Manchmal wiederholt sich Geschichte eben doch. In Rheinland-Pfalz tritt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) überraschend vorzeitig vom Amt zurück. Nachfolger wird am 10. Juli der Sozialminister ihres Kabinetts, Alexander Schweitzer (SPD). Als Begründung führte die 63-Jährige ihre schwindende Kraft und Energie ins Feld. Die lange Zeit hochpopuläre Landesmutter gilt allerdings seit der Ahr-Katastrophe als umstritten; Kritiker halten ihr vor, nicht die politische Verantwortung übernommen zu haben.
Im September 2012 hatte überraschend der damalige Regierungschef Kurt Beck (SPD) seinen Rückzug angekündigt und als Nachfolgerin die Sozialministerin seines Kabinetts, Malu Dreyer, bestimmt. Der damals 63-Jährige nannte seine angeschlagene Gesundheit als Grund für den Schritt. Zu jener Zeit war durch die Nürburgring-Pleite sein Image schwer angekratzt. Das Debakel hat die Rheinland-Pfälzer mehr als eine halbe Milliarde Euro an Steuergeld gekostet.
Eine Motivation für den Rückzug mitten in der Amtszeit dürfte bei beiden rheinland-pfälzischen SPD-Granden gewesen sein, einem von den Desastern unbelasteten Nachfolger die Chance zur Profilierung zu geben. Dass es Malu Dreyer seinerzeit gelungen war, die SPD trotz allem wieder zu Wahlerfolgen zu führen, lag nach Ansicht von Beobachtern nicht allein an ihrem empathischen, einnehmenden Wesen. Sie litt schon bei ihrem Amtsantritt an Multipler Sklerose, was ihrer damaligen CDU-Herausforderin Julia Klöckner den Wettbewerb immens erschwerte.
Die Christdemokratin hatte Dreyers Vorgänger Beck stets konfrontativ angehen können – sie positionierte sich im Landtag offensiv als „fortschrittliche, junge Frau“ gegen den „alten Mann mit Bart“. Gegen Dreyer, die auch wegen ihrer Krankheit große Sympathien in der Bevölkerung genoss, musste Klöckner als Spitzenkandidatin wesentlich zurückhaltender agieren. Die CDU verlor die Wahl 2016 gegen eine sich stets offen und ansprechbar präsentierende Regierungschefin deutlich. Fünf Jahre später hatten die Christdemokraten mit dem blassen Kandidaten Christian Baldauf ebenfalls keine Chance gegen Dreyer.
„Dass es jetzt kommt, hat mich überrascht“
Malu Dreyer, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, zieht sich von ihrem Amt zurück. Ihr Nachfolger soll der bisherige Arbeitsminister Alexander Schweitzer werden. „Die Ahrtal-Flutkatastrophe hat sie sehr viel Sympathie gekostet“, sagt WELT-Politikredakteur Nikolaus Doll.
Quelle: WELT TV
Aktuell ist die Landes-SPD aber in einer schwierigen Lage. Die Unzufriedenheit im Land mit der Mainzer Ampel-Koalition ist immens gewachsen, das Vertrauen in die Kompetenz der Landesregierung schwindet. Nach dem jüngsten Politrend von Infratest Dimap im Auftrag des SWR glauben nur noch 18 Prozent, dass Dreyer und ihre Minister die dringlichsten Probleme im Land – Einwanderung, Bildung und Verkehr – lösen können. 2021 zum Zeitpunkt der jüngsten Landtagswahl war das Vertrauen noch doppelt so hoch. Mehr als die Hälfte der Befragten ist unzufrieden mit der Arbeit der Landesregierung. So schlecht waren die Werte fast zwei Jahrzehnte nicht.
Daher war schon länger über einen möglichen Rückzug von Dreyer spekuliert worden. Wie die Ministerpräsidentin bei einer Pressekonferenz zugab, wollte sie tatsächlich eigentlich in der kommenden Sommerpause über ihre persönliche Zukunft nachdenken. Doch im zurückliegenden Wahlkampf für die EU- und Kommunalwahlen, die in Rheinland-Pfalz am selben Tag stattfanden, sei sie neben ihrem anspruchsvollen Job als Ministerpräsidentin an ihre Grenzen gekommen.
„Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf“, so Dreyer. Sie verfüge nicht mehr über ausreichend Kraft, um das Amt so auszufüllen, wie sie es von sich selbst erwarte. „Mit 63 Jahren bin ich noch nicht uralt, aber es ist eben nicht mehr wie mit 50.“ Dass das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten bei den Wahlen eine Rolle gespielt habe, wies sie zurück. Dreyer hatte sich zuvor allerdings enttäuscht über das schwache Ergebnis und die Tatsache gezeigt, dass viele SPD-Wähler zur AfD abgewandert waren.
Ein langer Weg von den Jusos ins Regierungsamt
Die Staffelübergabe an Alexander Schweitzer wurde dennoch überraschend kurzfristig entschieden und organisiert. Sie soll unmittelbar vor dem dritten Jahrestag der Flutkatastrophe am 10. Juli stattfinden. Dann ist die Wahl im Landtag in Mainz geplant. Schweitzer kündigte bereits an, das Kabinett nicht umbauen zu wollen. Er halte an der Koalition mit Grünen sowie FDP fest und wolle sie nach Möglichkeit auch nach der nächsten Wahl fortsetzen, sagte er.
Der designierte Nachfolger gilt zwar nicht als Dreyers Favorit und engster Vertrauter, sehr wohl aber als Hoffnungsträger der Parteibasis. Der 50-Jährige ist seit 35 Jahren SPD-Mitglied, war einst Juso-Vorsitzender im Land. Sieben Jahre lang führte er die Fraktion im Landtag, nachdem er zuvor schon als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und als Generalsekretär gedient hatte. Außerdem hatte er schon einmal Malu Dreyer beerbt: Nach deren Wahl zur Ministerpräsidentin war er knapp zwei Jahre lang bis zu einer Kabinettsumbildung Sozialminister.
Der 2,06-Meter-Mann stammt aus der Nähe von Landau in der Südpfalz, der Heimatregion von Kurt Beck. Womit sich die Kreise wieder schließen: Ziehvater Beck lernte Schweitzer schon kennen, als dieser noch Jura in Mainz studierte. Einst hatte Schweitzer sogar Becks Wahlkampf organisiert. Schweitzer, der als geschickter Stratege und angriffslustiger Redner gilt, hat sogar das „Nah bei de Leut“-Motto von Beck übernommen: „Nah bei den Menschen“ heißt es bei ihm.
Beck kommentierte den Rückzug Dreyers mit Bezug auf deren Krankheit: „Gesundheitlich ist Malu Dreyer seit langer Zeit belastet, ihre MS-Erkrankung ist bekannt. Da ist klar, dass die Kraftreserven irgendwann aufgebraucht sind“, sagte der 75-Jährige der „Rheinpfalz“. Dass die Übergabe wieder ähnlich ablaufe wie bei ihm, spreche „für den guten Stil in der rheinland-pfälzischen SPD“: So würden auch Machtkämpfe verhindert.