Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird am kommenden Mittwoch seine Pläne für eine neue Form des Wehrdienstes vorstellen. Diese werde auch „Pflichtbestandteile“ umfassen, kündigte der Sozialdemokrat im Bundestag an. Während die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP einem Pflichtdienst kritisch gegenüberstehen, trifft er bei den Bundesbürgern überwiegend auf Zustimmung.
60 Prozent der vom Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag von WELT AM SONNTAG Befragten befürwortet die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht „voll und ganz“ (28 Prozent) oder „eher“ (32 Prozent). 32 Prozent lehnen sie ab – 18 Prozent „eher“ und 14 Prozent „voll und ganz“. Acht Prozent machten keine Angaben. Die Wehrpflicht war im Jahr 2011 ausgesetzt worden. Der Bundeswehr gelingt es allerdings nicht, auf dem Arbeitsmarkt ausreichend Nachwuchs zu rekrutieren. Nun rechnet man im Verteidigungsministerium damit, dass die aktuellen Nato-Planungen „absehbar“ eine Erhöhung des deutschen Personalziels von 203.000 auf „tendenziell deutlich über 272.000 Soldatinnen und Soldaten“ erfordern, wie der „Spiegel“ berichtet.
Die meisten Anhänger hat eine Rückkehr der Wehrpflicht laut der repräsentativen Meinungsumfrage, für die zwischen 31. Mai und 5. Juni 2295 Bundesbürger befragt wurden, mit 72 Prozent unter den Wählern der Unionsparteien. Es folgen die Wähler der SPD (66 Prozent), der AfD (64 Prozent) und der FDP (62 Prozent). Bei Grünen-Wählern liegt die Zustimmung zum Wehrdienst niedriger, findet aber ebenfalls eine Mehrheit (48 zu 41). Nur Linken-Anhänger lehnen sie mit 43 zu 49 Prozent ab.
Während die von einer Pflicht betroffene Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen mehrheitlich dagegen ist (43 zu 47 Prozent), wächst die Zustimmung mit zunehmendem Lebensalter. Schon die 30- bis 39-Jährigen sind mehrheitlich dafür (49 zu 40), bei den über 70-Jährigen sind 77 Prozent dafür und 17 Prozent dagegen.
Die Wehrpflicht wird von Männern (64 Prozent) stärker befürwortet als von Frauen (54) und findet bei Bürgern mit niedrigen Schulabschlüssen mehr Unterstützung (67) als bei jenen mit mittleren oder hohen (jeweils 51). In ländlichen Regionen sind die Befürworter mit 61 Prozent zahlreicher als in Städten mit 56. Die Unterschiede zwischen West (60 Prozent dafür) und Ost (57 dafür) sind marginal.
Weniger Jüngere fühlen sich militärisch bedroht als Ältere
Pistorius geht davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht „an den Grenzen der Ukraine haltmachen wird“, sondern mit seiner Kriegswirtschaft auf einen weiteren Konflikt hinarbeite. „Russland ist auch für Georgien, Moldawien und letztlich auch für die Nato eine Bedrohung“, sagte der Verteidigungsminister, der die Bundeswehr deshalb „bis 2029 kriegstüchtig“ aufstellen will.
Auch knapp die Hälfte der Bundesbürger sieht Deutschland derzeit militärisch bedroht. 49 Prozent glauben, das Land sei durch fremdes Militär stark (elf Prozent) oder etwas bedroht (38 Prozent). 40 Prozent sehen eher keine (30 Prozent) oder überhaupt keine Bedrohung (zehn Prozent). Elf Prozent haben keine Meinung dazu.
Mehrheitlich ein Bedrohungsgefühl haben laut der Umfrage vor allem die Wähler der Unionsparteien (58 zu 36 Prozent). Es folgen die SPD-Anhänger (52 zu 40), die der FDP (51 zu 40) und der AfD (47 zu 42). Bei Grünen- (45 zu 44) und Linke-Wählern (46 zu 46) ist das Verhältnis ausgeglichen. 50 Prozent der Männer sehen Deutschland militärisch bedroht, 45 Prozent nicht. Bei den Frauen ist das Verhältnis 48 zu 37 Prozent.
In den Altersklassen fühlen sich die 18- bis 29-Jährigen (38 zu 47 Prozent) und die 30- bis 39-Jährigen (42 zu 49) mehrheitlich nicht militärisch bedroht, die Älteren über 40 mehrheitlich schon. Während es im Westen eine mehrheitliche Bedrohungswahrnehmung gibt, ist die Einschätzung im Osten Deutschlands mit 45 zu 45 Prozent geteilt. Die Bürger in ländlichen Regionen fühlen sich stärker bedroht (54 Prozent) als die in Städten (46 Prozent).
Nach internen Bewertungen der Nato investiert Russland derzeit rund 40 Prozent seines Haushalts in die Kriegswirtschaft. Die Einschätzungen der Nachrichtendienste der 32 Mitgliedstaaten, wann Putins Militär trotz der hohen Verluste in der Ukraine in der Lage wäre, eine wie auch immer geartete Operation gegen die Allianz zu führen, variieren zwischen drei und sieben Jahren. Ob es dazu kommt, hänge an verschiedenen Faktoren, heißt es im Bündnis: der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft der Nato, dem Ausgang des Ukraine-Kriegs und der Frage, ob eine Attacke auf den Westen Putins Machterhalt im eigenen Land dienlich sei.
Für die repräsentative Erhebung hat YouGov vom 31. Mai bis zum 5. Juni 2295 wahlberechtigte Bürger ab 18 Jahren befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen 0,89 und 2,05 Prozentpunkten.