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Artikeltyp:MeinungVerbot von Kinderehen

Der kulturellen Vielfalt Grenzen setzen!

Von Till-R. Stoldt
Veröffentlicht am 21.06.2024Lesedauer: 5 Minuten
Das Bild zeigt das traurige Gesicht einer 12-jährigen Braut, aufgenommen während einer Hochzeits-Zeremonie in Herat, Afghanistan. Daneben der Kopf von Kommentator Till Stoldt
Hüter der interkulturell-korrekten Etikette hören es nicht gerne, aber fremde Sitten verarmen unser Land manchmal (hier: 12-Jährige während einer Hochzeit in Herat, Afghanistan)Quelle: Farahanaz Karimy/EPA/dpa/picture-alliance; atrin Moritz

In Essen ist eine Kinderehe zweier Syrer aufgeflogen. Immerhin: Das Martyrium des Kindes ist beendet. Und hält eine Lehre bereit: Relativistische Multikulturalität kann ins Unmenschliche umschlagen. Will ein Zuwanderungsland funktionieren, braucht es diese Einsicht – dringender denn je

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Eine Wohnung im Essener Migrantenviertel Altendorf verwandelte sich Ende 2021 in einen Folterkeller. Damals wurde eine Zwölfjährige aus Syrien nach Essen verbracht, um hier nach islamischem Recht einen erwachsenen Syrer zu heiraten. Obgleich sie ihn nie gesehen hatte, musste sie in die Wohnung des Mannes ziehen. Womit laut Staatsanwaltschaft ein Martyrium begann. Mit schwerem Missbrauch, Verzweiflung, Todesangst.

Der Fall wird nun vor dem Essener Gericht verhandelt. Was, bei aller Tragik, einen Erfolg bedeutet: Der Tatverdächtige ist angeklagt. Die Ehe wird wohl annulliert. Und genau das fordert unsere Gesetzeslage auch. Unsere Werteordnung wird also nicht auf dem Altar eines relativistischen Multikulturalismus geopfert. Nein, der Staat stellt sich hinter ein leidendes Kind und gegen eine religiöse (Un-)Sitte.

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Genau genommen steht der Staat dort bereits seit 2017. Mit breiter Mehrheit verbot die damalige Große Koalition das Verheiraten von unter 18-Jährigen und, sofern die Ehe im Ausland geschlossen wurde, von unter 16-Jährigen. Vergangene Woche wurde dieses Verbot im Bundestag verfeinert, damit es dauerhaft gerichtsfest bleibt. Lohnt sich ein Kommentar über dieses doch so unstrittige Nein zur Kinderehe? Und ob der lohnt.

Interkulturelles Du-bist-okay-ich-bin-okay als Gefahr

Denn dieses Nein zeigt, wie ein Zuwanderungsland seinen moralischen Kompass erhalten und zukunftsfähig machen kann. Es verdient, als Best-Practice-Modell nachgeahmt zu werden. Im Fall der Kinderehe wagt der Rechtsstaat es tatsächlich, beim Einigkeit-und-Recht-und-Vielfalt-Choral nicht mitzusingen. Er setzt der sonst stets gefeierten Buntheit und dem interkulturellen Du-bist-okay-ich-bin-okay-Kurs Grenzen. Zum Wohle der Kinder. Es ist eben nichts okay, wenn erwachsene Männer mit 12-Jährigen Sex haben. Läuft Akzeptanz kultureller Vielfalt auf Akzeptanz sexuellen Missbrauchs hinaus – dann wird sie barbarisch.

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Unser Rechtsstaat unternimmt es sogar, primär dem Islam eine bestimmte Auslegung seiner Überlieferung (nämlich eine kinderehenfeindliche) nahezulegen. Natürlich gilt das Verbot für Menschen jeden Glaubens – zumal Kinderehe nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter indischen Hindus und lateinamerikanischen Christen verbreitet ist. Hierzulande betrifft es aber vornehmlich Muslime. 2016 befanden sich unter den rund 1500 gezählten Kinderehen in Deutschland laut Kinderrechtsorganisation CARE vorrangig Syrer, Afghanen, Iraker (aber auch Bulgaren und Griechen).

Für diese islamische Tradition gilt: Nicht mit uns, nicht bei uns!

Vor allem aber ist die Beziehung zwischen Islam und Kinderehe eine besondere. Anders als in der heilgien Schrift der Christen gibt es in der islamischen Überlieferung Berichte, denen zufolge der Religionsgründer selbst, also der Prophet Mohammed, diese Praxis scheinbar rechtfertigte. Sie stammen primär von dem Überlieferer al-Bukhari, den Gelehrte traditionell als verlässlichen Gewährsmann einstufen. Ihm zufolge erzählte Aisha, die Lieblingsfrau des Propheten: „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, nahm seine Eheschließung mit mir vor, als ich sechs Jahre alt war, und unterhielt eheliche Beziehungen erst mit mir, als ich neun Jahre alt war.“

Damit begründen Staaten wie Iran, Afghanistan oder Saudi-Arabien, warum sie die Kinder-Heirat gestatten. Aber auch Teile der Bevölkerung in anderen islamischen Ländern berufen sich auf diese Berichte – und ignorieren das offiziell geltende Mindestalter. Unser Rechtsstaat sagt hier nun fast brüsk: Stopp. Nicht mit uns, nicht bei uns. Vielfalt hin oder her.

Muslimische Kinderschützer

Löst er damit dramatische Kulturkämpfe aus? Im Gegenteil. Die Zahl der Kinderehen ging hierzulande von 1500 (2016) auf 162 (2019) zurück. In der Praxis ist das Phänomen also sehr selten. Aber auch in der theologischen Theorie verliert es Unterstützer. Bei Reform-Muslimen rennt der Staat mit seinem Verbot ohnehin offene Türen ein – aber auch bei behutsamen Reformern wie dem Imam und Autor Benjamin Idriz. Er argumentiert, der Koran verlange von Partnern geistige Reife, um eine Ehe eingehen zu können. Damit, so folgert Idriz, schließt der Koran das Verheiraten Minderjähriger aus. Anderslautende Überlieferungen vom Propheten könnten daher nicht authentisch sein, weil der Koran gegenüber der Überlieferung Vorrang genieße.

Es gibt aber auch Konservative wie den 2002 verstorbenen Gelehrten Muhammad Hamidullah, die vor Kinderehe warnen. Um die entsprechenden Überlieferungen zu entschärfen, betonte er aber nicht deren mangelnde Echtheit, sondern des Propheten Einzigartigkeit. Tenor: Nur der Prophet war so anständig, dass er ohne Gefahr für deren Wohlergehen eine Neunjährige ehelichen konnte. Diese These gewinnt unter konservativen Muslimen hierzulande an Beliebtheit.

Muslimische Liberalität oder Gleichmut gegenüber dem Leid?

Aber wir wollen die hiesige islamische Szene auch nicht verklären. Ob das Verbot 2017 so gekommen wäre, wenn die großen Moscheeverbände ein entscheidendes Wort mitzureden gehabt hätten, darf man hinterfragen. Jedenfalls wurde aus ihren Reihen gemurrt, das Verbot sei dem „aufgeregten Wahlkampf“ geschuldet gewesen – was ja wohl heißen soll: Es sei damit um Sympathien vermeintlich dumpf-muslimfeindlicher Wähler gebuhlt worden.

Nun darf man den Verbänden nicht pauschal unterstellen, sie wollten Kinder verheiraten. Das dürfte den allermeisten dort Organisierten von Herzen zuwider sein. In ihren Reihen grassiert aber die Neigung, islamische Praktiken auch dann vor einem Verbot zu schützen, wenn sie selbst diese Praktiken nicht zur Norm erklären wollen oder ablehnen. Das mag man als Gleichmut gegenüber himmelschreiendem Leid bezeichnen oder (Verpackung ist ja bekanntlich alles) als innermuslimische Liberalität.

Nein!

Von diesem scheinliberalen Sound ließ sich der deutsche Rechtsstaat jedoch nicht blenden. Er bekennt sich mit dem Verbot nicht nur zum überragenden Wert des Kindeswohls, sondern auch zu einem anderen Ideal unserer Verfassung: Partnerschaft soll gleichberechtigt sein.

Das Machtgefälle zwischen einem Erwachsenen und einem Kind (erst recht, wenn dieses in ein fremdes Land einwandert) ist in einer Ehe inakzeptabel. Es ist so groß, dass es dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Was der traurige Fall des Essener Mädchens belegt (das nun hoffentlich ein Leben ohne Erniedrigung beginnen kann). Zu derartiger Barbarei sagt unser Land über alle Gepflogenheiten interkulturell-korrekter Etikette hinweg: nein.