans Mittelmeer. Westthrakien ist heute eine geografische Region im Nordosten Griechenlands, die den westlichen Teil des antiken Thrakiens umfasst.
Homer, Autor der Ilias und der Odyssee, nannte die Region zwischen Makedonien und Schwarzem Meer „das goldene Reich des Orpheus“. Sie gehört zu den ältesten Kulturlandschaften Europas, entsprechend wechselvoll ist ihre Geschichte. So folgten auf die Griechen unter anderem Perser, Römer, Bulgaren und Osmanen.
Heute ist die historische Region dreigeteilt: Das zu Bulgarien gehörende Nordthrakien nimmt den größten Teil der ursprünglichen Fläche ein. Die Grenze zwischen Ostthrakien als europäischer Teil der Türkei und dem griechischen Westthrakien wurde mit dem Vertrag von Lausanne 1923 festgelegt. Ebenfalls Bestandteil des Vertrages war der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, wobei jedoch die muslimische Minderheit in Westthrakien von der Umsiedlung verschont blieb.
Die Region gilt als eine der ursprünglichsten Gebiete des Landes und ist touristisch kaum erschlossen. Individualtouristen, auch Wohnmobilisten, schätzen die Region zum Wandern und Mountainbiken etwa im Rhodopen-Gebirge. Im Süden lockt das Mittelmeer mit schönen Stränden wie dem Agia Paraskevi Beach oder dem Kokkina Vrachia Beach bei Alexandroupoli.
Der Ursprung der Berliner „Goldelse“
Nur eine einzige Insel gehört zu Westthrakien: Samothraki. Sie ist bekannt als Fundort der Nike, einer berühmten Skulptur der griechischen Siegesgöttin. Ein französischer Archäologe hatte 1863 Fragmente der Statue entdeckt und sie nach Paris geschafft.
Bei weiteren Grabungen 1873, 1879 und 1950 wurden Finger gefunden, die Suche nach Kopf und Armen der Nike blieb erfolglos. Die Statue steht heute im Louvre.
Das Inselmuseum in Palaiopolis zeigt immerhin eine Kopie in Originalgröße. Die Nike von Samothraki war übrigens Vorbild für die römische Siegesgöttin Viktoria, die als „Goldelse“ auf der Siegessäule in Berlin thront.
Im Delta der Pelikane
Im Frühling und im Herbst sammeln sich hier bis zu 200.000 Vögel. Tausende Flamingos staksen durch die flachen Salzwasserseen, Hunderte Pelikane gehen im Sturzflug auf Jagd nach Fischen, Seeadler und Falken kreisen, Watvögel wie Sandregenpfeifer und Pfuhlschnepfen suchen nach Nahrung im Brackwasser. Das Mündungsgebiet des Evros-Flusses in die Ägäis gehört zu den besten Vogelbeobachtungsspots Südeuropas.
Im Jahr 2000 wurde das durch Entwässerung bedrohte Gebiet zum Evros Delta National Park erklärt und damit unter Schutz gestellt. Ein guter Ausgangspunkt ist Traianopolis: Vom Besucherzentrum starten geführte Bootstouren zwischen Salzwiesen, Sümpfen und Sanddünen durch das Delta, etwa mit dem Anbieter Delta Evros Explorer oder auch mit privaten Fischern.
Ein zentnerschweres Gebäck
383 Kilogramm wiegt der größte Karioka-Kuchen der Welt. Mit diesem Gewicht hat es das Riesengebäck ins „Guinness Buch der Rekorde“ geschafft, dank 24 Konditoren aus Xanthi, woher die Süßigkeit aus Biskuit, Schokolade, Nugat und Walnüssen stammt.
Das mit Schokolade überzogene Naschwerk ist Xanthis süßester Exportartikel. Das Rezept soll auf den Bäcker George Papaparaskevas zurückgehen. In der 1926 eröffneten Konditorei am Eleftheria-Platz backt die dritte Generation die Karioka-Kuchen nach dem geheimen Rezept ihres Großvaters – und hat inzwischen eine Filiale in Athen.
Das Zitat
„Er trinkt wie ein Thraker.“
So lautete ein bei den alten Griechen beliebter Spruch, der nicht unbedingt als Lob galt. Die Thraker galten als trink- und feierfreudig, ihre Gelage sind als Bilddarstellungen auf Vasen verewigt. Homer berichtete, dass Odysseus das Land der Thraker besuchte und zwölf Amphoren Wein mitnahm. Der sei so stark gewesen, dass der Zyklop Polyphem in einen Weinrausch verfiel, der dem Helden die Flucht ermöglichte.
Die westthrakische Rebfläche ist heute mit 500 Hektar relativ klein. Das Bio-Weingut Analotikas Estate experimentiert mit fruchtigem Rotwein, vergoren in Amphoren aus Ton.
Eine der hübschesten Altstädte
Einst war Xanthi ein Zentrum des Tabakanbaus, wovon heute noch das Folkloremuseum und einige hochherrschaftliche Häuser der Tabakhändler in der Altstadt zeugen, die zu den hübschesten in Griechenland zählt und trotzdem nicht überlaufen ist.
Die Häuserzeilen entlang der Kopfsteingassen sind restauriert, der architektonische Stil mit Balustraden, Erkern, Holzfenstern und bunten Wänden ist eine Mischung aus lokalen und osmanischen Elementen.
Wer die Altstadt erkunden möchte, sollte gut zu Fuß sein, denn sie liegt steil an einem Hang. Im Spätwinter feiern die Einwohner den größten Karnevalsumzug Nordgriechenlands, im September gibt es ein Altstadtfest mit Musik und Märkten. Für Verschnaufpausen empfehlen sich die zahlreichen Cafés und Tavernen – in denen übrigens Rauchverbot herrscht.
Authentische Kultur im einstigen Sperrgebiet
Die ethnische Minderheit der Pomaken lebt in mehreren Bergdörfern an der Grenze zu Bulgarien. Die etwa 30.000 Pomaken sprechen einen slawischen Dialekt, der dem Bulgarischen ähnelt. In der Schule lernen sie heute Türkisch und Griechisch, und sie sind muslimischen Glaubens.
Im Zentrum der Dörfer stehen deshalb Moscheen mit Minarett wie etwa in Myki. Musik hat bei den Pomaken einen besonderen Stellenwert: Lieder werden von Generation zu Generation weitergegeben, viele Pomaken kennen Hunderte Liedtexte auswendig. Dass sie in Griechenland viel von ihrer eigenen Identität und Kultur bewahren konnten, liegt auch an der Abgelegenheit der schwer zugänglichen Bergregionen, in denen die Pomaken leben.
Ihre Dörfer lagen zudem während des Kalten Kriegs jahrzehntelang wegen der Nähe zum Ostblock in einem Sperrgebiet, das bis 1995 nur mit Ausnahmegenehmigung bereist werden konnte. Obwohl die Beschränkungen längst aufgehoben sind, wandern viele junge Menschen auf der Suche nach Arbeit ab in die Städte, in der Folge verwaisen die Dörfer zunehmend.
Die Pomaken werden in Griechenland offiziell als „Griechen muslimischer Religion“ angesehen. In der Türkei gelten sie wiederum als „Türken griechischer Nation“. Woher die Pomaken stammen, ist unklar – es gibt praktisch keine historischen Belege über ihre Herkunft, denn sie haben keine eigene Schriftsprache. Eine Theorie besagt, dass sie aus dem Baltikum ans Mittelmeer wanderten und unter osmanischer Besetzung vom Christentum zum Islam wechselten.
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