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Bierindustrie in Corona-Krise

„Das Problem könnte der Herbst werden“

Von Guido Hartmann
Veröffentlicht am 18.08.2020Lesedauer: 5 Minuten
Beim Flaschenbier verzeichnen die Brauereien ein Plus, doch das Geschäft mit Fassbier brach ein
Beim Flaschenbier verzeichnen die Brauereien ein Plus, doch das Geschäft mit Fassbier brach einQuelle: Veltins

Die Bierbrauer in NRW haben im ersten Halbjahr deutliche Verluste erlitten. Ihnen fehlen vor allem die hohen Einnahmen des Fassbierverkaufs. Dabei sind gerade jetzt Investitionen notwendig.

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Neben seiner Brauerei im niederrheinischen Korschenbroich hat Michael Hollmann vor wenigen Tagen ein Restaurant mit 130 Sitzplätzen eröffnet. Auf ein großes Fest hat Hollmann, der auch Vorsitzender des NRW-Brauereiverbands ist, verzichtet. Wegen der in Corona-Zeiten geltenden Hygiene- und Abstandsregeln wäre eine Feier, gar mit Gedränge, wohl das falsche Signal gewesen. Immerhin betreibt die Privatbrauerei noch einen großen Picknickbiergarten, der aktuell auch viel genutzt wird. „Aber was passiert nach dem Sommer, wenn es kälter wird und die Biergärten schließen?“, fragt Hollmann. „Das Problem könnte der Herbst werden.“

Vor wenigen Tagen haben die deutschen Brauerverbände die Zahlen für das erste Halbjahr 2020 veröffentlicht. Demnach gab es in NRW von Januar bis Juni ein Absatzminus von 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Vor allem das margenträchtige Fassbier, das in Kneipen, Restaurants und auf Schützenfesten ausgeschenkt wird, hat massiv eingebüßt. Das Fassbiergeschäft sei Corona-bedingt „zeitweise zum Erliegen gekommen“, räumt Michael Huber ein, der Generalbevollmächtigte bei Veltins.

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Verlust beim Fassbier und Gewinn beim Flaschenbier

Die Sauerländer gehören zu den wenigen, die auch einmal harte Zahlen nennen. Demnach brach das Fassbier bei Veltins, wo man 14.500 Gaststätten beliefert, um 60 Prozent ein. Man habe aber, so Huber, beim Flaschenbier ein Plus von etwa zehn Prozent erzielen können, auch dank neuer Produkte wie einem „Hellen“ nach bayerischer Art, das im Mai in einem 0,33-Liter-„Pülleken“ an den Start ging. Doch gestiegene Flaschenverkäufe und mehr Konsum der Menschen daheim können den Einbruch beim Fassbier nicht kompensieren. Denn die Flaschen gelangen über den Handel zum Kunden, müssen später zurück in die Brauerei transportiert und dort aufwendig gereinigt werden.

Auch in NRW wird immer noch am liebsten Pils getrunken, trotz der Konkurrenz durch Kölsch und Alt. Und beim Pils dominieren in NRW fünf Brauer den Markt. Nummer eins mit 21,3 Prozent beim Verkauf in Supermärkten und Getränkeläden ist immer noch Krombacher, mit einem Verlust von zuletzt 1,2 Prozent, wie ein Insider mit detaillierten Einblicken WELT AM SONNTAG berichtet.

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Relativ stabil zeigt sich demnach Veltins mit 17,5 Prozent und einem moderaten Verlust von 0,2 Prozent. Und Warsteiner, einst eine der stärksten Brauereien Deutschlands, hat dem Vernehmen nach nur noch einem NRW-Anteil von 6,3 Prozent, mit einem Minus von zuletzt 0,6 Prozent. König Pilsener („Köpi“) aus Duisburg, seit einigen Jahren in Besitz der Eifeler Braugruppe Bitburger, liegt bei 5,5 Prozent auf Platz fünf, mit einem leichten Plus von 0,1 Prozent. Zahlen verraten die Unternehmen selbst nur sehr ungern. Und über die Umfänge beim zumeist direkt vertriebenen Fassbier ist man besonders verschwiegen, da hier auch der Handel nur wenig Einblick hat.

Bei „Köpi“ in Duisburg hatte es jüngst Unruhe gegeben, nachdem Bitburger angesichts sinkender Umsätze einen strikten Sparkurs angekündigt hatte. Gegenüber WELT AM SONNTAG betont Konzernchef Axel Dahm jedoch, dass weder der Braustandort Duisburg noch die Marke bedroht seien. „König Pilsener ist unsere zweitstärkste Marke“, sagt der gebürtige Düsseldorfer, der seit knapp vier Jahren die Geschäfte in Bitburg leitet.

Dauerhafte Veränderungen

Jedoch werde man sich künftig auf die Kernmärkte NRW, Nord- und Ostsee sowie Hamburg konzentrieren. Und auch bei der klassischen Werbung den Rotstift ansetzen, hier stehe schon länger das Internet im Fokus. Dahm ist einer der wenigen Biermanager, der die aktuelle Situation beim Namen nennt. „Wir haben als Bierbranche einen Einbruch um etwa 20 Prozent.“ Auch nach Corona werde der verlorene Umsatz nicht zurückkommen. „Die Menschen werden dauerhaft weniger Bier trinken und in Restaurants gehen, es sich verstärkt zu Hause gemütlich machen.“ Vor allem für kleinere Brauereien mit einem hohen Fassbieranteil dürfte es schwer werden, auch im Kölsch- und Altbierbereich. „Wir stehen vor einem großen Brauereisterben“, sagt der Bitburger-Chef, der zuletzt Umsätze von knapp 800 Millionen Euro vermelden konnte.

Offenbar bitten schon viele Kneipenpächter um Stundung ihrer Pacht bei den Brauereien. „Die Frage ist auch hier, wie es in den kommenden Monaten weitergeht“, sagt NRW-Verbandschef Hollmann. Diese Befürchtungen bestätigt eine aktuelle Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Demnach sehen sich fast 60 Prozent der befragten Betriebe in ihrer Existenz gefährdet.

Ein Kasten für Holland

Wohl auch vor diesem Hintergrund setzt Warsteiner noch stärker auf den Export. In diesem Monat wird ein eigens für den niederländischen Markt produzierter goldener Mehrwegkasten mit 24 0,3-Liter-Flaschen eingeführt. Um die Verluste im Inland in Grenzen zu halten, plant Warsteiner für den September eine besondere Aktion. Montags und dienstags sollen Kunden beim Kauf von zwei Kästen den zweiten später vergütet bekommen. Damit wäre ein Kasten wohl etwa für fünf Euro zu bekommen – so wenig hat man für ein Premiumbier aus Nordrhein-Westfalen noch nie bezahlt.

Für den Bierexperten Hermann-Josef Walschebauer grenzen solche Aktionen an den „Selbstmord einer Marke“. Der 70-Jährige, der lange in der NRW-Brau- und Getränkeindustrie im Bereich Marketing tätig war, sieht vielerorts auch Probleme bei der Markenführung. Eine schlecht gepflegte Marke könne schnell kippen, werde austauschbar und sei dann im Bewusstsein der Verbraucher nicht mehr so begehrlich wie einst.

Teure Investitionen notwendig

Neue Biermischgetränke und das zulegende Bier ohne Alkohol wiederum erforderten hohe Investitionen, in neue Flaschen, Etiketten, Kästen und auch Maschinen. Das könnten sich viele mittelgroße Brauereien kaum noch leisten. „Die Corona-Krise wird die Spreu vom Weizen trennen“, sagt der Experte. Nun komme es verstärkt auf Eigenkapital, Rücklagen und Liquidität an.

In Korschenbroich setzt Michael Hollmann unterdessen auch auf Kooperationen, um sein Alt und Spezialbiere auch außerhalb des niederrheinischen Kernabsatzgebiets zu verbreiten. In Essen und Bochum arbeitet er mit den Brauereien Stauder und Fiege zusammen, die Bolten mit in ihre Vertragsgaststätten ins Ruhrgebiet bringen. „Und wem unser Bier in der Gaststätte schmeckt, der kauft es dann hoffentlich auch im Laden“, sagt Hollmann.

Dieser Text ist aus WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: Welt am Sonntag