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Berliner Aktionswoche

Wenn im Kinderzimmer die „Braut“ wartet – Warnung vor „Zwangsehen“ in den Ferien

Veröffentlicht am 12.06.2024Lesedauer: 4 Minuten
Viele Bundesländer bieten Beratungen gegen Zwangsheiraten an, hier ein Krisentelefon in Niedersachsen. In Berlin startet nun eine Aktionswoche
Viele Bundesländer bieten Beratungen gegen Zwangsheiraten an, hier ein Krisentelefon in NiedersachsenQuelle: picture alliance/Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Nicht alle Kinder können sich auf die Ferien freuen. Immer wieder berichten Lehrkräfte und Frauenorganisationen von Teenagern – darunter auch Jungen – die gegen ihren Willen im Ausland verheiratet werden. Eine Aktionswoche in Berlin soll Abhilfe schaffen.

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In wenigen Wochen beginnen die Sommerferien. Für die meisten Kinder ist das ein Grund zur Freude. Anders aber für Schülerinnen aus streng patriarchalen Familien. Für sie steigt in diesen Wochen das Risiko, in dem Herkunftsland der Familie gegen ihren Willen zwangsverheiratet zu werden, warnt die Frauenhilfsorganisation „Terre des Femmes“ (TdF) in einer aktuellen Pressemitteilung, die WELT vorliegt.

Bereits zum dritten Mal veranstaltet der Verein in Berlin deshalb nun die sogenannte „Weiße Woche“ (10. bis 14. Juni 2024), in der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Organisation gemeinsam mit der Polizei an Schulen Aufklärungsarbeit leisten wollen. Neben einer Sensibilisierung für das Thema wollen die Sozialarbeiter dabei auch auf Hilfsmöglichkeiten und Anlaufstellen aufmerksam machen.

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Wie viele Schülerinnen tatsächlich von Verschleppung und Zwangsheirat im Ausland betroffen sind, weiß niemand genau, berichtete WELT bereits anlässlich der Aktionswoche 2023. Die einzige offizielle Studie des Bundesfamilienministeriums dazu stammt aus dem Jahr 2011 und basiert auf Erhebungen einschlägiger Beratungsstellen. Damals hatten sich 3443 Personen wegen einer bevorstehenden oder bereits erfolgten Zwangsehe beraten lassen, darunter auch 252 Männer. Über das Dunkelfeld ist bislang wenig bekannt.

Im Internet plötzlich Hochzeitsbilder der Schülerin

TdF liegen aber aktuelle Erfahrungsberichte von Pädagoginnen und Pädagogen vor, die den Referentinnen von ihren Erfahrungen berichtet haben. „Wir fühlen uns alleingelassen. Alle wissen, dass es Zwangsverheiratungen gibt und schauen dennoch weg“, wird eine der Wortmeldungen zitiert. „Ich war im Urlaub und sah durch Zufall im Internet Hochzeitsbilder von einer meiner Schülerinnen. Ich rief meinen Kollegen an, dieser sagte, das Mädchen sei krankgeschrieben“, hieß es an anderer Stelle.

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Die Zitate stammen laut TdF von Lehrkräften und Schulsozialarbeitern und -Arbeiterinnen, sie wurden dem Verein im Zuge des Schultheaterprojekts „Mein Herz gehört mir“ gegen Zwangsheirat zugetragen.

Dass gerade in Berlin, in einer Stadt mit einem hohen Migrationsanteil, Prävention und Aufklärung angebracht sein könnte, zeigten laut dem Verein auch die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der Gleichstellungsbeauftragten von Friedrichshain-Kreuzberg. Die Umfrage ergab für das Jahr 2022 allein für Berlin 496 Fälle von (drohender) Zwangsverheiratung. 88 Prozent der vollzogenen Zwangsverheiratungen fanden dabei im Ausland statt.

In der Aktionswoche wird es deshalb Workshops an Schulen in Charlottenburg-Wilmersdorf, Marzahn-Hellersdorf und Berlin-Mitte geben. Neben der Vorstellung von Beratungsstellen soll der Fokus darauf liegen, den Schülerinnen und Schülern ihre Rechte zu erläutern und sie dafür zu sensibilisieren, sich so früh wie möglich Hilfe zu holen.

Denn, so heißt es, sei eine Person erst mal ins Ausland verschleppt, ist es für sie oft sehr schwierig, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Explizit wolle man auch, so heißt es in der Erklärung weiter, an die Zivilcourage der Schülerinnen und Schüler appellieren. Wenn Freunde und Schulkameraden sich anders als sonst verhalten oder auch selbst Sorge vor einem solchen Szenario äußerten, brauche es niedrigschwellige Hilfs- und Informationsangebote, die auch von alarmierten (und gut informierten) Klassenkameraden vermittelt werden könnten.

Auch Jungen können betroffen sein

Betroffen seien im Übrigen nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen, die gegen ihren Willen in bestimmte Verbindungen oder Lebenssituationen verbracht werden können. Dazu zitiert TdF erneut Lehrerinnen und Lehrer. „Ich habe einen Jungen in der Klasse, der ist schwul, er befürchtet, in den Osterferien im Ausland verheiratet zu werden und hat Angst“, heißt es in einer der (anonym vorgetragenen) Stellungnahmen.

Eine andere liest sich so: „Wir hatten einen Jungen in der Schule, der war 15. Wenn er nach Hause ging, saß in seinem ‚Kinderzimmer‘ seine gleichaltrige Braut, die die Eltern aus dem Herkunftsland geholt hatten.“

Der eingetragene und gemeinnützige Verein „Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau“ wurde 1981 in Hamburg gegründet, seit 2004 besteht auch eine Stiftung. Beide Organisationen setzen sich nach eigenen Angaben für ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben von Mädchen und Frauen weltweit ein. Themenschwerpunkte der Arbeit sind u. a. weibliche Genitalverstümmelung, häusliche und sexualisierte Gewalt, Gewalt im Namen der Ehre sowie Frauenhandel und Prostitution.

krott