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Osterglaube

„Der Osterglaube wirkt mirakulös und sperrig, aber er hat vielen Menschen etwas zu sagen“

Von Till-Reimer Stoldt
Veröffentlicht am 31.03.2024Lesedauer: 5 Minuten
Von vielen abgetan, doch voller kostbarer Botschaften: der Auferstehungsglaube (hier das Bild „Der Auferstandene begegnet Maria“ eines anonymen Malers von 1485)
Von vielen abgetan, doch voller kostbarer Botschaften: der Auferstehungsglaube (hier das Bild „Der Auferstandene begegnet Maria“ eines anonymen Malers von 1485)Quelle: DeAgostini/Getty Images

Der Glaube an die Auferstehung steckt in der Krise – dabei haben Christen keinen Grund, ihn zu verstecken. Er verbürgt den ewigen Wert des Einzelnen und des Körpers, was ihn von vielen anderen religiösen Wegen unterscheidet, meint der Paderborner Theologe Christian Stoll. Aber wie geschieht das?

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Ostern steht hierzulande hoch im Kurs: als Zeit, in der man den Frühling willkommen heißt. Oder als Gelegenheit, vor der Hauptsaison zu verreisen. Nur mit dem religiösen Grund des Festes, der Auferstehung, können (je nach Umfrage) 70 bis 80 Prozent der Deutschen wenig anfangen. Ob Christian Stoll darüber das Osterlachen vergeht? Immerhin ist der Paderborner Theologie-Professor unter anderem auf Auferstehungsrezeption spezialisiert.

WELT: Professor Stoll, werden Sie Ostersonntag jubeln?

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Christian Stoll: Aber sicher, es gibt ja Grund zur Freude. Und schöne Osterlieder, in denen man diese ausdrücken kann, gibt es ebenfalls. Gut möglich, dass ich Klopstocks schönes altes Osterlied „Preis dem Todesüberwinder!“ schmettern werde.

WELT: Die Mehrheit im Land kann diese Auferstehungs-Freude nicht teilen.

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Stoll: Ich kann das nachvollziehen. Der Osterglaube wirkt mirakulös und für aufgeklärte Menschen sperrig – vor allem wegen seines irritierenden Materialismus.

WELT: Weil die Bibel von einem leibhaftig Auferstandenen berichtet, dessen Grab plötzlich leer gewesen sein soll.

Stoll: Dennoch hat die Auferstehungsbotschaft vielen Menschen etwas zu sagen.

WELT: Wie kommen Sie darauf?

Stoll: Weil der Glaube an ein Jenseits immer noch weit verbreitet ist. Die Menschen wünschen sich, es möge mit dem Tod nicht alles aus sein. Auf diese Sehnsucht antwortet der Auferstehungsglaube.

WELT: Mancher würde jetzt fragen: Sie meinen diese angebliche Wiederbelebung eines Leichnams vor 2000 Jahren?

Stoll: Das Neue Testament betont, dass es nicht um die Wiederbelebung eines Leichnams geht. Der Leib des Auferstandenen, wie ihn die Evangelien schildern, ist „verklärt“, also verwandelt. Er existiert auf eine neue Weise.

WELT: Hatten die Jünger womöglich Visionen, als sie dem Auferstandenen zu begegnen glaubten?

Stoll: Das ist eine mögliche Interpretation.

WELT: Sie scheinen da Vorbehalte zu haben.

Stoll: Auch Visionen sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Der Theologe Gerd Lüdemann zum Beispiel hielt sie für pathologische Einbildungen der enttäuschten Jüngerschar.

WELT: Dagegen hätten sich die Jünger leidenschaftlich verwahrt.

Stoll: Ganz sicher.

WELT: Viele Christen können aber eher an Visionen als an ein leeres Grab glauben.

Stoll: An das Auferstehungsgeschehen kommen wir historisch nie ganz heran. Ob man die biblischen Berichte über die Begegnung mit dem Auferstanden auf Visionen zurückführt oder nicht. Entscheidend ist, dass man darauf vertraut, dass Jesus nicht mehr tot ist.

WELT: Auch ohne Glauben ans leere Grab?

Stoll: Das leere Grab ist für viele ein kraftvolles Zeichen – damals wie heute ...

WELT: ... und für andere ausschließlich als Poesie, als Symbolik akzeptabel.

Stoll: Aber der Sinn der Osterbotschaft steht und fällt nicht damit, ob das Grab leer war. Jesus lebt und wir werden leben, darauf kommt es an.

WELT: Den meisten Berichten war aber auffallend wichtig, dass der Auferstandene irgendwie körperlich existierte.

Stoll: Weil das zur Oster-Botschaft gehört: Der Auferstandene existiert körperlich. Sein Körper muss dafür nicht aus den Molekülen bestehen, aus denen der vorösterliche Körper Jesu bestand. Auch wir werden bei Gott in unserer ganzen Existenz aufgehoben sein. Der Körper ist kein Abfallprodukt, er geht ein in die vollendete Gestalt unserer Existenz.

WELT: Das Christentum ist insofern also körperfreundlich – im Gegensatz zu Glaubenswegen, die auf eine rein geistige Fortexistenz setzen?

Stoll: Ja, der Auferstehungsglaube nimmt unser körperliches Erleben bis zuletzt ernst ...

WELT: ... das schöne Erleben ...

Stoll: ... und das unschöne. Versuche ich zum Beispiel einen chronisch Kranken mit der Botschaft zu trösten, ‚Sobald du diese Welt verlässt, bist du deinen furchtbaren Körper endlich los’, treibe ich einen Keil in seine Existenz.

WELT: Warum das?

Stoll: Weil sich Kranke fundamental als körperliche Wesen erfahren. Sage ich einem chronisch Kranken, ‚Dein Körper wird einmal endgültig von Dir genommen‘, verstärke ich den Hang, diesen Körper jetzt schon los sein zu wollen.

WELT: Manch Kranker wäre froh, wenn er nicht sein schmerzender Leib wäre.

Stoll: Schmerzen können unerträglich sein. Aber viele Kranke wünschen sich nicht gar keinen Körper, sondern einen geheilten. Für den christlichen Glauben ist die körperliche Existenz kein Missgeschick, sondern von Gott gewollt – bis in die Ewigkeit. Nicht zuletzt, weil an unserer Körperlichkeit auch unsere geschichtliche Individualität hängt.

WELT: All das sagt Auferstehung aus?

Stoll: Ja, der Auferstandene trägt die Wundmale der Kreuzigung, das heißt: Er behält seine eigene Geschichte. So ist es auch mit uns: Es ist nicht möglich zu sagen, wer wir sind, ohne unsere immer auch materiell bedingte Geschichte zu erzählen. Diese individuelle Geschichte geht nach christlicher Überzeugung mit dem Tod nicht verloren. Das unterscheidet das Christentum von vielen Strömungen in der Esoterik, im Buddhismus oder Hinduismus.

WELT: Damit kann der christliche Glaube Zeitgenossen trösten?

Stoll: Viele Menschen wollen nicht an das Verlöschen des Individuums glauben, an eine Auflösung ins Unpersönliche, ins Nichts. Sie sehnen sich danach, dass ihre Individualität und die geliebter Menschen im Tod bewahrt bleiben möge. Daher sollten Christen den Sinn der Auferstehungsbotschaft ohne Kleinmut ins Gespräch bringen.

WELT: Sie warnen die Christen davor, ihre Schätze zu verscherbeln?

Stoll: So kann man das sagen.


Christian Stoll, 41, zweifacher Vater, seit wenigen Monaten katholischer Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät Paderborn, Experte für Glaubenslehre, Ökumene und religiöse Erfahrung
Christian Stoll, 41, zweifacher Vater, seit wenigen Monaten katholischer Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät Paderborn, Experte für Glaubenslehre, Ökumene und religiöse ErfahrungQuelle: Theologische Fakultät Paderborn


WELT: Sollten die Kirchen dann nicht stärker wuchern mit diesem Pfund?

Stoll: In der katholischen Theologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Auferstehungsbotschaft neu entdeckt. Der traditionellen Theologie hatte man vorgeworfen, die Auferstehung fast vergessen zu haben. Da steckt Wahres drin.

WELT: Und Unwahres?

Stoll: Auch die alte Theologie hatte ihr Recht. Zurückhaltung gegenüber der Stimmung des Ostersonntags passt besser zur Lebenserfahrung vieler Menschen. Die Welt, auch die der Christen, ist von Mühsal, Leid und Tod geprägt. Man versucht leidlich in ihr zurechtzukommen, ohne es durch die eigene Schuld noch schlimmer zu machen. Die Welt ist eher karfreitäglich als österlich.

WELT: Sie plädieren für einen nüchtern-geerdeten Osterglauben?

Stoll: Wir sollten Ostersonntag und Karfreitag, Kreuz und Auferstehung stets zusammenhalten. Wir schauen auf den Trost des Ostersonntags – aus einer karfreitäglichen Welt heraus.

WELT: Manchmal ist sie aber doch ganz schön, diese Welt?

Stoll: Auch diese Welt bleibt nach christlicher Überzeugung gut. Und es gibt Erfahrungen, die uns schon den Sieg des Lebens über den Tod spüren lassen: Momente glücklichen Überschwangs, wenn eine Last abfällt, wenn jemand durch ein gutes Wort aus tiefer Niedergeschlagenheit heraus neue Hoffnung schöpft, wenn ein Vermisster heimkehrt.

WELT: Die kleinen Auferstehungen.

Stoll: Solange wir irdisch existieren, können wir diese Erfahrungen aber nicht festhalten. Das Schwere holt uns ein. Vorläufig. Doch einst werden wir all das hinter uns lassen – so wie Jesus.